Theater im Wald: Das Theater Willy Praml zeigt eine Performance im Frankfurter Stadtwald: "Deutschwald im Herbst" kombiniert einen Text von Thomas Mann und Goethes "Faust".

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Im Frühjahr 1945, als die Kapitulation Deutschlands absehbar war, schrieb Thomas Mann seine Rede "Deutschland und die Deutschen", in der er den Versuch unternahm, die ungeheuerlichen Verbrechen der Nazidiktatur aus der deutschen Geschichte, ja dem Volkscharakter der Deutschen heraus zu erklären. Sein wichtigstes Resümee lautete, dass es "nicht zwei Deutschland gibt, ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug". Mann schrieb schon am "Doktor Faustus", das Motiv des Teufelspakts durchzog viele seiner Essays in dieser Zeit.

Was liegt da näher, als Manns Text mit Goethes "Faust" produktiv zu konfrontieren? Unter dem Titel "Deutschwald im Herbst" haben Michael Weber und das Theater Willy Praml eine außergewöhnliche Theaterperformance geschaffen, die nicht auf einer Bühne gezeigt wird, sondern im Frankfurter Stadtwald. Weber persönlich instruiert das Publikum, jeder bekommt einen Klappstuhl und lauscht dem Text, eingelesen von Willy Praml persönlich. Und dann stehen da auf einmal an der Haltestelle Oberschweinstiege zwei Mephistos, zwei Gretchen und auch zweimal der Faust, als wären sie gerade mit der Linie 17 angekommen. Man folgt ihnen durch den Wald und hört am Königsbach, wie Faust (Birgit Heuser, Reinhold Behling) und Mephisto ihren Pakt besiegeln, sieht das wüste Gelage in Auerbachs Keller, folgt den nur annähernd chronologischen "Faust"-Szenen mal auf einer Bank, mal auf Baumstümpfen. Zweieinhalb Stunden geht es so durch den Wald, alle Darsteller sprechen im Wechsel Goethe und Mann.

Ganz zwingend ist es bei allem Natur-Reiz freilich nicht, die kluge Gegenüberstellung von Goethe, Drama, Mann und Essay im Freien durchzuführen. Der intellektuelle Gehalt wäre ebenso in der Naxoshalle transportierbar, auch wenn dadurch die romantische und damit, folgt man Mann, urdeutsche Atmosphäre als Grundierung der Thesen entfiele. Denn um Romantik geht es durchweg in diesem Text, um die Lust am Irrationalen, am Abgründigen und damit schließlich um die deutsche Innerlichkeit, die, allem Politischen gegenüber skeptisch, geradewegs in die Katastrophe der nationalsozialistischen Diktatur mündete. Mann, der sich in ebendieser Tradition sah, hatte wohl deshalb wie kaum ein anderer deutscher Autor eine tiefe Ahnung von der Verführbarkeit der Deutschen.

Funkensprühende Momente

Musik von Schubert, Mendelssohn und Wagner grundiert viele der Szenen. Bisweilen wirken Bezüge zwischen Mann-Passagen und "Faust"-Szenen beliebig, doch überwiegen funkensprühende Momente. Etwa, wenn die Gretchen (Hannah Bröder, Muawia Harb) über Manns Kritik an Luther und dessen Freiheitsbegriff sprechen und am Tisch nebenan das Bier aus den Flaschen spritzt und sich die Freiheit der Kumpanen in Auerbachs Keller auf das Recht auf Grobheit und Besäufnis beschränkt. Oder wenn einer der zwei Mephistos (Jakob Gail) über das Doppelgesicht der deutschen Romantik spricht, während der andere (Anna Staab) lustvoll-ekstatisch das Finale der "Götterdämmerung" mitsingt. In solchen Momenten gelingt die gegenseitige Beleuchtung der Texte kongenial.

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Versöhnlich und mit großem Pathos endet der viele Gedanken aufwerfende Waldspaziergang am Jacobiweiher mit Thomas Manns Hoffnung auf Gnade für eine "soziale Weltreform", in der ein geläutertes Deutschland seinen Platz findet. Dazu erklingt das strahlende Finale der 8. Sinfonie von Gustav Mahler, Vollender und Überwinder der romantischen Musik, mit den Schlussworten aus "Faust II". Bewegend.

Deutschwald im Herbst, 21. September, 15 Uhr, Haltestelle Oberschweinstiege.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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