Dankeskirche Bad Nauheim: Die Dankeskirche in Bad Nauheim bekommt eine neue Orgel, bis Ostern soll sie fertig sein. Zuerst war nur ein kleines Instrument geplant. Doch dann zeigte sich, was Bürgersinn bewirken kann.
Von Richtfest sprechen Orgelbauer nicht, wenn beim Bau eines neuen Instruments eine wesentliche Etappe bewältigt ist, denn es geht ihnen um ein akustisches Symbol – einen ersten Klang zu erzeugen. Also ist von der Ersttonfeier die Rede, die dieser Tage in der Bad Nauheimer Dankeskirche stattgefunden hat. Gleichwohl manifestiert sich der Baufortschritt auch beim Hinschauen.
Die Prospektpfeifen, die das Gesicht des Instruments bilden, sind aufgerichtet. Wobei die größten bis an die Gewölbepfeiler des zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichteten Gotteshauses heranreichen. Zu sehen ist der neue Spieltisch, wobei auffällt, dass er, anders als der frühere, ein Stück vom Instrument weggerückt ist. Was dem Organisten zugutekommt, der von diesem Platz die Klangnuancen besser wahrnehmen kann.
Wer in das Orgelgehäuse hineinschaut, erkennt dort ebenfalls, wie weit die Mitarbeiter der Bonner Firma Klais schon sind. Gebläse und Bälge sind installiert, Gleiches gilt für die in verschiedenen Winkeln angeordneten Kanäle und die Windladen, die den Pfeifen sozusagen ihren Atem geben. Sind etwa Gebläsekasten und die Kanäle eher sperrig, ist Feinarbeit mit speziellem Werkzeug nötig – etwa an den zum Teil nur hauchdünnen hölzernen Leisten für die Verbindungen zwischen Pfeifen und Spieltisch.
3000 Pfeifen müssen einzeln gestimmt werden
Überhaupt besteht das Innenleben des Instruments aus Mengen von Holz. Nicht irgendwelchem Holz, sondern, wie im Fall der Kanäle etwa, aus über Jahre gelagerter Fichte, was für Stabilität und Haltbarkeit der Konstruktion sorgen soll, wie Orgelbaumeister Willi Osterhammer erläutert. Für andere Bauteile wie Laden und Gebläsekasten verwenden die Orgelbauer solides Eichenholz.
Begonnen hat das Großprojekt in der größten Kirche Bad Nauheims im Sommer mit dem Abbau der nur noch eingeschränkt funktionstüchtigen alten Orgel. Wobei die Orgelbauer nicht wie sonst oft mit größtenteils vorgefertigten Teilen, zuvor in ihrer Bonner Werkstatt zusammengesetzt, mit dem Aufbau in der Dankeskirche beginnen konnten. Was daran lag, dass der denkmalgeschützte Sockel der Orgel erhalten bleiben musste. Mit der Folge, dass immer wieder Teile an Ort und Stelle erst an den Sockel anzupassen waren.
Eine andere Herausforderung kam unerwartet hinzu: Beim Abbau des alten Instruments entdeckte man ein Loch im Boden an der Stelle, wo tragende Teile der neuen Orgel zu installieren waren. In Absprache mit Statikern ließ sich die Stelle mittels eines Stahlträgers stabilisieren, und der Aufbau konnte wie vorgesehen vonstattengehen.
Mittlerweile hat das Instrument so weit Form angenommen, dass bis Weihnachten das Gerüst abgebaut werden kann. Bis die neue Orgel in einem Festgottesdienst geweiht und in vollem Umfang erklingen kann, dauert es allerdings noch bis Ostern. Denn was im neuen Jahr folgt, ist ebenso wichtig wie aufwendig: die Intonation.
Jede der rund 3000 Pfeifen wird einzeln gestimmt und an die Akustik des Kirchenraums angepasst. Einige von ihnen stammen noch aus dem ersten Instrument von 1906 und waren schon beim Neuaufbau in den Sechzigerjahren wiederverwendet worden. Nun sind sie noch einmal restauriert worden.
Orgelneubau wegen Mängeln am alten Instrument
Für die richtige Stärke jedes Tons muss die Windzufuhr eingestellt werden. Um die gewünschte Klangfarbe zu erzielen, wird festgelegt, wie die Luft zu leiten ist: Der Orgelbaumeister spricht vom Einschwingen. Für diese Tätigkeit, die konzentriertes Arbeiten mit feinem Gehör verlangt und auch handwerkliche Fähigkeiten, um kleinere Änderungen vorzunehmen, unterhält die Firma Klais eine Abteilung mit Fachleuten, die schon in die Konstruktion und den Aufbau der Pfeifen einbezogen werden.
Für einen Orgelneubau entschied sich die Kirchengemeinde, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Renovierung des bisherigen Instruments weder aus technischer noch finanzieller Sicht sinnvoll gewesen wäre. Auch mit Blick auf die Klangqualität wäre in diesem Fall ein Nebeneinander von älteren und neuen Bauteilen nicht zu empfehlen gewesen, hatten Experten zu bedenken gegeben.
Zuletzt war es um die Orgel so schlecht bestellt, dass darunter die musikalische Gestaltung der Gottesdienste litt und die über Bad Nauheim hinaus gefragten Kirchenkonzerte eingeschränkt werden mussten. Lang war die Liste der Mängel, von defekten Leitungen bis zu maroden Pfeifen. Zudem ließ sich das Konstrukt aus Leitern und Plattformen im Innern mit dem Arbeitsschutz kaum noch vereinbaren, was etwa gründliche Reinigungen nicht mehr möglich machte.
Weil klar war, dass die evangelische Kirchengemeinde mit einem solchen Vorhaben finanziell überfordert ist, bildete sich ein Förderkreis, der das Projekt begleitet und vorangetrieben hat, mit Spendenaktionen, Vergabe von Patenschaften für Pfeifen und ganzen Registern, Organisation von Benefizkonzerten und Verkaufsaktionen. Vorgesehen war anfangs die Realisierung in zwei Stufen, zunächst ein kleineres Instrument, das rund 650.000 Euro kosten sollte. Abhängig von weiterem Geldzufluss sollte die Orgel später vergrößert werden.
Investition von rund 970.000 Euro
Doch das Werben um Geldgeber lief besser an als vermutet, wie sich Volker Gräfe vom Orgelbaukreis erinnert. Rund 325.000 Euro kamen in gut zwei Jahren zusammen und damit genug, um die Genehmigung der Landeskirche für den Orgelbau zu bekommen. Von so viel Unterstützung ermuntert, wagten sich Kirchengemeinde und Förderkreis an die große Lösung – und wurden nicht enttäuscht.
Nun ging es um eine Investition von rund 950.000 Euro, und die erforderliche Hälfte dieses Betrages kam alsbald zusammen, sodass die Ausschreibung für die "Wunschorgel" in die Wege geleitet werden konnte.
Nach dem Sichten von Angeboten mehrerer Orgelbauer entschied sich der Kirchenvorstand für Klais. Dabei spielte unter anderem eine Rolle, dass Klais schon eine Orgel gebaut hatte, die in Umfang und Klangbild etwa jener entsprach, die in Bad Nauheim errichtet werden sollte. Zudem habe Klais es der Gemeinde ermöglicht, bei der Fortschreibung des Entwurfs mitzureden, heißt es. Obendrein konnte ein Festpreis von rund 970.000 Euro vereinbart werden.
Fundraising läuft weiter
Dafür bekommt die Dankeskirche ein Instrument mit drei Manualen und Pedal, ausgestattet mit 49 Registern, wobei durch Zuschaltungen noch mehr Klänge möglich sind. Während des Planens und Bauens ist die Fundraising-Kampagne weitergelaufen. Benötigt werden noch rund 130.000 Euro. Wobei Gräfe nach den bisherigen Erfahrungen nicht daran zweifelt, dass sich die Lücke bald schließen lässt.
Wie heute war es auch Anfang des vorigen Jahrhunderts privates Engagement, das den Bau der Orgel ermöglichte. Theodora Konitzky, Gattin eines wohlhabenden Kurgasts, der in Bad Nauheim geheilt wurde, stiftete das Instrument. Zur Weihe der Kirche fertiggestellt, zählte die Walcker-Orgel in der Dankeskirche zu den großen in Hessen und wurde wegen ihres besonderen Klangs geschätzt.
Denn außer dem großen Werk auf der Empore gehörte zu ihr ein zwischen Gewölbe und Dachstuhl installiertes Fernwerk, eine Konstruktion, wie es sie in Deutschland nur selten gibt. Dieses schon 2011 restaurierte Teilwerk soll an die neue Orgel angeschlossen werden – und mit ihr noch besser zur Geltung kommen.
Spenden für die Orgel können unter dem Stichwort "Orgel Dankeskirche" auf die Konten DE09 5185 0079 0030 0061 21 (Sparkasse Oberhessen) und DE83 5139 0000 0089 3284 03 (Volksbank Mittelhessen) überwiesen werden. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.