"Rembrandts Amsterdam": Ein Glücksfall am Main: Weil das Amsterdam Museum geschlossen hat, kann das Städel Museum in Frankfurt aus dem Vollen schöpfen, um Amsterdams goldenes Zeitalter zu befragen. Diese Rembrandt-Ausstellung ist eine Augenweide.
Wie sie da sitzen, mit dem ungeheuren Glanz von schwarzem Samt und Seide! So schön plastisch bis in die Tropfen des Zitronensafts über der Auster wie Bartholomeus van der Helst hat vielleicht sonst keiner der Maler die führenden Bürgersleute dargestellt, an denen man nun vorbeiziehen kann.
In "Amsterdam am Main", wie Kurator Jochen Sander es nennt. An das Flussufer in das Städel Museum gezogen ist dank eines Glücksfalls das berühmteste Kapitel niederländischer Geschichte. Mit Werken, die sonst so gut wie nie ausgeliehen werden.
Weil das Amsterdam Museum, das viele der berühmten Gruppenbildnisse des Amsterdamer 17. Jahrhunderts verwahrt, renoviert wird, schauen sie nun von leuchtend türkisblauen und goldocker gefassten Wänden, die potenten Bürger einer Oligarchie, derentwegen, oder zumindest für Rembrandts "Nachtwache", bis heute Millionen von Besuchern nach Amsterdam reisen. Ergänzt wird die Präsentation durch Leihgaben aus aller Welt und natürlich aus dem eigenen Bestand.
Fortsetzung der Ausstellung "Nennt mich Rembrandt!"
Van der Helsts Gruppenporträt der Vorsteher des Hakenbüchsen-Schützenhauses aus dem Jahr 1655 steht schon beinahe am Ende einer Kunstgattung, die es so fast nur im Amsterdam des 16. und vor allem 17. Jahrhunderts gegeben hat. Bis heute sind die Gruppenporträts von Berufsständen, Waisenhausregentinnen oder Schützenkompanien prägend für unser Bild des "Goldenen Zeitalters", wie die Epoche genannt wird.
Das Städel stellt den goldenen Zeiten ein Fragezeichen hintan, denn auch die Zeiten, in denen künstlerische Errungenschaften, gespeist aus den Gewinnen der ost- und westindischen Kompanien, aus Gold-, Diamanten- und Menschenhandel in einer strikten Klassengesellschaft, unhinterfragt und kontextlos in Museen präsentiert wurden, sind vorbei.
Das Städel widersteht aber mit "Rembrandts Amsterdam" auch allen Versuchungen, aus der differenzierten Analyse der Bildgeschichte bürgerlicher Macht ein aktivistisches Kunstevent zu machen. Man bleibt sachlich und wird, das vor allem, menschlich in dieser Fortsetzung der Erfolgsausstellung "Nennt mich Rembrandt!" von 2021/22.
Schon damals war untersucht worden, wie Rembrandt seine frühe Karriere in der florierenden bürgerlich-protestantischen Weltmacht Amsterdam hatte aufbauen können – und dass er bei Weitem nicht der einzige erfolgreiche Maler dort gewesen ist.
Geld bestimmte den Rang
Dies ist Ausgangspunkt für "Rembrandts Amsterdam". Wobei es zumal Zeitgenossen wie van der Helst, Adriaen Backer, Cornelis van der Voort, Nicolaes Pickenoy sowie viele nicht oder noch nicht identifizierte Zeitgenossen sind, die dieses goldene Amsterdam vor den Augen der Betrachter erstehen lassen.
Neben dem großartigen Fragment der "Anatomie-Vorlesung von Dr. Jan Dijman" (1656), das eine vergrößerte Negativreproduktion einer erhaltenen Skizze geschickt in die Ausstellungsarchitektur vervollständigt, sind es vor allem grafische Werke Rembrandts, die dessen Genie belegen – und sein unbedingtes Interesse an wirklichkeitssatter Gegenwart auch da, wo der Glanz sonst nicht hingefallen ist: auf die Armen, Behinderten, Zurückgesetzten.
Von denen, das belegen auch die Großformate der Ausstattung, hat es reichlich gegeben in einer Gesellschaft, in der Geld den Rang bestimmte und alles und jeder seinen wohlabgemessenen und dokumentierten Platz hatte. Schriftliches, von Registratur bis zu Legenden der Abgebildeten, gibt es reichlich in den Gemälden, die damit wiederum buchstäbliche Statussymbole geworden sind.
Modeerscheinung der Anatomievorlesung
Und die Ausstellung ist so gewitzt und geschickt, daraus eine unaufdringliche Didaktik zu schaffen. Sieben Personen höchst unterschiedlichen Ranges greift sie, neben Gegenständen, die in den Gemälden abgebildet und nun auch ausgestellt sind, aus den Gemälden und Zeichnungen heraus. Anhand ihres Schicksals werden etwa die Ordnung der Gesellschaft, die Wohlfahrtspflege der Waisen- und Armenhäuser und die Erfindung des Zuchthauses als Ort der Strafe und "Besserung" erläutert.
So wird die Modeerscheinung der Anatomievorlesung, die bei munterem Essen und Trinken ein gesellschaftliches Ereignis gewesen ist, auch zur Geschichte von Verbrechen und Strafe. Der "unbekannte Engländer", ein hingerichteter Pirat, findet sich als Skelett in dem Werner van den Valckert oder Nicolaes Elias Pickenoy zugeschriebenen Gemälde der "Osteologie-Vorlesung von Dr. Sebastiaen Egbertsz" (1619).
Und womöglich ist es die auf den ersten Blick am bescheidensten anmutende künstlerische Anverwandlung einer Hingerichteten, die am meisten berührt. Die siebte der Personen, die Sander und sein Team herausgegriffen haben, ist Elsje Christiaen, die 1664 mit gerade einmal 18 Jahren wegen Mordes hingerichtet wurde. Sie hatte ihre Wirtin im Affekt erschlagen, zu arm, um sich zu verteidigen, wurde sie sofort verurteilt.
Die meisten Werke stammen aus dem eigenem Bestand
Rembrandt ist, wie viele seiner Kollegen, zum Volewijck, dem Galgenfeld, gekommen, um die Leiche zu zeichnen. Seine Zeichnung, ausgeliehen aus dem New Yorker Metropolitan Museum, ragt heraus unter den Elsjes, die nun zu sehen sind.
Ein Kind, dessen zartes Gesicht über dem geschundenen Körper im Totenfrieden noch das Leid zeigt. Er habe der jungen Toten mit seinem Herantreten, um sie zeichnen zu können, ihre Würde wiedergegeben, heißt es im exzellenten Katalog.
Die Würde all jener Amsterdamerinnen und Amsterdamer, die nicht in der ersten Reihe standen, spricht aus vielen der Werke, die von Rembrandts Hand in der Ausstellung zu sehen sind. Sie sind oft winzig klein, die allermeisten stammen aus dem eigenen Bestand der Grafischen Sammlung und gehen oft direkt auf Johann Friedrich Städel zurück.
Nur konsequent, dass der letzte große Quersaal allen Rembrandts und Zeitgenossen "Aus eigenem Bestand" gewidmet ist. Diese kleine Selbstfeier darf das Städel Museum sich in dieser großartigen Ausstellung gönnen.
Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten? Städel Museum, Frankfurt, bis 23. März. Der Katalog kostet im Museum 39,90 Euro. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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