Kinder und Computerspiele: Computerspiele sind in vielen Familien ein Streitthema. Statt sie zu verbieten, könnten Eltern ruhig mal mitspielen, lautet eine Empfehlung des Kinderschutzbunds in Frankfurt – gefährlich ist etwas anderes.

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Mit einer Bananenschale am Heck seines Gokarts wehrt Mario den heranschießenden roten Panzer des Koopas, einer Art Schildkröte im Mario-Universum, ab – und fährt zum Sieg. Dass er dieses Rennen mit seinem Spielcharakter gewinnen könnte, das hat Paul Elias Perner nicht erwartet. Der Fünfzehnjährige spielt am Computer lieber Minecraft. Doch die Frage nach Sieg oder Niederlage steht beim ersten "Gaming Day" des Kinderschutzbundes Frankfurt so oder so nicht im Vordergrund.

In der Orangerie, Sitz des Vereins im direkt im beliebten Günthersburgpark, hat der Verein zwei Switch-Konsolen sowie große Bildschirme aufgebaut und erstmals Eltern und Kinder eingeladen, gemeinsam zu spielen. Ziel ist Aufklärung, aber es geht um die positiven Aspekte des Gamings.

Rund ist freundlich, eckig gemein

Um zu verstehen, was sie im Digitalen erleben, konnten die Kinder zuvor mit Nadja Clauberg, die sich als Game Artist vorstellt, eigene Spielcharaktere entwickeln und zeichnen. Für das "Mario Kart"-Turnier wählen fast alle Yoshi, einen grünen Dinosaurier mit überdimensionaler runder Nase. Auch Toad ist beliebt, er ist einem Fliegenpilz nachempfunden, trägt einen weißen runden Pilzhut mit roten Punkten. Eckige Formen, so wie sie etwa der Bösewicht Bowser im Mario-Universum habe, wirkten gefährlich, rundliche Charaktere hingegen fröhlicher, erklärt Clauberg.

Nicht immer ist die Stimmung beim Spielen so ausgelassen wie während des Turniers, wenn sich Yoshi und Toad mit Bananenschalen bewerfen: Das Computerspiel GTA V ist ein "Open-World-Game", in dem der Spieler in die Rolle von Verbrechern schlüpft und die offene Spielwelt zu Land, zu Wasser und in der Luft durchläuft. Das von 18 Jahren an freigegebene Spiel wurde mehr als 200 Millionen Mal verkauft und ist damit nach Minecraft mit rund 300 Millionen Verkäufen das zweiterfolgreichste Computerspiel der Geschichte.

GTA V polarisiert, da die Handlung eine Folterszene enthält. Am Informationsstand von "Safe im Recht", eine von der Crespo Foundation unterstützte Beratungsstelle für Jugendliche zu digitaler Gewalt, hängt ein Blatt mit dem Ergebnis einer Studie, wonach es zwischen der in Videospielen konsumierten Gewalt und aggressivem Verhalten in der Realität keine Korrelation gebe. Gewalt als Unterhaltungsprogramm könne man kritisch hinterfragen, sagt Valentina Lauer vom Kinderschutzbund. Das gelte aber auch für das Fernsehen, wie zum Beispiel für Serien wie den "Tatort". Gefahren für Kinder und Jugendliche bestünden vielmehr "überall da, wo man connected ist", sagt sie.

Falsche Spielfreunde mit verheerenden Absichten

Die Gefahr lauere nicht unbedingt dann, wenn etwa im ebenfalls sehr beliebten Spiel "Fortnite" ein Sturm aufzieht, der Spieler in die Enge und zum – virtuellen – bewaffneten Kampf auf kleinerem Raum zwingt. Vielmehr seien es die Personen an der Konsole, die ihren Mitspielern schlaflose Nächte bereiten können, erklärt Lauer."Cybergrooming" heißt das Schlagwort, das Eltern mindestens so sehr beschäftigen sollte wie die Spielkämpfe. So wird die Kontaktaufnahme von Erwachsenen mit Minderjährigen bezeichnet, wenn diese damit die Absicht verfolgen, die Jüngeren zu manipulieren, gar Sexualstraftaten zu begehen. Daher raten Experten, dass Kinder stutzig werden sollten, wenn jemand im Chat viele Fragen stelle, nur wenig über sich selbst erzähle und ständig gemeinsame Interessen bekunde.

Etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen im Alter von acht bis 17 Jahren hat schon Erfahrung mit "Cybergrooming" gemacht. Deshalb sollten Eltern wissen, mit wem ihre Kinder Zeit im Netz verbringen, sagt Lauer. Mütter und Vater sollten ruhig auch gemeinsam mit ihren Kindern "zocken". Heutzutage komme dies häufiger, viele Eltern sind selbst schon mit Gaming aufgewachsen. Der durchschnittliche Spieler ist 35 Jahre alt, auch Mütter zocken mittlerweile. 45 Prozent aller Spieler weltweit sind Frauen.

Entwickler als Künstler

Die Grundschülerin Alexis wächst in einer durchweg spielebegeisterten Familie auf. Sie sei schon "fast sieben Jahre alt" und spiele am liebsten mit ihrem Vater am PC "Lego City Undercover". In dem Open-Word-Game geht der Spieler in der Rolle des Polizisten Chase McCain auf Verbrecherjagd. Vater Felix Pietsch, Ehemann von Valentina Lauer, entwickelt selbst Spiele und betreibt in Bockenheim ein Studio.

Pietsch, 43 Jahre alt, hat während seines Politikstudiums als Tester für Computerspiele gejobbt und ist dabei geblieben. Mittlerweile gibt es Studiengänge für Gameentwickler, aber viele seien Quereinsteiger, erzählt Pietsch. Als er die Spielwelt am Computer entdeckte, Anfang der Neunzigerjahre, habe das auch dazu geführt, dass sein zuvor schlechtes Englisch zügig besser wurde. Damals seien alle Spiele nur auf Englisch verfügbar gewesen. Learning by Gaming, sozusagen.

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Das Spielen in virtuellen Welten fördere logisches Denken, taktisches Geschick und Kooperation, sagt Pietsch. Für ihn ist das Entwickeln von digitalen Spielwelten "die komplexeste Form des Medienschaffens": Man benötige Spezialisten, die eine Geschichte schreiben, Musik produzieren, Charaktere designen und programmieren könnten. Ein Game sei für ihn ein "Kunstwerk. Fast wie ein Film", sagt Pietsch. Für die Kinder ist es an diesem Abend vor allem ein Riesenspaß.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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