Segula in Rüsselsheim: Deutsche Autos verkaufen sich derzeit nicht gut. Dafür drängen Hersteller aus Asien auf den hiesigen Markt. Der einstige Opel-Partner Segula sieht darin eine Chance.

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Wer zu Reiseübelkeit neigt, der wird hier nicht glücklich. Die Teststrecke in Rodgau-Dudenhofen im südhessischen Landkreis Offenbach ist gepflastert mit allem, was ein Auto rattern lässt oder sogar ins Schleudern bringt: Kopfsteinpflaster, Betonplatten mit Dehnungsfugen, Schlaglöcher. "Hier fahren wir einmal durch Europa – mit allen Belägen, die man so braucht", sagt Hakan Kaptan, Business-Development-Manager beim Teststreckenbetreiber Segula Technologies.

Die Adresse des Testzentrums lautet noch "Am Opelprüffeld", denn von dem Autobauer hat Segula die Strecke im Herbst 2019 übernommen, zusammen mit Teilen des Entwicklungs- und Prüfzentrums in Rüsselsheim. Nun, nach fünf Jahren, hat Segula Journalisten zur Besichtigung eingeladen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich will zeigen, was sich getan hat seit Übernahme der Testinfrastruktur und Hunderter ehemaliger Opelaner.

Früher waren auf dem 280 Hektar großen Gelände in Rodgau-Dudenhofen nur Fahrzeuge von Opel unterwegs, Segula hat es für alle Hersteller geöffnet. Wobei die großen deutschen Autobauer Volkswagen, Mercedes und BMW ihre eigenen Teststrecken betreiben. Gefragt sei die Segula-Strecke vor allem bei Herstellern aus Asien, berichtet Bernd Justen, der bei dem Ingenieurdienstleister die Abteilung für Fahrzeugtests leitet.

Hochqualifizierte Mitarbeiter gesucht

Chinesische Autobauer wie BYD, Nio oder XPENG versuchen derzeit, in Europa Fuß zu fassen. Justen nennt keinen Hersteller beim Namen, aber Gründe dafür, warum gerade asiatische Autobauer bei Segula anklopfen: "Wenn man auf einen fremden Markt will, hat man eine gewisse Unsicherheit", sagt er. Segula stelle für Autobauer, die mit den Straßenverhältnissen in Europa oder auch in den USA nicht vertraut seien, die für den jeweiligen Markt wichtigsten Streckenabschnitte für Langzeittests zusammen. Auch die Fahrten übernehmen oft Angestellte von Segula.

Die verschiedenen Straßenprofile dienen allerdings nicht nur dazu, die Tauglichkeit neuer Automodelle für bestimmte Oberflächen zu testen. Die "Marterstrecken", wie Segula die vier Fahrspuren mit allen Schikanen von der einfachen Bremsschwelle bis zum Schlagloch nennt, sollen durch die hohe Belastung die Alterung der Fahrzeuge künstlich beschleunigen. Denn beim sogenannten Dauerlauftest soll ein ganzes Fahrzeugleben simuliert werden, wie Kaptan erläutert. Dafür würden die Autos nicht nur den Strapazen der Marterstrecken ausgesetzt, sondern auch mit Spritzwasser und Streusalz bedeckt in eine Klimakammer gestellt, "da wächst der Rost".

Für die Tests braucht Segula nicht nur Fahrer, sondern auch Ingenieure, die die Messdaten analysieren und daraus Verbesserungsvorschläge für die Hersteller ableiten können. Im Frühjahr hatte das Unternehmen angekündigt, zusätzlich zu seinen bisherigen 1000 Mitarbeitern in Deutschland im Laufe des Jahres 200 weitere einzustellen. Bislang seien aber erst etwa 50 hinzugekommen, darunter sechs Auszubildende, teilte das Unternehmen jetzt auf Nachfrage mit. Die Rekrutierung sei "aktuell eine große Herausforderung", gesucht würden hoch qualifizierte Mitarbeiter mit Spezialisierungen in Fahrzeugtechnik, Luft- und Raumfahrttechnik, Elektronik und Software.

Die schwierige Lage der Autobranche macht sich auch bei Segula bemerkbar, für einen Teil der Beschäftigten war im September Kurzarbeit angeordnet worden. Nach F.A.Z.-Informationen hatte das Unternehmen zunächst für drei Monate Kurzarbeit für etwa 60 der rund 500 Beschäftigten in Rüsselsheim beantragt. Zur aktuellen Zahl der Betroffenen will sich Segula nicht äußern. Begründung: "Die Notwendigkeit, Anzahl und Dauer zu Kurzarbeit unterliegt einem ständigen Wandel. Genauere Angaben dazu sind aus unserer Sicht deswegen nicht zielführend."

Die Ingenieure, die mit den Journalisten sprechen, zeigen sich zuversichtlich, dass der Einbruch der Nachfrage nach E-Autos ihr Unternehmen nicht so stark treffen wird wie die Fahrzeughersteller. Ins Motorenprüfzentrum in Rüsselsheim würden bislang ohnehin fast nur Verbrenner oder Hybrid-Antriebe gebracht, berichtet beispielsweise Sebastian Arnoldt.

Bislang sei hier auch kein Auftragsrückgang zu beobachten, was Abteilungsleiter Arnoldt darauf zurückführt, dass einige Autobauer ihre eigenen Testkapazitäten für Verbrennermotoren bereits abgebaut hätten. Jenseits davon verfüge Segula über einige spezielle Anlagen, die so mancher Hersteller weder für Verbrenner noch für E-Autos bereithalte: einen Höhenluft-Simulator beispielsweise oder eine Klimakammer, in der Motoren Temperaturen von minus 30 Grad bis 50 Grad Hitze ausgesetzt werden könnten.

Segula testet nicht nur, wie viel ein Auto aushält und ob dabei die Sicherheit der Insassen gewährleistet ist. Das Unternehmen betreibt auch ein Antennen-Prüflabor, in dem ausprobiert werden kann, in welchem Winkel Antennen je nach Frequenzbereich Funkwellen abstrahlen und wie sie deshalb idealerweise am Fahrzeug angebracht werden sollten.

Wie sich die Schallwellen aus dem Radio oder auch von der Musikstreaming-Plattform dann im Fahrzeug verteilen, wird in einem Audio-Labor gemessen. Als Referenz für das ideale Klangergebnis dient ein schalltechnisch optimierter Raum mit riesigen Boxen. "Die Kunst ist, die Lautsprecher im Auto so abzustimmen, dass es so ähnlich klingt wie hier", sagt der zuständige Ingenieur Günter Schuster.

Für den perfekten Klang dürfte allerdings nicht jeder Autokäufer zu zahlen bereit sein – derzeit erleben Hersteller wie Audi und Mercedes jedenfalls, dass sich ihre hochpreisigen Modelle nicht mehr so gut verkaufen wie noch vor einem Jahr. Segula bemüht sich um Diversifizierung, nicht nur durch die Zusammenarbeit mit verschiedensten Kunden innerhalb der Autobranche, sondern auch mit Dienstleistungen für andere Industrien wie Luft- oder Schifffahrt.

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Doch noch ist die Abhängigkeit von den Autobauern hierzulande groß, wie ein Blick auf die Standorte von Segula Technologies Deutschland zeigt: Sie befinden sich in der Nähe der Stammwerke von Volkswagen, Audi, BMW und Mercedes – und in Köln, wo die Europagesellschaft von Ford ihren Sitz hat.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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