Schüsse auf Polizei: Der Schock über den Tod zweier Polizisten an der Startbahn West beendete 1987 schlagartig den Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens.
Es folgte ein quälend zäher Strafprozess. Das Entsetzen über den Tod der beiden Beamten hallt heute noch nach.
Es ist der 2. November 1987, kurz nach 21 Uhr. An diesem Montagabend, am sechsten Jahrestag der Räumung des Hüttendorfs, sind rund 150 Vermummte aufmarschiert und versuchen, an die Mauer am Rand der Startbahn West zu kommen. Sie beschießen die Polizisten mit Stahlkugeln und Leuchtspurmunition. Dennoch gelingt es den Einsatzkräften, sie zurückzudrängen. Dann ist der Ruf zu hören: "Scharfschützen nach vorne".
Klaus Eichhöfer sackt in sich zusammen, scheinbar ohne Grund. Der 44 Jahre alte Führer einer Hundertschaft ist an jenem Abend rund 500 Meter von den militanten Demonstranten entfernt postiert. Der Familienvater, bei seinen vielen Einsätzen an der Startbahn West stets um Ausgleich bemüht und das Gespräch mit den Gegnern des Flughafenausbaus suchend, wird von einem der Schüsse aus den Reihen der Demonstranten getroffen.
Sie sind in dem Getöse kaum wahrzunehmen. Auch der 23 Jahre alte Polizeimeister Thorsten Schwalm wird tödlich getroffen; er stand rund 80 Meter von dem Schützen entfernt. Zwei seiner Kollegen erleiden schwere Verletzungen.
Kein Opfer war als direktes Ziel ausgewählt. Ziel war die verhasste Staatsmacht dort drüben, jenseits des Gundbachs, in der von Scheinwerfern zerrissenen Dunkelheit.
Wie das Frankfurter Oberlandesgericht fast vier Jahre später, nach mehr als zweijähriger Verhandlung zu dem schrecklichen Geschehen feststellte, feuerte Andreas E. 14-mal in Richtung der beiden Polizei-Hundertschaften. Der damals 36 Jahre alte Werbedesigner hat in dem Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts bestritten, der Schütze gewesen zu sein; ein in der ersten Vernehmung abgelegtes Geständnis widerrief er.
Andreas E. leugnete, obwohl die Indizien gegen ihn erdrückend waren: Die Polizei fand nur wenige Stunden nach dem Anschlag in der Wohnung seiner Freundin im Frankfurter Stadtteil Niederrad in einem Rucksack die Tatwaffe, eine Neun-Millimeter-Pistole. Die Waffe war ein Jahr zuvor während einer Demonstration von Kernkraftgegnern einem Polizeibeamten geraubt worden.
E., der, als die Polizei die Wohnung stürmte, gerade eine Tasse Tee trank, versuchte noch, den Rucksack zu verstecken. In ihm lagen auch Handschuhe und eine Sturmhaube. Daran stellten Kriminaltechniker später Schmauchspuren sicher, die von der verwendeten Munition stammten.
Dass ihm jemand die Sachen an dem Abend in den Rucksack gesteckt habe, glaubte das Gericht E. nicht. Weshalb es so lange dauerte, bis der damals so schnell unter dringendem Tatverdacht verhaftete Andreas E. verurteilt wurde, ist bis heute nur schwer zu verstehen.
Die überlange Dauer der Ermittlungen mag an einer Art Schockstarre gelegen haben, die der Tod der beiden Polizisten auslöste. Denn obwohl die Gewalt bei den Protestaktionen am Flughafen in den Wochen zuvor immer weiter eskaliert war, konnte oder wollte sich niemand vorstellen, dass Menschen sterben könnten.
Dem Entsetzen über den Tod der Polizisten folgte der Versuch, das Verbrechen in seinen ganzen, womöglich terroristischen Verästelungen aufzuklären. Die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen übernommen hatte, prüfte anfangs sogar eine Verbindung zur Rote-Armee-Fraktion. Eine solche Spur ergab sich zwar nicht.
Gleichwohl wurden Andreas E. und sein Freund Frank H., der an der gewalttätigen Demonstration am 2. November teilgenommen hatte, wegen gemeinschaftlichen Mordes und Bildung einer eigenen terroristischen Vereinigung angeklagt. Sie hätten abwechselnd in Richtung der Polizeikette gefeuert, so die Annahme der Strafverfolger. Mitangeklagt waren sieben mutmaßliche Gesinnungsgenossen als Mitglieder der Gruppe, die in dieser Zeit eine Serie von Anschlägen gegen Strommasten und Umspannwerke verübt hatten.
Täter war der Polizei bekannt
Andreas E., später auch als Rädelsführer dieser sich "Revolutionäre Heimwerker" nennenden Gruppe verurteilt, galt in seinem Stadtteil Niederrad als ein Mann, der ein geregeltes, eher stilles und biederes Leben führte. Er arbeitete als Werbedesigner in einer Baufirma. Mit Politik schien er sich wenig zu beschäftigen.
Er habe empfohlen, die Grünen zu wählen, erzählte eine Kioskbetreiberin einem Journalisten. Der Polizei war er allerdings schon seit Ende der siebziger Jahre bekannt. Er war als einer der gewaltbereiten Startbahngegner registriert, außerdem hatte man bei ihm Leuchtspurmunition im Wagen gefunden.
Vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt wirkte E. eher scheu und wortkarg. Überhaupt stießen die Richter auf eine Mauer des Schweigens, Folge der Parole, "Arthur, halt’s Maul", die in anarchistischen Kreisen ausgegeben worden war.
Obwohl es in der quälend zähen Hauptverhandlung offensichtlich war, dass einige der Mitangeklagten und Zeugen wussten, wer geschossen hatte, gelang es der Bundesanwaltschaft und schließlich auch dem Staatsschutzsenat nicht, einen von ihnen zu diesem Bekenntnis zu bewegen. Nachdem Andreas E. gegen Ende des Prozesses behauptet hatte, Frank H. habe ihm die Waffe in den Rucksack gesteckt, galt er in der Szene als Verräter. H. wurde von dem Vorwurf freigesprochen, an dem Tötungsdelikt beteiligt gewesen zu sein.
Weshalb Andreas E. nicht wegen Mordes verurteilt wurde, haben viele nicht verstanden. Die vom Gesetz geforderten "Merkmale" hätten nicht vorgelegen, begründete das Gericht seine Entscheidung, lediglich auf Totschlag zu erkennen.
E. habe nicht heimtückisch gehandelt, weil die Polizisten angesichts der massiven Attacken an diesem Abend nicht arglos gewesen seien. Auch niedrige Beweggründe habe man dem Angeklagten nicht nachweisen können; aus welchen Motiven er auf die Polizisten schoss, war für den Senat nicht zu klären.
100.000 versammeln sich gegen den Ausbau
Die Richter folgten auch insoweit nicht der Bundesanwaltschaft. Diese hatte ausreichend Beweise dafür gesehen, die Gruppe um E. sei entschlossen gewesen, mit einer aufsehenerregende Tat wieder mehr Unterstützer im abebbenden Kampf gegen die Startbahn gewinnen zu können.
Tatsächlich hatte sich längst der ganz überwiegende Teil der Protestbewegung von den militanten Gruppen abgewandt. Der Widerstand hatte seinen Höhepunkt sechs Jahre zuvor erlebt. Nachdem am 2. November 1981 das Hüttendorf im Flörsheimer Wald geräumt worden war, um mit den Rodungsarbeiten beginnen zu können, versammelten sich in den folgenden Tagen zunächst mehr als 100.000 Menschen in Wiesbaden, um Ministerpräsident Holger Börner (SPD) die Unterschriftensammlung zu einem Volksbegehren gegen den Flughafenausbau zu überreichen. Dann kam es rund um den Flughafen zu schweren Krawallen, die Autobahn wurde blockiert, Barrikaden brannten.
Startbahn West wurde Symbol des Kapitalismus
Tumulte konnten den Bau der Startbahn nicht mehr verhindern. Sie ging im April 1984 ohne Feier in Betrieb. Spätere "Sonntagsspaziergänge" der Bürgerinitiativen entlang der Betonmauer, die die Piste schützen sollte, wurden zusehends von jenen beherrscht, denen es vor allem darum ging, sich Schlachten mit der Polizei zu liefern.
Statt von einer von breiten Kreisen getragenen Bürgerbewegung war nun von bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Rede. Die "18 West" war für die Krawallmacher zum Symbol dafür geworden, wie das kapitalistische System seine Interessen durchsetze.
Nie wieder. Das Entsetzen über den Tod der beiden Polizisten hallt heute noch nach. Das Versprechen hat gehalten. Dass der Konflikt über den Flughafen nie wieder in Gewalt ausarten darf, darüber herrscht seit dem 2. November 1987 Einigkeit. Dieser stillschweigende Konsens prägte die Auseinandersetzung, als ein Vierteljahrhundert später der Flughafen abermals wachsen sollte.
Trotz aller Gegensätze zum Dialog bereit zu sein bildete die Grundlage für den Bau der Landebahn Nordwest. Die während des Genehmigungsverfahrens entwickelte Mediation, der Versuch, möglichst alle Interessen einzubeziehen, gilt inzwischen als Modell auch für andere Infrastrukturprojekte.
Andreas E., wegen Totschlags und als Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, kam 1997 frei; einschließlich der Untersuchungshaft hatte er Zwei Drittel der Strafe verbüßt. Die Bundesanwaltschaft hatte vergeblich versucht, in der Revision das Urteil aufheben zu lassen. Sie wollte doch noch eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes erreichen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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