Streunende Katzen: Rund 18.000 Straßenkatzen leben in Frankfurt. Die meisten leiden an Krankheiten und schaden der Umwelt. Die Tierheime sind überlastet. Eine neue Verordnung soll für weniger Streuner sorgen.

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Verdeckt von einem dunklen Tuch, steht ein Gitterkäfig auf dem Behandlungstisch der Tierarztpraxis von Maja Fierle. Von der Straßenkatze, die am Vorabend von Sirikit Treiling, Vorsitzende des TSV Streunerhilfe Frankfurter Katz, eingefangen wurde, ist jetzt noch nichts zu sehen.

Gestresst stellt die ehrenamtliche Tierschützerin vier weitere Käfige mit Katzen darin in die Praxis. Sie alle sind verwilderte Straßentiere, die in Frankfurter Kleingärten eingefangen wurden. An Menschen sind die Tiere nicht gewöhnt. "Wenn der eine Kater aus dem Käfig entkommen sollte, nimmt der hier die ganze Praxis auseinander", sagt Treiling.

Tierarzthelferin Monika Lesic hebt langsam eines der Tücher über dem Käfig leicht an – "Vorsicht mit den Fingern! Die sind echt gefährlich!", warnt Treiling. Die Katzenschützerin hat mittlerweile Lederhandschuhe angezogen, die ihr bis zu den Ellbogen reichen. "Wenn hier eine Katze ausbricht, gehen alle zurück und ich mache das", sagt sie.

"Zu einer kam es zum Glück nie"

Der Blick in einen der Käfige zeigt eine schwarze Katze. Mit weit geöffneten Pupillen blickt das wilde Tier hektisch umher. Die Angst der Katze ist fast schon spürbar. In der Praxis sollen sie und die anderen Streuner heute untersucht und vor allem kastriert, gechipt und mit einer Registrierungsnummer tätowiert werden.

Treiling setzt sich mit ihrem Verein seit mehreren Jahren dafür ein, so viele Streuner wie möglich kastrieren zu lassen. Lange hat sie sich damit in einer Grauzone bewegt, da im Falle von vermeintlich verwilderten Katzen nach der Kastration dann einige Male doch ein Besitzer aufgetaucht ist.

"Wir hatten da auch schon zwei heftige Diskussionen, aber zu einer kam es zum Glück nie", sagt die Tierschützerin. In manchen Fällen sei die Katze nicht gechipt und damit nicht zuzuordnen gewesen. Wenn das Tier dann noch auf den ersten Blick scheu wirke, könne es schon mal vorkommen, dass eine zahme Katze als wild wahrgenommen werde.

Mit der Einführung der Katzenschutzverordnung Anfang Oktober in Frankfurt hat Treiling nun jedoch Rechtssicherheit. Gemäß der Verordnung müssen Katzenbesitzer ihre Freigänger kastrieren und registrieren lassen. Tun sie das nicht, darf das Ordnungsamt dies auf Kosten der Halter machen lassen.

Rund 18.000 Streuner allein in Frankfurt

Laut dem Ordnungsamt geht es bei der Verordnung nicht in erster Linie darum, frei laufende Katzen einzufangen und zu kastrieren, sondern viel mehr darum, Katzenbesitzer auf ihre Verantwortung hinzuweisen. Wenn der Halter einer nicht kastrierten Katze nicht zu ermitteln ist, können Tierschutzvereine sie kastrieren lassen. Die Katzen kommen dann anschließend ins Tierheim.

Aber die Heime seien, ebenso wie die Tierschutzvereine, stark überlastet, sagt Bernd Johanning, Vorsitzender des Tierheims in Frankfurt-Nied. Manchmal würden gleich mehrere Katzen aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheit ausgesetzt.

Dem Tierheim fehlten mittlerweile aber das Geld, der Platz und die Mitarbeiter, um die hohe Zahl ausgesetzter Katzen versorgen zu können. "Durch das wärmere Klima werfen manche Katzen ja bis zu dreimal im Jahr. Diese Spirale soll durch die Verordnung jetzt durchbrochen werden", sagt Johanning.

Auch Treiling hofft, dass die Katzenschutzverordnung dazu beitragen wird, die große Zahl von Straßenkatzen zu reduzieren. Die TSV Streunerhilfe schätzt die Anzahl der Streuner in Frankfurt auf 18.000, wie Treiling sagt. Davon finde der Verein 100 bis 150 Katzen im Jahr.

Die "Hotspots" seien Kleingartenvereine und Industriegelände. "In Schrebergärten habe ich auf einem halben Quadratkilometer schon mal 72 Katzen gefunden, obwohl die Leute dort von nur zehn Streunern ausgegangen sind", sagt Treiling. Die verwilderten Katzen seien so scheu, dass man sie tagsüber kaum sehe.

Treiling sagt, die Streuner paarten sich häufig mehrmals im Jahr mit unkastrierten Freigängerkatzen. "Für Katzen ist es der Horror, so oft Junge zu gebären und durchkriegen zu müssen." Zudem leiden viele Tiere an Krankheiten wie Katzenschnupfen oder Katzen-AIDS, woran vor allem Jungtiere sterben, wie Treiling sagt.

Das Immunsystem vieler wilder Katzen sei durch die Krankheiten geschwächt, was zu verklebten Augen oder gar zur Erblindung führen könne. Laut dem Deutschen Tierschutzbund sind 99 Prozent der aufgefundenen Straßenkatzen krank. Auch Treiling sagt, dass mehr als 90 Prozent der Jungtiere schon früh stürben. "Die haben auf der Straße einfach keine Chance, zu überleben."

Die Tierschützerin hofft, dass die Katzenschutzverordnung eine Signalwirkung bei den Katzenhaltern auslöst. "Ich habe aber den Eindruck, dass die meisten von ihnen einsichtig sind. Es gibt natürlich immer Oppositionelle, aber ich denke das ist die Minderheit", sagt Treiling.

"Für die Besitzer ist eine kastrierte Katze angenehmer"

Häufig seien es die Katerbesitzer, die ihren Tieren den Spaß durch eine Kastration nicht nehmen möchten. Andere Bedenken, die gegen Kastrationen im Internet geäußert werden, sind unter anderem Folgen wie Übergewicht, Verlust des Jagdinstinkts sowie die Annahme, dass Kastrationen unnatürlich und schädlich für die Katzen seien.

"Mit einer angepassten Ernährung und genügend Bewegung bleibt die Katze aber aktiv", sagt Treiling. Außerdem sei der Jagdinstinkt unabhängig vom Fortpflanzungstrieb, weshalb kastrierte Katzen auch weiterhin jagten und spielten. Statt der Katze zu schaden, könne eine Kastration gesundheitlichen Risiken wie Tumoren und Infektionen vorbeugen.

"Für die Besitzer ist es auch angenehmer, eine kastrierte Katze zu haben." Die weiblichen Tiere seien dann nicht mehr dauerrollig und miauten nicht mehr ständig. Kater wiederum markierten ihr Territorium nicht mehr ständig mit stinkender Körperflüssigkeit.

In der Tierarztpraxis in Frankfurt-Bockenheim sorgen sich derweil andere Katzenbesitzer um finanzielle Aspekte der neuen Verordnung. "Uns hat auch schon jemand angerufen und gesagt, dass er sich die Kastration gar nicht leisten könne. Dann sollte man sich aber vielleicht auch gar nicht erst das Tier kaufen", sagt eine der Tierarzthelferinnen und schaut dabei auf die eingefangene Katze, die jetzt in einem sogenannten Zwangskäfig sitzt.

"Das ist kein Eingriff, der einfach so an uns vorbei geht"

Mit einer darin eingebauten, verschiebbaren Gittertrennwand schränkt Tierarzt Marko Jankovic die Bewegungsfreiheit der wilden Katze jetzt für einen kurzen Moment ein, damit er das Narkosemittel spritzen kann, ohne dabei verletzt zu werden.

Mit jeder Sekunde wird die Katze jetzt benommener und legt sich schließlich hin. Die Untersuchung beginnt. Für Jankovic und Tierärztin Monika Lesic Routinesache. "Wir haben auch schon ohne die Katzenschutzverordnung alle Katzen, die zu uns kommen, kastriert, weil wir es nicht verantworten möchten, dass die Tiere unkastriert draußen rumlaufen", sagt Lesic.

Wenn bei verwilderten Katzen eine Schwangerschaft im frühen Stadium festgestellt werde, beende Jankovic diese "schweren Herzens", um ein leidbehaftetes und chancenloses Leben auf der Straße zu verhindern. Leicht falle ihm das nicht, sagt Lesic. "Das ist kein Eingriff, der einfach so an uns vorbei geht."

Die TSV Streunerhilfe Frankfurter Katz lässt solch einen Eingriff bei den von ihr gefundenen Katzen aber nur im Extremfall durchführen, "wenn es gar nicht anders geht", wie Treiling sagt. Wenn sie den Verdacht hat, dass eine Katze schwanger ist, kommt diese sofort in eine Pflegestelle. Sie fange außerdem gezielt im Winter die Katzen ein, da diese während der kalten Jahreszeit unfruchtbarer seien. "Die Fruchtbarkeit von Katzen hängt nämlich von der Länge des Tageslichtes ab", sagt die Tierschützerin.

Nach der Kastration und dem Injizieren eines Microchips sowie dem Eintätowieren einer Registrierungsnummer bleiben die in der Praxis behandelten Katzen normalerweise eine weitere Nacht bei Treiling, wo sie mit Schmerzmitteln versorgt werden. Eine von ihnen hat jedoch eine Blasenentzündung, eine andere leidet an Katzenschnupfen. Die beiden kranken Tiere müssen deshalb länger im Trockenen bleiben.

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Auch weil der Verein nicht ausreichend Platz hat, setzt Treiling auf die Wirkung der Katzenschutzverordnung. Nicht von heute auf morgen, aber auf längere Sicht werde es als Folge der Verordnung weniger Straßenkatzen in Frankfurt geben, sagt die Tierschützerin. "Wir mögen Katzen ja sehr, aber weniger wären einfach besser für die Umwelt, für andere Kleinsäuger und für die Menschen."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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