100.000 Euro veruntreut: Jahrzehntelang setzt sich Kurt M. ehrenamtlich für die Menschen in seiner hessischen Wahlheimat Bensheim ein.
Dann fällt der ehemalige AWO-Vorsitzende auf eine vermeintliche Wohltäterin aus Afrika ein, für die er tief in die Kasse seines Ortsverbandes greift.
Bei der Arbeiterwohlfahrt kommen Führungskräfte offenbar leicht an größere Geldsummen, weil eine angemessene Kontrolle fehlt. Nach dem Skandal bei der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt und Wiesbaden, der vor fünf Jahren bekannt wurde, gibt es nun einen weiteren Betrugsvorwurf bei dem vergleichsweise kleinen AWO-Ortsverband Bergstraße.
Dort soll der frühere Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Bensheim, Kurt M., laut Staatsanwaltschaft Darmstadt zwischen August 2022 und Mai 2023 von einem Konto des Wohlfahrtsverbandes mehr als 100.000 Euro veruntreut haben. Das Geld soll er teilweise auf sein eigenes Konto und teilweise auf das Konto seiner Frau überwiesen haben, steht in der Anklageschrift. Am 30. Januar steht M. deshalb wegen des Verdachts der Untreue vor dem Amtsgericht Bensheim.
M. wollte das Geld allerdings nicht für sich behalten, sondern hat es an eine angebliche Ärztin "in der Dritten Welt" überwiesen, wie er bei der Polizei zu Protokoll gab. Leif Kindinger, Direktor des Bensheimer Amtsgerichts, bestätigte auf Anfrage, es habe sich dabei um einen E-Mail-Betrug gehandelt, die angebliche Ärztin sei eine Betrügerin. Deshalb sei der Fall auch nicht mit den Unterschlagungsfällen in Wiesbaden und Frankfurt vergleichbar.
Auch das eigene Ersparte ist weg
Der 77 Jahre alte Kurt M. war viele Jahre an der Spitze der Arbeiterwohlfahrt und hatte Zugriff auf deren Konten. M. ist ein bekanntes und umtriebiges Mitglied der Bensheimer Stadtgesellschaft, das sich gerne für andere Menschen einsetzt. 1973 kam er aus Österreich an die Bergstraße. In seiner neuen Heimat engagierte er sich bald in der SPD, für die er noch immer im Ortsbeirat Bensheim-Stadtmitte sitzt, wie der Parteivorsitzende Jürgen Kaltwasser auf Anfrage bestätigte. Beim Kreisverband des DGB war M. im Vorstand. Als Österreicher war er zudem einige Jahre Vorsitzender des örtlichen Ausländerbeirats, dem er bis heute angehört.
Inzwischen steht fest: M. ist Opfer einer üblen Betrugsmasche geworden. Wie Recherchen dieser Zeitung ergeben haben, soll das veruntreute Geld aus einer Erbschaft stammen, die der AWO zuteil wurde. Dieses Geld habe M. verwaltet. Wie die Recherchen weiterhin ergaben, hat M. monatelang immer wieder größere Beträge an die angebliche Ärztin überwiesen, die angab, es für Hilfsprojekte zu benötigen.
Zunächst soll M. Geld aus der eigenen Tasche an die Frau überwiesen haben. Später, als sein Erspartes aufgebraucht gewesen sei, habe er das Geld aus der Erbschaft an die AWO verwendet, um angeblich Gutes zu tun. Dass er einer skrupellosen Trickbetrügerin auf den Leim gegangen war, hat er offenbar monatelang nicht gemerkt.
Die Anklage vor dem Amtsgericht Bensheim wirft ihm nun vor, als Chef der Arbeiterwohlfahrt Bensheim mehr als 100.000 Euro veruntreut zu haben. Von seinen Ämtern dort wurde er inzwischen entbunden. Ludwig Kern, Vorsitzender des Kreisverbandes Bergstraße der AWO, ist noch immer fassungslos. "Wir waren pleite", umschreibt er auf Anfrage die Folgen des Geldabflusses.
M. habe jeden Monat mindestens 8000 Euro aus der AWO-Kasse abgezweigt. Und das genau zwischen zwei Kassenprüfungen. Im Frühsommer 2023 fiel der Betrug während einer erneuten Kassenprüfung auf. Nahezu das gesamte Geld der AWO war weg. Nur durch Darlehen habe die AWO an der Bergstraße gerettet werden können, erzählt Ludwig Kern.
Der Kreisverband hat M. sofort von allen Ämtern entbunden und Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft gestellt. M. war bei der ersten polizeilichen Vernehmung bereits geständig. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm klar gewesen, dass einer üblen Betrugsmasche aufgesessen war. Für diesen Montag hat der AWO-Kreisverband seine Mitglieder eingeladen und will sie über die aktuelle Situation informieren. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.