Simone Menezes: In der Alten Oper leitet die brasilianische Dirigentin Simone Menezes beim Festival "Amazônia" das hr-Sinfonieorchester zu Fotografien von Sebastião Salgado.

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Wie fängt man die Schönheiten der Natur ein? Wie beschreibt man sie, gibt sie wieder, in Worten, Bildern oder Klängen? Zahlreiche Künstler haben sich der Herausforderung gestellt, Meisterwerke wie Beethovens "Pastorale" oder Monets Seerosenbilder sind ihr entsprungen. Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der als Fotojournalist jahrelang die Welt bereist hat, hat sich zurück in seine Heimat begeben und dort sechs Jahre lang den Amazonas-Regenwald abgelichtet. Entstanden sind ausdrucksstarke Fotografien, die die unvergleichbare Schönheit des Flusses, seiner Flora und Fauna sowie die in Amazonien ansässigen indigenen Stämme in all ihrer Stärke und Fragilität festhalten.

In der Alten Oper beginnen die Aufnahmen nun zu klingen. Beim Festival "Amazônia" werden sie mit der sinfonischen Dichtung "Floresta do Amazonas" von Heitor Villa-Lobos zusammengebracht. Es ist ein Herzensprojekt der italienisch-brasilianischen Dirigentin Simone Menezes, von dem die 47 Jahre alte Musikerin schon seit ihrer Zeit als Studentin in Paris geträumt hat. "Schon als ich das Werk zum ersten Mal in einem brasilianischen Jugendorchester gespielt habe, wusste ich, dass es ein Meisterwerk ist und ich es eines Tages dirigieren möchte." Tiefgründig sei dieses Spätwerk, das der 1887 in Rio de Janeiro zur Welt gekommene Villa-Lobos 1958 geschrieben hat, ein Jahr vor seinem Tod, doch mit einer Prise Hoffnung versehen, genau wie die brasilianische Kultur selbst.

Niemand hat gesagt, sie könne nicht dirigieren

Menezes ist bekannt dafür, Musik aus unerwartetem Blickwinkel zu sehen, und fällt regelmäßig mit neuen und visionären Projekten auf. Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Genres und Lebenswelten miteinander zu verbinden und sie für die klassische Musik zu begeistern ist ihr dabei besonders wichtig. Geboren wurde sie in Brasilia, sie wuchs in einem musikalischen Haushalt auf, in dem ihr Vater und Großvater in der Freizeit dirigierten. Mit sieben Jahren begann Menezes mit dem Klavier- und Flötenspiel, bis sie sich als Jugendliche entschloss, Dirigentin zu werden. "Dirigieren war, dank meines familiären Umfelds, das Normalste der Welt für mich", sagt sie. Niemand habe ihr gesagt, dass sie nicht dirigieren könne, weil sie eine Frau sei. "Bis ich damit konfrontiert wurde, war es schon zu spät", sagt sie und lacht.

Für das Studium reiste sie nach Paris, wo sie bis heute lebt. Dort nahm sie Unterricht bei Paavo Järvi, er wurde ihr Mentor. Von Järvi habe sie vor allem gelernt, die Musik aus festen Strukturen herauszubrechen. So auch bei "Amazônia". Von ihrer Idee, "Floresta do Amazonas" mit Bildern zu präsentieren, sprach sie ebenso wie von ihrer Bewunderung für Salgado schon als junge Dirigentin der Philharmonie de Paris, doch die war damals nicht interessiert. Erst als Salgado 2021 mit der Ausstellung "Amazônia" in die Räumlichkeiten des Konzerthauses kam, erinnerte man sich ihrer wieder und brachte den Fotografen und die Dirigentin zusammen. Entstanden ist ein Projekt, das Salgados Werk und Menezes’ Wertschätzung mit der Musik von Villa-Lobos vereint.

Für Salgados Bilder komponiert

Viele Male habe Salgado sich "Floresta do Amazonas" anhören müssen, um die Musik zu fühlen, berichtet Menezes. Dennoch habe er gleich zugesagt, als der Vorschlag für "Amazônia" kam. Salgados Frau habe ihm auf dem Klavier oft Werke von Villa-Lobos vorgespielt, er könne sich kein besseres Stück vorstellen, um seine Bilder zu untermalen. Dabei habe Villa-Lobos "Floresta do Amazonas" eigentlich für den Film "Green Mansions" komponiert, den Audrey Hepburns erster Mann, der Schauspieler Mel Ferrer, mit ihr in den späten Fünfzigerjahren drehte. Doch das Werk wurde von den Filmstudios abgelehnt. Villa-Lobos überarbeitete es zur sinfonischen Dichtung in ihrer heutigen Form. "Es wirkt", sagt Menezes, "als habe er sie stattdessen eigentlich für Salgados Bilder komponiert."

Für "Amazônia" hat Menezes das Stück etwas heruntergebrochen, den Männerchor gestrichen, dafür vier Sätze für Sopran erhalten, die in der Alten Oper die brasilianische Sopranistin Camila Provenzale singen wird. Für die elf Sätze des Werks hat Salgado, der sich am 21. September im Großen Saal der Alten Oper mit dem Filmregisseur Wim Wenders unterhält, jeweils eine seiner Fotografien ausgesucht. Für den ersten Satz "Der Wald" hat er sich für ein Bild des Regenwalds aus der Vogelperspektive entschieden, zu "Der Krieg" ist ein Foto von Männern zu sehen, die sich auf die Jagd vorbereiten.

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Neben "Floresta do Amazonas" präsentieren Menezes und das hr-Sinfonieorchester Villa-Lobos’ Prelúdio aus den "Bachianas Brasileiras Nr. 4" und Philip Glass’ "Metamorphosis" aus "Aguas da Amazonia". Abgerundet wird das Festival mit einem Jugendkonzert und der Vorführung von Wenders’ Salgado-Dokumentarfilm "Das Salz der Erde".

Amazônia – The World of Sebastião Salgado 19. bis 21. September, Alte Oper Frankfurt  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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