Biologikum in Neu-Ulrichstein: Wie viele Bakterien leben auf ihrem Smartphone? Weshalb schadet Spülmittel im Wasser lebenden Insekten?
Antworten auf solche Fragen können sich Schüler im neuen Biologikum erarbeiten. Ein beliebter Forscher gehört ihm an.
Peter Ebke stellt sich neben den umgebauten Bagger, hebt den rechten Zeigefinger und sagt: "Sie erleben nun eine absolute Premiere." Der Biologe und sein Team schauen erwartungsvoll, während sich der Mann im Fahrerhaus an die Hebel setzt. Wo sonst die Baggerschaufel angebracht ist, befindet sich ein beinahe leerer Kasten. Dessen Wände sind mit vier Platten ausgekleidet. Wird der Mann den Kasten in den Boden drücken und wieder herauszuziehen, ohne eine dieser Wände in der feuchten Erde zu verlieren? Der Sinn der Übung: Mit dem Kasten soll ein Block Erde nebst Gras und möglichst vielen verschiedenen Regenwürmern ans Tageslicht kommen. Würmer dienen der Forschung im neuen Biologikum in Neu-Ulrichstein nahe Homberg/Ohm, um die sich die Studentinnen Carla Riemenschneider und Finja Fuchs kümmern.
Während der Baggerfahrer den Kasten mit Maschinenkraft sauber auf dem Gras aufsetzt und in die Erde rammt, bebt der Boden für einige Momente. Wenige Sekunden später zieht der Bagger den Aufsatz heraus. Die Blicke von Ebke und seinem Team richten sich zuerst auf den Kasten und dann auf das Loch im Boden. Aufatmen. Der Kasten ist intakt. Das liebevoll "Wurminator" genannte Gerät arbeitet wie gewünscht. "Ein Traum von Bodenblock", entfährt es Ann-Kathrin Lörracher.
Harald Lesch als Wissenschaftlicher Direktor
Sie ist Lehrerin für Biologie und Chemie, hat in der Forschung gearbeitet und ihren Doktor gemacht – nun kümmert sie sich im Biologikum um die Frage, wie Wissen am besten vermittelt wird. Ihr steht der Astrophysiker, Philosoph und Wissenschaftsjournalist
Bei dieser Arbeit sollen der Wurminator und weitere Technik helfen. Dies ist im Wortsinn zu verstehen. Bisher haben viele Hände zu Spaten greifen und die Erdblöcke aus dem Boden graben müssen, wie Ebke berichtet. "Hinterher haben wir mit 30 Leuten die Blöcke auseinandergewühlt und die Regenwürmer gesucht." Das sei so aufwendig wie kraftraubend. "Danach sind Sie dann platt", sagt der Wissenschaftler, der sein Geld mit Gutachten zu Umweltfolgen von Agrarchemikalien verdient.
Das Graben erspart ihnen der Aufsatz am Bagger, das Wühlen wohldosierte elektrische Energie. Riemenschneider und Fuchs schicken Strom über Metallplatten an den Wänden des Kastens in den Erdblock. In der Folge krabbeln die Regenwürmer umgehend nach oben aufs Gras. Die Studentinnen müssen sie einfach nur noch aufsammeln.
Wozu aber der ganze Aufwand? Die Antwort: An Ort und Stellen erforschen sie die Auswirkungen von Landwirtschaft auf das Leben im Boden und damit auch auf Regenwürmer. Wobei der Gast nebenbei erstaunt lernt: Wurm ist nicht gleich Wurm. Hierzulande leben demnach gut drei Dutzend verschiedener Arten. Im Boden der Wiese, auf der ihr Wurminator den Block ausgehoben hat, konnte Riemenschneider elf Arten nachweisen und darunter eine Variante, die zumindest in der Nachbarschaft nicht vorkommt.
Mathematikum als Vorbild
Riemenschneider hatte schon als Schülerin nach Neu-Ulrichstein gefunden und strebt nun den Bachelorabschluss an der Universität Gießen an. Der Gründung des Trägervereins für das Biologikum ging jahrelange Aufbauarbeit voraus, in der niemand an einen Verein dachte. Nachdem Ebke seine Arbeit als Gutachter aufgenommen hatte, baute er Kontakte zu Hochschulen in Hessen und zur Uni Münster auf, an der einen Lehrauftrag hatte. In der Folge fanden sich immer wieder Studierende bei ihm ein. Eines Tages lernte er die Leiterin eines Alsfelder Gymnasiums kennen, die von zwei Bio-Leistungskursen an ihrer Schule berichtete. Daraus entstand die Aufgabe für Studenten, Stationen zu entwerfen, an denen sie Wissen in einer für Schüler angemessenen Sprache vermitteln.
Längst arbeitet Ebkes Team fest mit vier Schulen zusammen. Doch die Idee zur Gründung des Biologikums entstand eher zufällig: Lörracher stieß während einer Tagung auf das Chemikum. Sie sah sich das Konzept an und dachte sich: "Das machen wir doch auch." Die Gründung war dann der nächste Schritt.
Das Team vereint Fachwissen mit Didaktik und liefert an den Lehrplan angepasstes Material für den Unterricht, maßgeschneidert für die jeweilige Klasse. "Da haben wir ein Alleinstellungsmerkmal", hebt Ebke hervor. Lehramtsstudent Mattis Brockfeld zeigt Schülern etwa Folgen von Spülmittel im Teichwasser auf. Ein Wasserläufer nutze die Oberflächenspannung des Wassers, das Spülmittel senke sie, dadurch gehe das Insekt unter. Im Wasser lebende Rückenschwimmer kämen nur zum Atmen nach oben – ein Ölfilm vereitle dies, das Tier ersticke.
Zu den Vorzügen des Biologikums zählt auch der Umgang mit Mikroorganismen. So etwas habe eine Schule nicht, sagt die angehende Mikrobiologin Lara-Sophie Büchner. In Neu-Ulrichstein können aber von den Jugendlichen etwa an der Türklinke ihres Klassenraums oder auf Handys genommene Abstriche ausgewertet werden. Sie geben sie auf eine Nährlösung in einer Petrischale und sehen nach wenigen Tagen bunte Punkte: Mikroorganismen wie Darmbakterien. "Alle Schüler, die Proben vom Handy nehmen, sagen, sie wollen es nun mindestens einmal pro Woche desinfizieren." © Frankfurter Allgemeine Zeitung
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.