Sanierung der Riedbahn: Die meisten Schienen und Schwellen an der Bahnstrecke Frankfurt - Mannheim sind verlegt. Die Generalsanierung liegt im Zeitplan. Jetzt werden die Stellwerke angeschlossen.

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Der flache gelbe Kasten von der Größe einer Dokumentenmappe sieht von außen unspektakulär aus, und die Befestigung mit Schrauben an einer unter die Schienen gelegten Metallplatte ist solides Handwerk statt Hightech. Am ungewöhnlichsten ist noch der Name Balise, der ausnahmsweise nicht für eine der unzähligen bahntypischen Abkürzungen steht, sondern vom französischen Wort für Bake herrührt. Trotzdem steckt darin die Zukunft der Eisenbahn, denn sie sendet beim Überfahren die Standortinformation und weitere Daten an den Zug, der wiederum permanent mit dem elektronischen Stellwerk in Verbindung steht.

Der symbolische Einbau der ersten Balise hat am Donnerstag den Beginn des letzten Abschnitts der Riedbahn-Generalsanierung markiert, nämlich die Installation der Leit- und Sicherungstechnik. "Die Zeit der großen Maschinen neigt sich dem Ende zu", sagte in Gernsheim Berthold Huber, Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn, über den Baufortschritt.

Der dortige Bahnhof liegt etwa in der Mitte der 70 Kilometer langen Strecke von Frankfurt nach Mannheim, deren Sanierung am Stück bei fünfmonatiger Vollsperrung das derzeit wichtigste Pilotprojekt für die Bahn ist. Denn es soll Vorbild für die Erneuerung weiterer 1500 Streckenkilometer bis 2027 sein.

Gut 100 Tage nach dem Baubeginn im Juli sind 90 Prozent der dafür vorgesehenen Gleise ausgetauscht worden, die Arbeiten an Schienen, Schwellen und Schotter stehen vor dem Abschluss. Huber nannte die Riedbahn-Sanierung eine "Erstbesteigung", deren Route man sich vorher genau angeschaut habe. "Mit dem Technikeinbau sind wir jetzt auf dem steilsten Stück." Auch wenn der Gipfel in Reichweite sei, dürfe man die Konzentration nicht verlieren. "Ich sehe aber kein Problem, wegen dem wir es nicht bis zum Fahrplanwechsel schaffen können."

Vom 15. Dezember an sollen wieder wie vor der Sperrung täglich mehr als 300 Züge in dem am stärksten belasteten Bahnkorridor in Deutschland unterwegs sein. Überwacht werden sie von drei Stellwerken mit Bedienplätzen in Walldorf, Mannheim-Waldhof und Gernsheim. Kein Personal mehr gibt es in den Modulgebäuden in Groß-Gerau Dornberg, Riedstadt-Goddelau, Biblis und Lampertheim. Noch sind die Bildschirme an den vier Arbeitsplätzen im Stellwerk Gernsheim dunkel, doch 1000 Kilometer Kabel sind verlegt worden, und auch der größte Teil der 600 Signale und 330 Weichenantriebe wurde montiert.

"Die Software ist geschrieben", sagte Guido Rumpel, Leiter der Bahn-Infrastruktur bei Siemens Mobility. Zu den gleisnahen Komponenten, die noch fehlen, gehören die 3500 Balisen. "Die hätten uns die Bagger kaputtgefahren", sagte Rumpel zur Begründung, warum deren Einbau erst jetzt erfolgt. Bis zum Fahrplanwechsel müssen die Stellwerke angeschlossen und alle Elemente abgenommen sein. Die Abnahme habe schon begonnen, sagte der Projektleiter der Riedbahn-Generalsanierung, Julian Fassing.

Mit hohem Tempo zu einem stabilen Fahrplan

Die Technik ist Voraussetzung für das europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS. Es ermöglicht dem Fernverkehr Geschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern, sofern der Kurvenradius dies zulässt. Das ist bei etwa 50 der 70 Kilometer der Fall. Das ETCS wird stufenweise in Betrieb genommen und steht erst im zweiten Quartal 2025 für die ganze Strecke zur Verfügung. "Das heißt für den Fahrplan aber nichts", sagte Huber. Dieser bleibe gegenüber der Zeit vor der Sperrung unverändert. "Durch das hohe Zugtempo haben wir nur zusätzliche Puffer." Diese Qualitätsreserven wolle man nicht in knapp kalkulierte Zeiten investieren. Ziel sei ein stabiler Fahrplan.

Der Infrastruktur-Chef widersprach Kritik, wonach von der Generalsanierung bestimmte Dinge wie Brückenerneuerungen ausgenommen würden. "Das ist eine Sanierung, und wie bei einem Haus verwenden wir das weiter, was noch gut ist." Ein Neubau sei etwas völlig anderes. "Der würde zehnmal so lange dauern."

Auch Vorwürfe, die Bahn setze beim Leit- und Sicherungssystem nicht auf aktuelle Digitaltechnik, wies Huber noch einmal zurück. Das habe mit ETCS nichts zu tun. Die neuen elektronischen Stellwerke seien "das Modernste vom Modernen" und könnten an digitale Technik angebaut werden. "Es gibt noch keine Standards für digitale Stellwerke."

Huber zog erste Lehren aus der Generalsanierung. Zu den Erfahrungen gehöre, wie wichtig die enge Zusammenarbeit aller Beteiligter sei. Ein großer Erfolgsfaktor seien zudem die extrem schnellen Entscheidungen auf der Baustelle. "Wir müssen jeden Tag Unvorhergesehenes bewältigen." Früher habe man dafür viel zu lange gebraucht und "noch einen Vorgesetzten und noch einen Vorgesetzten" gefragt.

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Noch nie habe man komprimiert so viel parallel verbaut. "Dadurch haben wir vier- bis fünfmal so viel geschafft wie in konventioneller Bauweise." Die Erkenntnisse sollen jetzt bei weiteren Generalsanierungen genutzt werden. Nächstes Jahr beginnt die Bahn mit der Modernisierung und Erneuerung der Strecken Hamburg - Berlin und Emmerich - Oberhausen.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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