13 Kommunen, ein Landkreis: Wer nach 1975 geboren ist, kennt das Oberbergische nur in seiner heutigen Struktur.
Dabei ist laut und leidenschaftlich diskutiert, geplant und gezankt worden, bis der Oberbergische Kreis das Gesicht hatte, das heute selbstverständlich erscheint. In den kommenden Ausgaben werden wir auf die Neuordnung des Kreisgebietes vor 50 Jahren, am 1. Januar 1975, zurückblicken. Wie fanden Lindlar, Wipperfürth und die neu aufgestellte Gemeinde Engelskirchen in den Oberbergischen Kreis? Wie gingen die Gimborner mit der Aufteilung ihrer Gemeinde um? Und wie sehr fühlen sich die Hückeswagener und Rader heute als Oberberger?
Zwar ist das Transparent inzwischen über sieben Jahre alt und hat in der Scheune eine Menge Staub angesetzt, aber die Buchstaben sind immer noch klar erkennbar: "Wenn's Gummersbach auch juckt, Gimborn wird nicht geschluckt". So eindeutig die Botschaft auch immer noch geschrieben steht, so unsicher ist inzwischen die Motivation derer, die sie einst aufgeschrieben haben, noch einmal das ganz große Fass aufzumachen. Sieben Jahre zuvor, im November 1967, war der Wille zum Protest noch Ehrensache. Auf einer Informationsveranstaltung der Kölner Bezirksregierung halten Hülsenbuscher und Gelpetaler das Transparent so hoch sie können – und letztlich auch triumphierend. Die Gemeinde Gimborn muss zwar Gebiet zwischen Gummeroth und Lobscheid an den großen Nachbarn abgeben, bleibt aber selbstständig, zumindest fürs Erste.
Ein Erfolg, der damals etwa Lieberhausen oder Bielstein nicht vergönnt ist. Und trotzdem: Die Planungen des Landes stellen unmissverständlich klar, dass Gimborn nach der ersten Neugliederung Oberbergs zum 1. Juli 1969 praktisch nur noch eine Gemeinde auf Abruf ist. Am Silvesterabend 1974 finden sich die Menschen zwischen Remshagen, Herreshagen und Siemerkusen allmählich damit ab, dass sie am Neujahrsmorgen in einer anderen Gemeinde aufwachen werden.
Vertraulicher Erlass
Bereits im Frühjahr 1962 hat der NRW-Landtag das neue Landesplanungsgesetz verabschiedet, die Kommunen an Rhein und Ruhr sollen zukunftsfest gemacht werden. Von den 2300 kreisangehörigen Gemeinden im Land zählen fast 1900 unter 5000 Einwohner und immer noch 1000 Kommunen weniger als 1000 Einwohner. Das reicht längst nicht mehr für die Dinge, die eine moderne Gemeinde nach den damaligen Vorstellungen der Landesregierung soll unterhalten können. Zitat des damaligen NRW-Innenministers Willi Weyer (FDP): "Mit Recht stellt der Bürger heute höhere Anforderungen an die Leistungen einer Gemeinde, als das früher der Fall war. Er verlangt, neben der meistens schon vorhandenen Wasserversorgung und Kanalisation, ein voll ausgebautes Volksschulsystem mit Turnhalle und Lehrschwimmbecken, ausreichende Sportanlagen, insbesondere ein Freibad, Müllabfuhr, Kindergarten, Jugend- und Altenheime, sowie eine Bücherei. Diese Grundausstattung ist aber nur in Gemeinden sinnvoll, die mindestens 5000, besser 10.000 Einwohner haben."
Im Februar 1966 weist Weyer die Oberkreisdirektoren im Land an, ihre Vorstellungen über die Neugliederung der Gemeinden ihres Landkreises mitzuteilen. Dass Düsseldorf den Erlass, der auch Oberbergs OKD Friedrich-Wilhelm Goldenbogen erreicht, als "vertraulich" einstuft, das Papier dann aber doch öffentlich wird, schürt das Misstrauen in den Gemeinden, denn sie sitzen bei den Planungen nicht mit am Tisch.
Entsprechend hitzig wird gestritten, als Goldenbogen den Planungsausschuss des Oberbergischen Kreistags am 24. Februar 1967 von seinem Konzept unterrichtet, dass Oberberg nach dem 1. Juli 1969 nur noch aus neun statt bisher 14 Kommunen bestehen soll. Schauplätze gibt es genug: Waldbröl etwa spekuliert auf Denklingen, das dann aber mit Eckenhagen die neue Gemeinde Reichshof bildet. Lieberhausen verschwindet ganz von der Landkarte und wird auf Gummersbach und Bergneustadt aufgeteilt. Besonders heftig wird in Wiehl und Bielstein gezankt. Hier überziehen sich die Gemeinderäte gegenseitig mit Kriegsrhetorik und blasen dann gemeinsam zum Sturm auf Gummersbach, als es um Gebiet am südlichen Aggerufer bis Osberghausen geht. Letztlich setzt sich Goldenbogen mit seinen Plänen aber durch, der Kreistag und die Gemeinderäte segnen den ersten Schritt der Gebietsreform ab.
Doch bald schon kündigen sich weitere Veränderungen an, diesmal in deutlich größerem Maßstab. Oberstes Ziel der Landesregierung ist es, Köln zur Millionenstadt zu machen. Zeitgleich mit der Kölner Einverleibung von Wesseling und Porz – die eine Stadt wegen ihrer Industrie, die andere wegen des Flughafens – soll auch das Kölner Umland neu aufgestellt werden. Am 21. November 1970 berichtet die Oberbergische Volkszeitung von einem "Geheimplan" des Kölner Regierungspräsidenten Günter Heidecke, der eine Steigerung der Einwohnerzahl des Oberbergischen von bisher rund 150.000 auf etwa 208.000 Menschen vorsehe. Damit entstünde, so argumentiere Heidecke, in Oberberg ein Gebilde, das die aus Sicht der Landesregierung nötige Bevölkerungszahl nahezu optimal erfülle. Nach und nach findet dieser Vorschlag auch in den Düsseldorfer Ministerien immer mehr Anhänger.
Mehrere Alternativen im Norden
In einer vielbeachteten Pressekonferenz im rappelvollen Gebäude der Kölner Bezirksregierung stellt Innenminister Willi Weyer – der immer noch im Amt ist – am 1. März 1974 den finalen Schritt der Neuordnung vor: Lindlar (mit dem eingemeindeten Hohkeppel) und Engelskirchen (durch Zusammenschluss mit Ründeroth) sollen auf alle Fälle vom Rheinisch-Bergischen Kreis nach Oberberg wechseln. Auch Wipperfürth soll zum 1. Januar 1975 oberbergisch, die Gemeinden Klüppelberg und Wipperfeld zu Wipperfürther Stadtteilen werden. Das wirtschaftlich bedeutsame Leppetal wird Lindlarer Gebiet, die übrigen Gimborner Landstriche kommen zu Gummersbach und vor allem zu Marienheide.
Unsicherer ist die Situation allerdings weiter nördlich: Für Hückeswagen und Radevormwald, die bis dato beide zum Rhein-Wupper-Kreis gehören, der aber aufgelöst werden soll, präsentiert Weyer mehrere Szenarien – letztlich stimmen beide Räte aber für die Zugehörigkeit zu Oberberg, die sie als Garanten für ihre Selbstständigkeit ansehen, nachdem die Stadt Remscheid bereits mehrere Versuche der Einverleibung unternommen hat.
Am Ende seines Vortrags in Köln gibt Weyer allen Kommunen bis Ende April 1974 Zeit, sich zu äußern. Erneut beginnen aufregende Monate, wenngleich der Diskurs insgesamt weniger hitzig abläuft, als Ende der Sechzigerjahre. Trotzdem ist die Neuordnung vor allem unter den Menschen in den vier "neuen" Kommunen Gesprächsthema Nummer eins. Für die Ründerother bedeutet der Zusammenschluss ein kleines Trauma, von dem heute noch erzählt wird – im Namen der neuen Gesamtgemeinde soll Ründeroth gar nicht mehr auftauchen. Aber auch in Lindlar wollen viele das "GL-Kennzeichen" nicht abgeben, manche gar ein "Volksbegehren" starten. Andererseits locken Steuereinnahmen aus dem wirtschaftlich starken Leppetal. In Wipperfeld kann man sich schwer vorstellen, dass das gefühlt eine Ewigkeit entfernte Gummersbach demnächst die Kreisstadt sein soll.
Im Hülsenbuscher Rathaus kommt der Gimborner Gemeinderat kurz vor dem Jahreswechsel 1974/1975 noch einmal zusammen. Seine allerletzte Rede im Amt beendet Bürgermeister Herbert Driewer mit den Worten: "Wir waren hier zufrieden, glücklich und geborgen. Gimborn wird auf dem Altar des Fortschritts geopfert." Das Transparent mit den großen Protestbuchstaben liegt da immer noch in der Scheune ein paar Häuser weiter. Die Gimborner haben es nicht mehr ausgerollt. © Kölner Stadt-Anzeiger
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