Seit 39 Jahren gibt es den Verein Rat und Tat in Köln. Er bietet mit Gesprächskreisen in vielen Veedeln Kölns und Einzelberatungen an seinem Domizil nahe der autofreien Siedlung in Nippes eine Anlaufstelle für Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ob das auch im kommenden Jahr weiterhin so sein wird, ist allerdings fraglich.
"Wir wollen natürlich gerne im kommenden Jahr unseren 40. Geburtstag feiern, suchen aber für den sicheren Fortbestand personelle Verstärkung", sagt Verona Kriwet-Baumann, die sich um die Pressearbeit kümmert und auch um vieles andere. Dringend benötigt werden ehrenamtliche Helfer, die den Vorstand fachkundig bei der Verwaltung unterstützen, etwa bei der Erstellung der Buchhaltung und der Kassenberichte sowie bei der Personalverwaltung und in allen Fragen rund ums Management.
Gesucht wird gerade händeringend auch eine Bürokraft in Teilzeit. Darüber hinaus braucht es Verstärkung für die Beratung der Hilfesuchenden; diese Ehrenamtlichen sollten jedoch, damit sie wirklich aus ihrer eigenen Erfahrung heraus beraten können, selbst Angehörige von Menschen mit psychischer Erkrankung sein. Es gibt acht Gesprächskreise, die moderierenden Personen sind teils aber schon jenseits der 70 und bräuchten Verstärkung durch Jüngere.
Kölnerin berät seit 30 Jahren Angehörige von psychisch Erkrankten
Ulrike Demmig ist eine von ihnen. Die Kölnerin ist inzwischen 79 Jahre alt. Zu Rat und Tat kam sie vor etwa 30 Jahren zu. "Meine Tochter ist geistig eingeschränkt. Sie kam nach der Schule in eine Werkstatt, wo sie überhaupt nicht zurechtkam". Demmigs Tochter Christiane hatte eine Schizophrenie entwickelt, fühlte sich verfolgt, aß nicht mehr, schlief nicht mehr. Die Eltern mussten sie zurück zu sich nach Hause holen. Die Situation war unerträglich. Mutter und Tochter konnten nicht miteinander reden, der zwei Jahre jüngere Sohn fühlte sich vernachlässigt.
Demmig telefonierte herum, suchte Hilfe, stieß schließlich auf den damaligen Psychiatrie-Referenten beim Gesundheitsamt der Stadt Köln, der sie an Rat und Tat verwies. "Im Gesprächskreis in Sülz fragte man mich dann zum ersten Mal die Frage: Und wie geht es Dir? Alles drehte sich immer nur um die Krankheit der Tochter, ihre Versorgung, ihre Behandlung, hier ging es endlich einmal um mich und ich lernte, dass ich auch mal traurig sein darf, und meine Gefühle eine Rolle spielen." Aus der Hilfesuchenden wurde nach einiger Zeit dann eine Hilfe-Leisterin, denn das ist das Prinzip von Rat und Tat: Betroffene sind für Betroffene da.
"Die Menschen, die zu uns kommen, wollen von unseren Erfahrungen profitieren", erklärt Michaela Pawlik, die derzeit im Büro aushilft. Die Sozialpädagogin hat viele Jahre lang ein Haus für Frauen mit psychischen Erkrankungen geleitet und engagiert sich jetzt in ihrer Altersteilzeit bei Rat und Tat. Weil ihr Ehemann auch psychisch erkrankt war, kennt sie sowohl die professionelle als auch die private Dimension, eine ideale Kombination.
Ehrenamtler gehen mit in die Klinik, geben praktische Hilfestellungen
Angehörigen wird bei Rat und Tat auch ganz praktische Hilfe zuteil. Wenn gewünscht, gehen die ehrenamtlichen Berater auch mit in die Kliniken, um vor Ort Hilfestellung zu geben. Dabei geht es ihnen auch immer darum, die psychischen Erkrankungen aus der Tabuzone zu holen. Denn noch immer sprechen viele Betroffene nicht über ihre Probleme.
Ulrike Demmig wurde im Sommer mit dem Ehrenamtspreis der Stadt Köln ausgezeichnet. "Schon zum zweiten Mal, beim ersten Mal haben wir das aber gar nicht thematisiert. Mein Mann, der eine Firma leitete, wollte nicht auf das Thema angesprochen werden, es wäre ihm unangenehm gewesen", erzählt Demmig.
Der Verein ist deshalb auch Mitglied beim Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, das es sich zum Ziel gesetzt hat, das Stigma rund um psychische Erkrankungen zu verringern. Ihr Erkennungszeichen ist eine lindgrüne Schleife. Auch Kinder von Sucht erkrankten Elternteilen suchen Hilfe beim Verein Rat und Tat.
Nicht erst seit Caroline Wahl den Überlebenskampf zweier Töchter einer alkoholsüchtigen Mutter in ihrem Roman 22 Bahnen zu einem Bestseller machte, ist dieses Thema in der Welt. In vielen Familien ist der tägliche Kampf mit den Folgen der Sucht Realität. Freunde, Nachbarn, die diese Problematik mitbekommen, können sich ebenso an den Verein wenden und aufgrund ihrer Erfahrungen anderen Betroffenen helfen und als ehrenamtlich tätige Berater bei Rat und Tat einsteigen.
Denn die wichtigste Voraussetzung für die ehrenamtliche Arbeit ist die Menschen-Liebe. Der Verein gibt Neulingen auch eine Einführung in die Thematik. "Die Neuen laufen erstmal mit, wir arbeiten aber auch gerade an einem Konzept, wie wir neue Kräfte einarbeiten. Im Übrigen haben wir alle zwei Monate eine Fachkraft hier, die eine Supervision anbietet", erklärt Michaela Pawlik. Ulrike Demmigs Tochter lebt inzwischen in einer Wohngruppe, hat einen Freund und trifft sich regelmäßig mit ihrer Mutter. Ihr Verhältnis hat sich entspannt.
Wer sich bei Rat und Tat engagieren möchte, kann sich per Telefon unter 0221 - 9139401 oder per E-Mail melden. info@rat-und-tat-koeln.de © Kölner Stadt-Anzeiger
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