Jahrhundertelang bekam die bergische Bevölkerung ihr Brot aus Backhäusern, im Rheinischen kurz "Backes" genannt.

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Doch später hatte jedes Dorf eine Bäckerei, die Backhäuser wurden überflüssig. In den 1980er und -90er Jahren wurden viele von ihnen neu erbaut – und Bürgergemeinschaften und Vereine halten die Tradition aufrecht.

In Troisdorf-Altenrath ließ die Arbeiterwohlfahrt den Backes wieder auferstehen

Es duftet nach Stollen im Backes in Troisdorf-Altenrath, regelmäßig kommen Eva Savvoulidou und Thamannta Böck hierher. In der kleinen Backstube gibt es kaum Platz für die beiden Frauen und die großen Knetmaschinen, etwa die Hälfte des Raums nimmt der Ofen ein.

"Ich komme aus Griechenland und bin damit groß geworden, dass regelmäßig für die Nachbarschaft gebacken wurde. Als der Backes in Altenrath gebaut wurde, habe ich geheult vor Glück", erzählt Savvoulidou. 1991 ließ die Altenrather Awo den Backes direkt neben dem ehemaligen Feuerwehrhaus am Sandhasenplatz auferstehen.

Ich bin die Letzte, die das das Handwerk zu Hause mitbekommen hat

Eva Savvoulidou

Viele Ehrenamtliche nutzten die kleine Backstube über die Jahre, ehe sie zum Jahresende 2010 geschlossen werden sollte. "Die Betreibenden waren zu alt geworden – aber das konnte ich nicht zulassen", beschreibt Savvoulidou, die sich fortan um den Backes kümmerte. "Ich bin die Letzte, die das das Handwerk zu Hause mitbekommen hat", sagt die 66-Jährige.

Ob es in Altenrath früher ein Dorfbackhaus gab, ist nicht überliefert. Doch in Ruppichteroth gab es nach dem Zweiten Weltkrieg einen Backes, ehe eine Bäckerei die Bevölkerung versorgte. Ein nachgebauter, aber voll funktionsfähiger Backes steht in Much-Berzbach am Technik- und Bauernmuseum.

In Lohmar betreibt der Verkehrs- und Verschönerungsverein Wahlscheid (VVW) einen Backes, ebenfalls ein Nachbau aus dem Jahr 1998. Entstanden aus einer Kirmes-Idee errichteten handwerklich geschickte Vereinsmitglieder ein Fachwerk-Häuschen auf dem Gelände des Heimatmuseums von Kurt Oberdörster in Schönenberg.

In Lohmar-Wahlscheid pflegt der Verschönerungsverein die Tradition

"Der VVW erinnert an die Historie des Brotbackens früherer Zeiten, als Backhäuser auf bäuerlichen Gehöften oder Mühlen zu finden waren und als Gemeinschaftsanlagen betrieben wurden. An den Backtagen konnte jeder seinen Brotteig zum Aufbacken vorbeibringen, dieser wurde gekennzeichnet, sodass man sein eigenes Brot auch wieder zurückbekam", erklärt die Vorsitzende Sabine Neumann. Der VVW habe die Tradition der Backtage wieder aufleben lassen wollen.

"Wir backen Brote und Blatz nach Rezepten, die wir speziell für unseren Backes optimiert haben. Zudem lassen wir den Teig über Nacht ruhen, wodurch das Brot besser verdaulich wird, eine feinere Struktur erhält und intensiver schmeckt", sagt Neumann. Eine Besonderheit: Der Backofen wird von unten geheizt, wodurch die Hitze besser reguliert werden kann. Zwischen April und Oktober backen die Vereinsmitglieder einmal im Monat.

Nicht nur Backhaus, sondern generationenübergreifender Dorftreff ist der Backes in Kurtsiefen in Neunkirchen-Seelscheid. Auch er wurde erst in jüngerer Vergangenheit erbaut – und Frank Alefelder von der Dorfgemeinschaft Kurtsiefen besitzt einen Schlüssel. Der Backes steht auf dem Dorfplatz neben einem Nussbaum.

Dorfgemeinschaft in Neunkirchen baute zwei Jahre an ihrem Backhaus

Es war Alefelders Elterngeneration, die den Bau vor knapp 40 Jahren vorangetrieben hatte. Der Backes ist ein Originalbau, der an neuer Stelle errichtet wurde. "Unsere Handwerker haben nach einem geeigneten Bau gesucht, den hat ihnen aber das Freilichtmuseum Lindlar vor der Nase weggeschnappt. Zum Ausgleich musste es Ersatz finden", berichtet Alefelder.

Zwei Jahre lang errichtete die Dorfgemeinschaft den Rohbau, setzte die Fachwerk-Bauteile ein. 1988 war der Backes fertig. Der Ofen ist im Gegensatz zu dem in Altenrath in einen Anbau ausgelagert und ungleich größer: Er besitzt genug Platz für eine Theke, einen Tisch, der Dachboden ist ausgebaut.

Auf ihr Dorfgemeinschaftshaus sind die Menschen in Kurtsiefen so stolz, dass nicht mal Erste-Hilfe-Geräte an die Außenwand gehängt werden durften. Ein Defibrillator steckt deswegen in einer eigens errichteten Box, die neben dem Nussbaum steht. "Das Ziel des Backes war tatsächlich die regelmäßige Nutzung. Der Bäcker Stümper kommt vier, fünf Mal im Jahr und backt Brot mit dem Dorf. Die sind auch ruckzuck ausverkauft", sagt Alefelder.

Die Schwierigkeit bestehe jedoch darin, den Brennraum gleichmäßig warm zu bekommen. Nur wenige Menschen im Dorf beherrschten diese Kunst, die Alefelders Vater weitergab. "2018 war er für ein paar Tage im Krankenhaus und hat mir per Mail eine Anleitung geschrieben."

Die Dorfgemeinschaft in Kurtsiefen trifft sich jeden Mittwoch zum Backen

Doch unerwartet und plötzlich verstarb der Vater – und hätte das Wissen um die Befeuerung des Ofens beinahe mit ins Grab genommen. "Diese Mail ist die einzige Überlieferung", sagt Alefelder, er hat sie ausgedruckt. "Selbst der Bäcker hat einige Anläufe gebraucht, bis er es verstanden hat."

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Wöchentlich treffe sich die Dorfgemeinschaft in ihrem kleinen Refugium, das sie regelmäßig pflegt. "Vor zehn Jahren wäre das beinahe eingeschlafen, weil die Alten alle gestorben waren. Nun wahren wir ihr Vermächtnis und treffen uns jeden Mittwoch hier – das ist vielleicht das Wichtigste, was sie uns hinterlassen haben."  © Kölner Stadt-Anzeiger

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