Leichter Nieselregen fällt in der Abenddämmerung des 9. Mai 2023, als ein Fremder zwischen 19.30 Uhr und 20 Uhr an einem Wohnhaus in Hangelar klingelt.

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Der Hausherr, ein 67 Jahre alter ehemaliger Unternehmer, geht zur Tür und sieht durch die Glasscheibe einen jungen Mann mit dunklem Teint und lockigem Haar, elegant gekleidet mit schwarzem Anzug, weißem Hemd, schwarzen Lackschuhen und schwarzen Handschuhen.

Als käme er von einem Michael-Jackson-Double-Konzert

"Der sieht aus, als käme er von einem Michael-Jackson-Double-Konzert", denkt er und öffnet. Der Unbekannte trägt auf den Unterarmen einen Laptop und sagt in akzentfreiem Deutsch: "Ich komme von der Telekom. Ist so weit alles in Ordnung mit Ihrem Anschluss?" Ja, alles sei in Ordnung, antwortet der Hausherr, gerade sei sein IT-Experte da. Eine knappe Stunde zuvor ist ein Bekannter gekommen, der ihm bei der Reparatur des Internetanschlusses helfen soll.

Der 67-Jährige ruft dem vermeintlichen Telekom-Vertreter noch scherzhaft hinterher: "Ich dachte, Sie wollten mir eine Bibel verkaufen", schließt ab und kehrt in die Küche zurück, als einige Minuten später erneut geläutet wird. "Da ist der Typ von vorhin wieder, vielleicht kommst du mal", ruft er seinem Gast zu und öffnet die Tür etwa 20 Zentimeter weit.

Alptraummoment in einem Sankt Augustiner Wohnhaus

"Ich habe eine Frage", sagt das Michael-Jackson-Double: "Wohnt ihr zwei schon lange hier?" Dann habe der unvermittelt den rechten Arm gehoben, in der Hand ein Messer mit 30 bis 40 Zentimeter langer Klinge, "ist auf mich zu gesprungen und hat versucht, auf mich einzustechen", erzählt der Zeuge gestern vor dem Bonner Schwurgericht von dem Alptraummoment im Mai vergangenen Jahres an seinem Haus.

Auf der Anklagebank sitzt ein 32-jähriger Bonner, lockige Haare, gepflegte Erscheinung in schwarzem Anzug, dunklem Hemd und Springerstiefeln. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord vor.

Der Hangelar Ex-Unternehmer hat es wohl nur seiner Kraft und der Hilfe seines Gastes zu verdanken, dass er den Angriff unverletzt überstanden hat. Er hält nämlich die rechte Hand noch an der Klinke, als er das Messer sieht und kann so die Tür ein wenig zudrücken, doch der Attentäter schiebt einen Fuß in den Spalt und presst von außen gegen die Pforte. Drinnen stemmen sich der Eigentümer und der IT-Fachmann dagegen, der eine oben, der andere unten.

Mühseliger, erschöpfender Kampf über zehn Minuten

Der Kampf habe zehn Minuten gedauert, berichtet der 67-Jährige, "ein mühseliger, erschöpfender Kampf", es geht Zentimeter um Zentimeter. Der Angreifer sei "äußert aggressiv" gewesen, habe – immer mit dem Gesicht auf der Glasscheibe – kräftig geschoben. Irgendwann gelingt es dem Verteidiger, einen Faustschlag auf der Nase des Anderen zu platzieren, Blut fließt, doch er gibt nicht auf.

"Der will uns ans Fell", denkt der Hausherr. Auf der Suche nach einem rettenden Werkzeug fällt ihm ein Feuerzeug in seiner Hosentasche ein, er löst die rechte Hand von der Tür, zieht es heraus und gibt es dem Helfer unter ihm. "Fackel ihm die Hose an!", schreit er. Der Kumpel nimmt es, lässt die Flamme aufspringen und hält sie an den Fuß im Türspalt.

Ob die Hose wirklich gebrannt hat oder Beinhaare angesengt wurden, ist nicht bekannt. Aber der Angreifer gibt auf; die beiden Männer im Haus verriegeln sofort den Eingang, und während der Eigentümer die Polizei ruft, sieht der Helfer, wie der Fremde mit einer langen Tasche unterm Arm zur Terrasse des Anwesens eilt. Geistesgegenwärtig lassen die Männer per Fernbedienung sämtliche Rollläden herunter.

Verräterische DNA-Spuren an Türscheibe und Briefkasten

Die Polizei sichert später DNA-Spuren auf der Türscheibe und dem Briefkasten, die dem Angeklagten zugeordnet werden können. Vor Gericht schweigt er, sagt weder etwas zur Person noch zu den Vorwürfen; deshalb erfahren die Zuhörer nichts vom möglichen Motiv der Attacke.

Sicher ist allerdings, dass die Staatsanwaltschaft Bonn nach Angaben eines Sprechers wegen einer ähnlichen Straftat gegen den Angeklagten ermittelt. Knapp drei Wochen nach dem Überfall in Hangelar griffen zwei Männer auf der Suche nach Wertsachen ein Ehepaar, 79 und 69 Jahre alt, in seiner Villa in Sankt Augustin mit einem Messer an und fügten dem Mann schwere Stichverletzungen zu, seine Ehefrau wurde nur leicht verletzt.

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Fahndung mit Phantombild, Festnahme in Oberkassel

Das Opfer ist ein Golfkamerad des Unternehmers, der nach dem Angriff mehrere Tage auf Empfehlung der Polizei in einem Hotel übernachtete und auch Personenschutz bekam. Ein Auftragsmord sei damals nicht ausgeschlossen worden, erzählt der 67-Jährige im Zeugenstand. Nach dem Angeklagten wurde mit einem Phantombild gefahndet; er konnte nach fast einem Jahr am 6. März 2024 in Oberkassel festgenommen werden und sitzt seitdem in Siegburg in Untersuchungshaft. Der Prozess wird fortgesetzt.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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