Laura M. (Name geändert) wurde nur 30 Jahre alt. Dann wurde sie umgebracht. Mutmaßlich von ihrem Ehemann.

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"Wenn ich von dieser Frau höre, die ihr Leben lassen musste, geht mir das sehr nahe. Das hätte ich sein können", sagt Alina Breuer (Name geändert). Sie sitzt in einem Büroraum eines Frauenhauses. Hier hat sie mit ihrem Kind Zuflucht gefunden.

"Wir mussten vor der Gewalt meines Mannes flüchten", berichtet sie. 643 Fälle von häuslicher Gewalt listet die polizeiliche Kriminalstatistik für den Kreis Euskirchen im Jahr 2023 auf. Die meisten Opfer: Frauen. Seit 2017 hat sich die Zahl der Delikte beinahe verdreifacht. Damals zählte die Statistik 237 Fälle. Im Jahr 2019 ging die Zahl sogar auf 167 zurück. Seitdem steigt sie.

Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus

"In den letzten zehn Jahren ist tatsächlich eine drastische Steigung erlebbar. Wir haben jetzt 40 Prozent mehr Fälle als 2014", sagt Friedrich Ohst, Leiter der Außenstelle des Weißen Rings im Kreis Euskirchen. Das bestätigen auch Astrid Günther, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Euskirchen, und Alesha Gasior, Vorsitzende des Opfernetzwerks. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass die Dunkelziffer gerade hier im ländlichen Raum noch viel höher liege, sind sich die drei einig.

"Es gibt tausend individuelle Gründe, warum es schwer ist zu gehen", berichtet Gasior von ihren Erfahrungen mit betroffenen Frauen. Die psychische Gewalt sei für viele Frauen am schlimmsten. "Die Frauen sind teilweise nicht mehr lebensfähig. Der Täter hat sie über Jahre so abhängig gemacht", bekräftigt Ohst. Oft werden laut Gasior Kinder als Druckmittel eingesetzt.

Hinzu komme, dass viele Frauen die Schuld bei sich selbst suchten, Angst vor gesellschaftlichem Abstieg hätten und am Bild der perfekten Bilderbuchfamilie festhalten wollten, zählen die Experten weitere Gründe auf. Und selbst wenn sich eine Frau aus einer gewaltvollen Beziehung befreien könne, bedeute das nicht, dass sie den Täter auch anzeige, so Gasior.

Denn dafür müsse sie das Erlebte bei der Polizei noch einmal durchgehen und sei verschiedensten strukturellen Hürden ausgeliefert, und das koste viel Kraft. Zumal viele Frauen befürchteten, dass man ihnen mit Misstrauen begegne, berichtet Gasior weiter. Und es gebe noch einen Grund, warum auf eine Anzeige verzichtet werde: "Wenn Anzeige erstattet wird, kommt es oft nicht zu einer Verhandlung."

Mein Mann hat mich über Stunden festgehalten und mich mit Fäusten und Füßen traktiert.

Alina Breuer

In den meisten Fällen stehe Aussage gegen Aussage. Abhängigkeit und Angst – diese Gefühle kennt Alina Breuer nur zu gut. Jahrelang sei sie der psychischen Gewalt ihres Mannes ausgesetzt gewesen. Die so weit gegangen sei, dass sie ihren Job verloren habe, weil ihr Mann immer wieder an ihrer Arbeitsstelle aufgetaucht sei.

Dann wurde aus der psychischen Gewalt physische. "Mein Mann hat mich über Stunden festgehalten und mich mit Fäusten und Füßen traktiert", berichtet die Mutter. "Dann hat er mich mit einem Messer bedroht." Zum Glück habe sie aus der Wohnung fliehen und die Polizei rufen können.

Das Opfer hat aus Angst 20 Tage lang die Wohnung nicht verlassen

Diese habe den Mann dann aus der Wohnung entfernt und eine Wegweisung ausgesprochen. Damit kann die Polizei eine Person, wenn von ihr Gefahr für andere Personen ausgeht, aus einer Wohnung verweisen und ihr die Rückkehr untersagen. Eine Wegweisung gilt für zehn Tage. In ihrem Fall sei die Wegweisung noch einmal um zehn Tage verlängert worden, berichtet Breuer.

20 Tage, in denen sich der Ehemann ihr und der Wohnung zwar nicht nähern durfte, allerdings noch im selben Ort lebte. Aus lauter Panik, er könne ihr irgendwo auflauern, habe sie in diesen 20 Tagen die Wohnung nicht verlassen, berichtet sie. Sie habe Todesangst gehabt. Breuer stellte einen Antrag auf Wohnungszuweisung für sie und das Kind sowie einen Antrag auf ein Näherungsverbot.

Den Tätern passiert gar nichts, und die Frauen leben in Angst und Panik.

Alina Breuer

Dazu habe es ein Gewaltschutzverfahren gegeben, allerdings erst zwei Wochen nach dem Ablauf der 20 Tage der Wegweisung. Für Breuer ein Unding. Auch Polizeischutz für sie und das Kind habe es bei dem Verfahren nicht gegeben, weshalb sie aus Angst nicht an dem Verfahren teilgenommen habe. Breuer ist wütend darüber, wie die Behörden mit ihr und anderen betroffenen Frauen umgehen.

"Den Tätern passiert gar nichts, und die Frauen leben in Angst und Panik", sagt sie. Auf die Wohnungszuweisung habe sie schlussendlich verzichtet, weil sie sich nicht getraut habe, in die Wohnung und damit ins direkte Umfeld ihres Ex-Mannes zurückzukehren. Immerhin habe das Verfahren dafür gesorgt, dass sie ohne Mietschulden aus dem gemeinsamen Mietvertrag aussteigen konnte.

Oft wird zu viel Rücksicht auf die Täter genommen

Über den Antrag auf ein Näherungsverbot sei aber gar nicht gesprochen worden. "Die Gewalt gegen mich wurde in dem Gewaltschutzverfahren komplett ausgeklammert", macht sie ihrem Ärger Luft. Mit ihren Erfahrungen ist Breuer nicht alleine. Das Gewaltschutzverfahren ist Sache des Familiengerichts. "Das Familiengericht ist immer auf eine einvernehmliche Entscheidung aus", berichtet Gasior.

Das funktioniere vielleicht bei Trennungen, wo die Fronten lediglich verhärtet seien, aber es funktioniere nicht mehr, sobald Gewalt im Spiel sei. Auch Günther bemängelt: "Bei den Verfahren vor dem Familiengericht wird oft noch zu viel Rücksicht auf die Täter genommen." Dabei habe das Familienrecht durchaus Möglichkeiten, die Täter in die Verantwortung zu nehmen, weiß Gasior.

In den Fällen, wo es um häusliche Gewalt geht, müsste es Sonderregeln geben.

Alesha Gasior

Beispielsweise könne das Gericht Umgangskontakte zwischen dem Vater und den Kindern für eine Zeit aussetzen, das Sorgerecht vorübergehend auf die Mutter übertragen oder eine Täterberatung sowie regelmäßige Drogenscreenings anordnen. Ihrer Erfahrung nach werde das aber nur selten gemacht. Sie kritisiert außerdem, dass es keinen Austausch zwischen Familien- und Strafgericht gebe. "In den Fällen, wo es um häusliche Gewalt geht, müsste es Sonderregeln geben", fordert Gasior.

Eine Strafanzeige gegen den Mann werde nämlich vor dem Familiengericht nicht berücksichtigt. Die Erfahrung hat auch Alina Breuer gemacht. Sie hat ihre Verletzungen von der Polizei und etwas später auch von ihrer Hausärztin dokumentieren lassen und Strafanzeige gestellt. Das Verfahren steht noch aus. Im Gewaltschutzverfahren habe diese Strafanzeige jedoch keine Rolle gespielt.

Die Mutter hat nach wie vor große Angst vor ihrem Ex-Mann. "Ich wache nachts schweißgebadet auf und denke, er steht über mir und schlägt mich", berichtet sie. Sie fürchtet sich davor, dass er sie aufspüren und dann vielleicht tatsächlich umbringen könnte. Das kommt laut Weißem Ring auch trotz vorher erwirkter Kontakt- und Näherungsverbote immer wieder vor.

Deshalb fordere der Opferschutzverein, in Deutschland die elektronische Fußfessel bei Fällen von häuslicher Gewalt einzuführen, berichtet Friedrich Ohst. Und zwar nach dem spanischen Modell. Dabei trage nicht nur der Täter eine elektronische Fußfessel, das Opfer werde zudem mit einem elektronischen Empfänger ausgestattet. So könne nicht nur die Polizei, sondern auch die Betroffene selbst überwachen, dass der Mann sich ihr nicht mehr nähere.

Außerdem schaffe das Beweisbarkeit, so Gasior. Für Alina Breuer wäre es eine große Erleichterung, wenn sie Gewissheit hätte, dass sich ihr Ex-Mann ihr nicht mehr nähern kann. "Der ganze weitere Weg wird ja nicht einfacher", sagt sie. Sie sei dankbar für die Hilfe, die sie bis jetzt erfahren habe. Immerhin: Seit sie im Schutzhaus lebt, kann sie schon wieder nach draußen gehen und etwas freier atmen.

Täter greifen zu perfiden Mitteln

"Eine neue perfide Masche ist, dass der Täter der Frau mit einer Anzeige zuvorkommt", berichtet Friedrich Ohst vom Weißen Ring. Auch Alesha Gasior hat das schon erlebt. In diesen Fällen gehe der Mann zur Polizei, sobald er den Verdacht habe, seine Frau könne ihn anzeigen, und zeigt sie seinerseits an, so Ohst. Oft wegen Kindesmissbrauch. Denn auch wenn an den Vorwürfen nichts dran sei: Damit werde die Frau zur Täterin. "Dann greifen die ganzen Opferschutzrechte nicht", erklärt Gasior das Ausmaß dieses Vorgehens.

"Das sind Konstellationen, wo Frauen zurückschrecken, sich aus der Situation zu befreien", sieht die Gleichstellungsbeauftragte Astrid Günther eine weitere Gefahr. Der Weiße Ring in NRW habe diese Masche aber auf dem Schirm und schaue sich die Fälle genau an, so Ohst. Man lasse die Frauen da nicht alleine. Grundsätzlich sehen die drei noch viel Handlungsbedarf, was das Thema angehe.

Es lohnt sich immer, Hilfe zu suchen

Alesha Gasior

Eine Umsetzung des Entwurfs für ein Gewalthilfegesetz, das vom Kabinett bereits beschlossen wurde, aber noch durch den Bundestag muss, würden sie begrüßen. Eine Verabschiedung gilt angesichts der im Februar geplanten Neuwahlen allerdings als unwahrscheinlich. Trotz der vielen Hürden ist den dreien eines wichtig zu betonen: "Es lohnt sich immer, Hilfe zu suchen", so Gasior.

Und auch an Nichtbetroffene haben sie einen Appell. "Lieber einmal zu viel als zu wenig die Polizei rufen", sagt Günther. Im Kreis Euskirchen gibt es verschiedene Hilfsangebote für Betroffene von häuslicher Gewalt: Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 116 016 Der Runde Tisch gegen häusliche Gewalt, euskirchen-gegen-haeusliche-gewalt.de Der Verein Frauen helfen Frauen, Tel. 0 22 51/75 354 frauen-helfen-frauen.eu Der Weiße Ring, Tel. 01 51/55 16 48 32.

Der Begriff Beziehungsdelikt wird kritisiert

Nach dem Mord an einer 30 Jahre alten Frau in Füssenich sprach die Polizei von einer mutmaßlichen Beziehungstat. Doch an diesem Begriff gibt es Kritik. "Die Polizei spricht von einem Beziehungsdelikt, wenn zwischen Täter und Opfer zum Zeitpunkt der Tat eine tatrelevante (soziale oder familiäre) Beziehung bestand", teilt Sprecher Franz Küpper auf Nachfrage mit. Es handele sich um einen sachlichen Begriff, der die Straftat nicht verharmlose. Für Alina Breuer ist der Begriff "schwierig". Natürlich gebe es in solchen Fällen eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, doch die Tat gehe weit darüber hinaus.

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Alesha Gasior wird noch deutlicher: "Das geht für mich gar nicht. Das verharmlost es und nimmt die Frau mit in die Verantwortung für die Gewalt." Und sie sagt weiter: "Beziehungstat stellt die Beziehung in den Vordergrund und nicht die Gewalt." Auch für Friedrich Ohst ist der Begriff nicht zutreffend. Er nehme zu sehr beide Seiten in die Verantwortung und übersehe, dass es in den meisten Fällen ein deutliches Machtgefälle gebe.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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