Weihnachten, das Fest des Friedens und der Liebe? In vielen Familien auch im Rhein-Sieg-Kreis ist das ein schöner Traum. Denn häusliche Gewalt macht an den Feiertagen keine Pause.
"Wir sind immer gewarnt", sagt Michiko Park vom Verein Frauen helfen Frauen, Träger des Frauenhauses in Troisdorf, zur Situation vor Weihnachten. Zu ohnehin vorhandenen Spannungen komme dann der Druck, dem Idealbild von Weihnachten entsprechen zu wollen. Da solle das Fest für die Kinder schön sein, dem Partner wolle man es recht machen.
Manchmal macht Wohnungsnot eine Trennung unmöglich
Auch an den Feiertagen gibt es im Frauenhaus eine telefonische Rufbereitschaft. "Ich bin selber rausgefahren, weil es eine Krise gab", erinnert sich Park an Weihnachten 2023, als der jährlich wechselnde Dienst in ihren Händen lag. Weihnachten vor einem Jahr kam auch eine Hilfe suchende Frau mit ihren Kindern ins Frauenhaus. Und lebt dort bis heute.
"Sie findet einfach keine Wohnung", erzählt Michiko Park. Und das treffe Tausende: "Sie würden sich vielleicht trennen, wenn sie eine Wohnung fänden", zum Teil lebten Familien auf engstem Raum. Der Weg ins Frauenhaus ist oft keine Option, zu klein ist die Zahl der verfügbaren Plätze. Wenn das Troisdorfer Haus im bundesweiten Hilfesystem "auf Grün" stellt und damit eine Aufnahmemöglichkeit anzeigt, "geht das sofort los", sagt Park.
Zwei Anrufe seien allein Anfang der Woche eingegangen, im einen Fall hatte sich die Anruferin vor den Schlägen des Partners auf die Straße geflüchtet. "Sie konnte nicht fassen, dass wir sie nicht aufnehmen konnten", erinnert sich Park an das Telefonat. "Das ist auch für uns total belastend, ich kann mich da nicht dran gewöhnen." Es gehe schließlich um Leib und Leben, "kleiner ist es nicht".
Auf der Haben-Seite verbucht Michiko Park, dass das Thema immer mehr Öffentlichkeit finde. "Die Menschen sind total geöffnet für das Thema", Spendenaktionen unterstützten die Arbeit des Frauenhaus-Trägers. Wünsche hat sie aber auch einmal mehr an den Rhein-Sieg-Kreis: "Wir hätten Ideen", wirbt sie für Gespräche im kommenden Jahr.
Polizei Rhein-Sieg erwartet Anstieg der Fallzahlen wie im Bundestrend
Um sechs Prozent sei bundesweit die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr gestiegen, weiß Kerstin Lorenz aus der Fachstelle Kriminalprävention und Opferschutz der Polizei Rhein-Sieg. Natürlich sei der Anstieg auch hier zu verzeichnen, in diesem Jahr dürfte es ähnlich sein, schätzt sie. Die Zahlen seien aber mit Vorsicht zu betrachten: "Wir sehen nur das Hellfeld", betont Lorenz, die auch am Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen im Rhein-Sieg-Kreis mitarbeitet.
"Wenn wir von Straftaten erfahren, müssen wir das verfolgen", erklärt Lorenz: Mal meldeten sich die Gewaltopfer selbst, mal seien es Nachbarn, die die Polizei alarmierten. "Ganz selten", sagt sie, seien es Kinder. Die Beamten informierten dann über die Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen. Dazu gehört das Instrument der Wohnungsverweisung und des Rückkehrverbots für zehn Tage, aber auch der Hinweis auf Beratungsstellen.
Sind die Anzeigenden einverstanden, so gibt die Opferschutz-Fachstelle deren Kontaktdaten weiter an Beratungsstellen wie das Frauenzentrum Troisdorf. Das könne mit Dolmetschern auch bei der Überwindung von Sprachbarrieren helfen. Aber selbst, wenn die Betroffenen keine Anzeige erstatten wollen, wird der Übergriff unter Umständen öffentlich: "Der Opferschutz benachrichtigt immer die Jugendämter, wenn Kinder da sind", erklärt Kerstin Lorenz.
Das sei für sie beruhigend, denn dann seien "die Kinder nicht so alleingelassen" – gerade dann, wenn keine Anzeige erstattet werde. Regelmäßig werden Kolleginnen und Kollegen in Fortbildungen geschult.
Fachfrau aus Troisdorf nennt Weihnachten "eine riskante Zeit"
"An den Festtagen selbst ist es eher ruhig", berichtet Maren Diekmann vom Frauenzentrum in Troisdorf. Nach den Weihnachtstagen habe es aber im vergangenen Jahr mehr Fax-Meldungen der Polizei gegeben. "Eine riskante Zeit" sei Weihnachten. Schon in Familien, in denen Gewalt keine Rolle spiele, steige dann "der Druck, dass es schön werden muss". Umso mehr gelte das für Familien, bei denen Gewalt schon ein Thema sei.
Gerade nach Trennungen und in Trennungsphasen seien Frauen "besonders anfällig", hat Maren Diekmann erfahren. Arrangements, "den Kindern zuliebe" noch einmal gemeinsam zu feiern, hält die Fachfrau für problematisch: "Die unausgesprochenen Themen sitzen mit unter dem Weihnachtsbaum." Einen Weihnachtswunsch hat die Diplom-Sozialarbeiterin und Familientherapeutin auch: dass das Gewalthilfegesetz umgesetzt wird, dass eine bedarfsgerechte Ausstattung der Frauenhäuser und -beratungsstellen gewährleisten soll.
Hier gibt es Hilfe
In akuten Fällen ist der Notruf der Polizei unter 110 zu erreichen. Das Hilfetelefon für Frauen hat die bundesweit einheitliche Rufnummer 116016.
Das Frauenhaus Troisdorf ist erreichbar unter 02241/ 322 63 60, die Beratungsstelle Frauenzentrum unter die 02241/ 72250 in Troisdorf und 02224/105-48 in Bad Honnef. Die Frauenberatung Bonn hilft unter 0228/65 95 00; die Frauenhäuser in der Bundesstadt haben die Nummern 0228/ 23 24 34 und 0228/63 53 69.
Viele weitere wichtige Informationen hat der Runde Tisch gegen häusliche Gewalt im Rhein-Sieg-Kreis in einer Broschüre zusammengestellt, deren Inhalte online auch in englischer, französischer, türkischer und arabischer Sprache verfügbar sind. © Kölner Stadt-Anzeiger
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