Schleifen oder erhalten? Seit Jahren wird in der Hansestadt kontrovers über den Umgang mit dem alten Wehr am ehemaligen Radium-Turbinenhaus diskutiert.

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Vor allem der Heimat- und Geschichtsverein und sein Vorsitzender Erich Kahl haben immer wieder auf die historische Bedeutung dieses Wehrs hingewiesen. Bereits im Mittelalter wurde hier das Wasser der Wupper aufgestaut, um die Stadtmühlen betreiben zu können. Diese Mühlen waren lange die wichtigste Einnahmequelle der Stadt.

Der Rat hatte kürzlich aus Gründen des Hochwasserschutzes mit knapper Mehrheit für ein Schleifen des Wehrs gestimmt. Am Donnerstag war Frau Marlene Liebeskind, promovierte Bereichsleiterin Gewässerentwicklung beim Wupperverband, im Bauausschuss. Sie erläuterte, wie sich das Schleifen des Wehrs auswirken soll und warum andere Hochwasserschutzmaßnahmen nicht den gleichen Effekt haben. "Wir sind keine Experten für Denkmalschutz, sondern für Wasserwirtschaft", betonte Liebeskind, nachdem Erich Kahl im Rahmen der Bürgerfragestunde nochmals für den Erhalt des Wehrs plädiert hatte.

Berechnungen vorgelegt

Der Wupperverband hat anhand der Wassermengen und der Fließgeschwindigkeit errechnet, dass ohne das Wehr der Wasserstand nur im sogenannten "Tosbecken" unterhalb des Wehrs, auf einer Länge von 55 Meter, sehr leicht ansteigen wird. Anders sieht es oberhalb aus. Ohne das Wehr, das für ein Aufstauen der Wupper sorgt, würde die Sohle des Flusses rund zwei Meter tiefer liegen. Die Folge: Im Hochwasserfall wird die Gefahr einer Überschwemmung der Stadt deutlich geringer.

Im Inneren des Turbinenhauses befindet sich ein sogenannter Schütz, eine Art Tor, das sich öffnen ließe – was früher regelmäßig geschah. Auch hier hat der Wupperverband gerechnet. Bei einem Hochwasser, wie es statistisch alle 100 Jahre zu erwarten wäre (HQ 100), strömen am Wehr pro Sekunden knapp 34 Kubikmeter Wasser vorbei. Der geöffnete Schütz kann maximal höchstens 5,3 Kubikmeter Wasser durchlassen, also rund 15 Prozent der Gesamtsumme. "Auf die Wasserstände Ober- und Unterstrom hat das Öffnen des Schützes keine merkliche Wirkung", so der Wupperverband.

Vom Wehr bleibt ein schmaler Streifen erhalten

Nach den Plänen soll vom Wehr ein rund zwei Meter breiter Streifen am Turbinenhaus erhalten bleiben, vor allem, weil sonst die Standfestigkeit des Gebäudes gefährdet wäre. Die Arbeiten sollen voraussichtlich 2026 durchgeführt werden, die Gesamtkosten werden auf knapp 1,2 Millionen Euro geschätzt, die Bezirksregierung Köln hat eine 80-prozentige Förderung in Aussicht gestellt. Die Restsumme würden sich Stadt und Wupperverband teilen. Hochwasserschutz im urbanen Raum bestehe aus vielen Einzelmaßnahmen, so Liebeskind. Der Rückbau des Wehrs sei ein wichtiger Baustein, der mit anderen Maßnahmen ergänzt werden müsse.

Bei Starkregen und lang anhaltenden Niederschlägen sorgen nicht nur die Wupper, sondern auch Nebengewässer wie der Gaulbach und die Hönnige für Probleme. Deshalb müssten die Durchlässe des Gaulbachs erweitert werden, sinnvoll wären zusätzliche Regenrückhaltebecken. Ein Problem dabei: Grundbesitzer müssten bereit sein, geeignete Grundstücke zu verkaufen.

Neue Pegel sollen bessere Daten liefern

Im Fall eines Hochwassers sind aktuelle Messwerte von großes Bedeutung. Derzeit entstehen in Egerpohl, am Gaulbach und bei der Firma Voss gleich drei neue Pegel, die den Wasserstand laufend messen. Die Daten sollen über das verbesserte Hochwasserportal allen Bewohnern zur Verfügung stehen. Wipperfürther Unternehmen wie Voss, Jokey und Radium, die beim Rekordhochwasser 2021 schwer getroffen wurden, setzen zudem eigene lokale Hochwasserschutzmaßnahmen um.

Neben dem technischen Hochwasserschutz will der Wupperverband auch den "grünen Hochwasserschutz" ausbauen. Zwischen Marienheide und Wipperfürth soll ein ausgedehntes Auensystem entstehen, dazu ist vorgesehen, das Flussbett der Wupper zu verbreitern, um so die Fließgeschwindigkeit zu verringern. Zu viel dürfe man sich davon aber nicht versprechen. "Der grüne Hochwasserschutz ist der kleine Bruder des technischen Hochwasserschutzes", so Liebeskind. Heribert Berster (CDU) dankte für die "hilfreichen Erläuterungen", "die hätten wir uns früher gewünscht", so seine Kritik.

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Auf Bitte von Christoph Goller (Bündnis 90/Grüne) erläuterte Liebeskind, dass das Schleifen des Wehrs auch eine Maßnahme sei, um die europäische Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Derzeit gebe es Oberlauf der Wupper, der Wipper, im Schnitt alle zwei Kilometer ein Querbauwerk, das es den allermeisten Fischarten unmöglich macht, den Fluss hinauf und hinab zu schwimme. Artenarmut ist die Folge, in der Wipper leben lediglich vier bis fünf Fischarten. Ziel sei es, 23 heimische Arten anzusiedeln. "Dazu müssen wir nicht alles wegnehmen, aber wir müssen Strecken zusammenkriegen, die Sinn machen, so Liebeskind.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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