Das Bürgergeld wird gerade wieder zum Wahlkampfthema in der Bundespolitik. Einen Einblick in die Mechanismen, wie das Jobcenter abgezockt wurde, lieferte 2024 ein langer Prozess am Kölner Landgericht.
In dem mussten sich Mitglieder der stadtbekannten Leverkusener Großfamilie für ihren jahrelangen Betrug zulasten des Jobcenters verantworten.
Nicht nur Prozessbeobachter ahnten, dass dieser öffentlich verhandelte Fall bei weitem nicht der einzige in der Stadt ist, der nach dieser Masche funktionierte – und vermutlich auch heute noch funktioniert. Teure Autos, Mercedes und Porsche, auch Rolls-Royce, die in Wiesdorf zur Schau gestellt werden, sind die eine Seite. Auf der anderen Seite: Der Gang zum Jobcenter, in denen selbst gesunde junge Männer zugewiesene Arbeit so lange ablehnen können, bis die Mitarbeitenden in den Behörden aufgeben. Das lässt sich auch heute noch kaum verhindern. Den Jobcentern fehlen die Sanktionsmöglichkeiten, auch in Leverkusen, erfuhr der "Leverkusener Anzeiger" aus erster Hand.
Auch die hier bekannten lokalen Clans haben es heraus, sich auf diese Weise eine ganz gute finanzielle Basis vom Staat zu beschaffen. In dem Verfahren gegen ein Paar, das der Großfamilie angehört, lautete die Anklage auf Hinterziehung von 168.000 Euro zum Schaden der Stadt Leverkusen. Den Eheleuten, die Bürgergeld bezogen, warf man vor, in Wirklichkeit nicht bedürftig gewesen seien.
Leverkusen: Razzia erhärtet Verdacht
Der Betrugsverdacht hatte sich bei einer Razzia durch Polizei, Ordnungsamt und andere Behörden erhärtet, bei der sich ein Mercedes, Rolex-Uhren und Schmuck in der Wohnung der vermeintlich Bedürftigen fanden. Ein Bargeld-Vorrat des Paares, ein im Sofa eingenähtes Bündel Scheine (26 000 Euro) stellten die Beamten ebenfalls in der Wohnung sicher, für die das Jobcenter regelmäßig die Miete überwies.
Nach über zwei Monaten Verhandlung, von Anfang März bis zur Urteilsverkündung am 24. Mai 2024, blieb allerdings nicht viel übrig von der Anklage. 23.134,46 Euro müssen die Eheleute zurückzahlen, einen Teil davon verrechnet der Staat mit den beschlagnahmten drei Rolex-Uhren und dem Goldschmuck. Der 45-jährige Angeklagte muss für vier Jahre ins Gefängnis, aber nur, weil er eine umfangreiche Liste an Vorstrafen beim Bundeszentralregister aufzubieten hat: Die Teppichbranche hatte er als Jugendlicher kennengelernt, immer wieder war er mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Selbst, als er unter einer langen Bewährungsstrafe stand, hatte er sich nicht entschlossen, arbeiten zu gehen, sondern wieder strafbar gemacht.
Seine Frau, die alle falschen Anträge auf Bürgergeld unterzeichnet hatte, darf auf Bewährung draußen bleiben. Das eingenähte Bargeld, das die Polizei bei der Razzia aus einem Sofa geschnitten hatte, bekam nicht das Leverkusener Sozialamt. Das Geld konnte die Polizei anderen Betrugsopfern zuordnen und ihnen zurückgeben. Für die gab es 2024 ein Happy End.
Leverkusen: Unglaubwürdige Mietverträge in Wiesdorf
Woran es gelegen hat, dass nicht die ganzen 168.000 Euro zurückgefordert werden konnten? Die Strafkammer muss praktisch für jeden fehlenden Cent knallhart nachweisen, dass dieser unrechtmäßig gezahlt wurde. Da kann die kriminelle Gesamtlage auch noch so durchschaubar erscheinen. Das "komplexe Mosaik des Zusammenlebens", wie die Richterin es nannte, die vielen verwirrenden Wechsel der Wohnsituationen des nach Roma-Sitte verheirateten Paares machten diesen Nachweis schwierig.
Es hätte genau dokumentiert werden müssen; zu welchen Zeiten lebten die beiden in einer Bedarfsgemeinschaft, wann nicht? Wer wohnt wann wo? Unmöglich ist es, im Nachhinein festzustellen, ob diese Wechsel nur pro forma geschahen, damit die Stütze weitergezahlt wurde. Wann, wie viel Beute im Haus war, wann also das Sozialgeld zu Unrecht bezogen wurde, ist ebenfalls entscheidend fürs Urteil. So absurd es klingt: Die Höhe der Beute hätten die Eheleute beim Jobcenter melden müssen, weil sie dadurch nicht mehr bezugsberechtigt waren. Geldbündel waren nämlich durchaus vorhanden, das Jobcenter lieferte offenbar das "Grundgehalt".
Aber es geht auch anders, wie ein weiterer Fall aus der Wiesdorfer Welt der Großfamilie zeigte. Weil den Mietern des Eckhauses Kaiser- und Carl-Leverkus-Straße nach Informationen des "Leverkusener Anzeiger" wegen unglaubwürdiger Mietverträge vom Jobcenter die Mietzahlungen eingestellt wurden, ging die Besitzer-GmbH mit der Immobilie in die Zwangsversteigerung. Die GmbH sitzt in Trier, im Haus wohnen eine Menge Mitglieder der Großfamilie mit Mietverträgen, deren Mieten bis zum Stopp durch das Jobcenter bezahlt wurden.
Wird eine Zwangsversteigerung angesetzt, bekommt die Öffentlichkeit einen guten Einblick in den Zustand einer Immobilie. Das Leben im Haus an der Kaiserstraße dürfte demnach keine reine Freude sein: Dort gibt es defekte Klos und Heizungen, Schimmel, undichte Stellen, manche Wohnung hat kein warmes Wasser, jedoch Marmorböden und -fliesen sind auch vermerkt. Nebenbei kam heraus: Viele Umbauten und genutzte Wohnungen waren nie genehmigt worden, sind also formell illegal. © Kölner Stadt-Anzeiger
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