Am 9. November 1938 begann die Reichspogromnacht, eine Nacht des Schreckens und der Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland. 86 Jahre gedachten auch im Rhein-Sieg-Kreis zahlreiche Menschen der Opfer.

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Zur offiziellen Gedenkstunde des Rhein-Sieg-Kreises in der Salvator-Kirche in Rosbach stand Oskar Schindler (1908 bis 1974) im Mittelpunkt. Um seine jüdischen Fabrikarbeiter sicher durch den Krieg zu bringen, war er bereit gewesen, sein gesamtes Vermögen einzusetzen und sein Leben zu riskieren. Damit rettete er über 1200 jüdischen Menschen das Leben. Weltbekannt wurde "Vater Courage", wie er von den Geretteten genannt wurde, aber erst durch den mit sieben Oscars prämierten Steven Spielberg-Film "Schindlers Liste" aus dem Jahr 1993.

"Gerade in diesen Zeiten dürfen wir den 9. November nicht vergessen, der die letzten Hürden 1938 hat fallen lassen und Elend über die Welt gebracht hat", spielte Vizelandrätin Notburga Kunert auf den wachsenden Antisemitismus seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober vor einem Jahr an. "Wir wollen entgegenwirken, es darf nicht bei einem Gedenktag bleiben. Die Probleme in der Welt und der Unfrieden steigen stetig." Damit Demokratie in Deutschland und der Welt weiterbestehen, sei es an der Zeit, Mut zu haben, Hass gegen andere dürfe es nicht geben.

Bei Gedenkstunde in Windeck hatte Schindler das letzte Wort

"Wir müssen uns erinnern, wer sich nicht erinnert, muss alles neu machen", mahnte die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker, die auch die Vorsitzende vom Förderverein der Gedenkstätte "Landjuden an der Sieg" ist. Gesellschaftliche und politische Ausgrenzung hätten harmlos angefangen. "Ausgrenzung wegen Glaube und Herkunft findet heute wieder statt. Jüdisches Leben muss bei uns sichtbar und vielfältig sein, das ist ein Vertrauensbeweis. Antisemitismus darf nicht salonfähig werden."

Judentum und Holocaust-Didaktik war in ihrer Schulzeit bis 2021 der Schwerpunkt von Schulpfarrerin a. D. Annette Hirzel an einem Siegburger Gymnasium. In ihrem Vortrag "Langes Schweigen – späte Ehrung: Zum 50. Todestag von Oskar Schindler" beleuchtete sie Spuren von Schindler ab 1945 und warf ohne Anspruch auf Vollständigkeit mit einigen Original-Tönen aus verschiedenen Quellen einen Blick auf die Umstände, unter denen Oskar Schindler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland (und Israel) lebte und – zum Teil erst posthum – geehrt wurde. In Deutschland erhielt er zwanzig Jahre nach Kriegsende die erste Ehrung, das Bundesverdienstkreuz I. Klasse.

Annette Hirzel überließ am Ende ihres Vortrags Schindler das letzte Wort, der von sich selbst gesagt hatte: "Weit entfernt bin ich davon, ein Heiliger zu sein, habe als maßloser Mensch viel mehr Fehler als der große Durchschnitt derer, die so sehr gesittet durchs Leben schreiten. Die Achtung vor dem Menschen konnte ich mir erhalten und verteidigen."

Troisdorfs Bürgermeister mahnt vor Erstarken des Antisemitismus

In Troisdorf legte Bürgermeister Alexander Biber vor dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Jahnplatz nieder. "Es war seit Ende dieses unfassbaren Grauens des Holocaust wahrscheinlich noch nie so notwendig wie in diesem Jahr, dass wir dieses Gedenken pflegen", sagte er in seiner Ansprache vor den Vertretern der Stadtgesellschaft.

"Angesichts dessen, was in unserem Land wieder möglich ist, beziehungsweise angesichts dessen, was für Jüdinnen und Juden in unserem Land eben nicht mehr möglich ist", fuhr er fort, "angesichts dessen ist heute nicht die Zeit, sich am Versagen in der Vergangenheit die Gegenwart schön zu reden."

Er analysierte unterschiedliche Formen des Antisemitismus und stellte die Frage, "wie viel Antisemitismus wir bereit sind, in Deutschland im Jahr 2024, zu dulden." Bis in hohe Staatsämter hat er ihn ausgemacht. "Antisemiten können keine Demokraten sein", schlussfolgerte er und will ihn bekämpfen, mit der vollen Staatsgewalt.

Aber er setzte auch auf alle Menschen im Land: "Es darf nicht wieder einigen Furchtlosen überlassen bleiben, in Deutschland und auf der ganzen Welt, Jüdinnen und Juden zu schützen. Das ist unser aller Aufgabe."

200 Menschen bei Marsch des Gedenkens in Hennef

In einer Feierstunde in der Pfarrkirche Sankt Michael in Geistingen hieß es "Zachor! Erinnere Dich!" Pfarrer Niko Herzner vertiefte den Gedanken. "Martha wird aus demselben Fenster geschaut haben, aus dem auch ich blicke." Die jüdische Schriftstellerin Ingke Brodersen hat diesen Satz formuliert. Herzner erinnerte daran, dass die Wege, die er und alle anderen heute gehen, dieselben sind, die Opfer wie Täter gingen.

"Erinnere dich und erkenne, was du vor Augen hast - denn du kennst es." Das sei die Kernbotschaft des Gedenkens. Bei einem Vortrag wurde der Blick auf die sogenannten Judenhäuser gerichtet, in die auch die Hennefer Juden umgesiedelt wurden.

Die fast 200 Besucherinnen und Besucher trugen anschließend je eine Kerze mit dem Namen eines verstorbenen Juden zur ehemaligen Synagoge. Sie versammelten sich innerhalb des Grundrisses des alten Gemäuers, die Namen aller aus Hennef stammenden, ermordeten jüdischen Bürger wurden vorgetragen.

Chöre und Musiker erhoben Stimme für Toleranz

"Klangvoll vereint für Frieden und Demokratie" lautete die Losung, unter welcher der Allgemeine Cäcilienverband für Deutschland (ACV) zu einer bundesweiten Aktion eingeladen hatte. Bei der sollten Chöre und Musiker am 8. November ihre Stimmen für Toleranz sowie friedliche und demokratische Werte erheben. In Mondorf setzte der Pfarr-Cäcilien-Chor in diesem Sinne das Zeichen bei einer Messe in St. Laurentius.

Vorstandsmitglied Thomas Steiner nannte eingangs Beispiele, erinnerte an den Hitlerputsch 1923, die Reichspogromnacht 1938, die Maueröffnung 1989 - stets war es der 9. November.

In seiner Predigt griff Pastor René Stockhausen die Botschaft der Lesung aus dem Jakobusbrief 13 auf: "Kriegstreiber kommen zu keinem inneren Frieden", resümierte er. Vielmehr fange "der äußere Frieden im Inneren an." Der Geistliche dankte dem Chor für die "gute Idee mitzumachen. Es ist für uns eine kleine Möglichkeit, sich für den Frieden einzusetzen."

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Chorleiter Dr. Benedikt Holtbernd hatte eine abwechslungsreiche Literatur zusammengestellt, die er mal mit allen Gottesdienstbesuchern anstimmte oder mit seinen Sängerinnen und Sängern alleine. Ein besinnlicher, gleichwohl belebender Schlusspunkt war das israelische "Hevenu shalom alechem" ("Wir bringen Frieden für alle"). Das rhythmische Lied wird mehrmals wiederholt und bei jeder Wiederholung erfolgt eine Erhöhung des Tempos, was die Hoffnung umso mehr unterstreicht.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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