Sollen für Gebäude, in denen gewohnt wird, künftig andere Steuersätze gelten als für Firmengebäude? In die Diskussion um unterschiedliche Steuersätze schaltet sich nun die Industrie- und Handelskammer Aachen (IHK) ein.

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In einem Brief an die 46 Kommunen im IHK-Bezirk, der aus der Städteregion Aachen sowie den Kreisen Düren, Euskirchen und Heinsberg besteht, fordert die IHK, einheitliche Hebesätze bei der Grundsteuer B innerhalb der jeweiligen Kommune festzulegen, um Wettbewerbsnachteile für Unternehmen und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.

Die IHK Aachen warnt vor einer "zusätzlichen Unternehmenssteuer"

"Es muss vermieden werden, dass Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite gegeneinander ausgespielt werden. Mit zweierlei Hebesätzen wird aus der Grundsteuer eine zusätzliche Unternehmenssteuer," kritisiert IHK-Hauptgeschäftsführer Michael F. Bayer.

Die Höhe der Steuerbelastung stelle einen wichtigen Faktor im Standortwettbewerb dar und sei für die Ansiedlung von Unternehmen, Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen entscheidend.

In den meisten Städten und Gemeinden im Kreis Euskirchen stehen die Entscheidungen noch an. In Kall hingegen hat der Gemeinderat bereits die Einführung unterschiedlicher Hebesätze beschlossen. Sie werden ab dem 1. Januar 2025 gelten. Über die Höhe der Hebesätze soll noch in diesem Jahr entschieden werden.

Kaller Rat will zu hohe Belastung für Eigentümer und Mieter verhindern

"Wir brauchen differenzierte Hebesätze auch aus sozialen Aspekten", hatte Bürgermeister Hermann-Josef Esser in der Sitzung gesagt. Denn laut Verwaltung wären die Wohngebäude bei gleichen Hebesätzen insgesamt um 400.000 Euro mehr als bisher belastet worden – zugunsten der Gewerbeimmobilien.

Esser war einer der ersten im Kreis Euskirchen, der auf die Folgen der Grundsteuerreform öffentlich hingewiesen hatte. Im Gros würden die Eigentümer von Wohnraum und letztlich auch die Mieter über die Umlage erheblich mehr belastet als bisher, während die Steuern für Gewerbegebäude sinken. Denn egal, wer wie viel Steuern am Ende zahlen muss, den vielfach klammen Kommunen sollen keine Verluste durch die Grundsteuerreform entstehen (Aufkommensneutralität).

Nachdem der Protest über die Ungleichbehandlung von Wohn- und Gewerbegebäuden auch in Düsseldorf angekommen war, hatte die Landesregierung den Kommunen die Erhebung unterschiedlicher Hebesätze ermöglicht – und gleich auch für jede Kommune ausgerechnet, wie hoch diese differenzierten Hebesätze sein müssten, um die Aufkommensneutralität zu sichern.

Die Politiker im Kreis Euskirchen stehen vor einem Dilemma

Auch der Euskirchener Landtagsabgeordnete Klaus Voussem (CDU) warb dafür, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen: "Differenzierte Hebesätze nutzen, Hausbesitzer und Mieter entlasten!", forderte er.

Doch die Verlautbarungen aus der Landeshauptstadt sorgten vor allem für Unsicherheit. Oder wie es der Kaller SPD-Politiker Karl Vermöhlen ausdrückt: "Wir müssen jetzt ausbaden, was andere verschnarcht haben."

Der Kreis Euskirchen gibt unterdessen ein buntes Bild ab. Einige Kommunen wollen die differenzierten Sätze einführen, andere nicht – und beide Seiten haben gute Gründe für ihre Entscheidungen. Und die, die noch abwarten, auch.

Der erfahrene Kämmerer der Stadt Euskirchen, Klaus Schmitz, brachte das Dilemma in einer Vorlage auf den Punkt. "An der grundsätzlichen Auffassung der Verwaltung, zur Vermeidung des Anstiegs von ,Wohnkosten' eine Differenzierung des Hebesatzes der Grundsteuer B vorzunehmen, hat sich nichts geändert", schreibt Schmitz.

Auch der Gemeinderat von Hellenthal hat eine Entscheidung gefällt

Doch er macht den Entscheidungsträgern im Rat auch klar, dass die Stadt das finanzielle Risiko tragen könnte, falls ein Gericht die differenzierten Hebesätze kippen würde. Denn dass es Klagen geben wird, gilt als sicher.

Auf die Experten auf Landesebene zu hören, hilft auch nur bedingt. Ein Gutachten des Finanzministeriums NRW sieht, wenig verwunderlich, eine Differenzierung von Hebesätzen als rechtlich möglich an. Andere Experten, etwa die des Städte- und Gemeindebundes, haben hingegen ihre Zweifel.

Angesichts dieser Unklarheit rät der Kämmerer der Stadt Bad Münstereifel, Kurt Reidenbach, von unterschiedlichen Hebesätzen zum jetzigen Zeitpunkt ab – und nennt dafür drei Gründe: fehlende technische Umsetzbarkeit, fehlende Daten, fehlende Rechtssicherheit.

IHK warnt: Falsche Entscheidung könnte zu Steuerausfällen führen

Darauf weist auch die IHK hin. Es bleibe offen, ob und wie eine verfassungskonforme Umsetzung dieser Differenzierung möglich ist. "Im schlimmsten Fall drohen den Kommunen Steuerausfälle. Daher sollte auch im Interesse der finanziellen Planungssicherheit auf differenzierte Hebesätze verzichtet werden", appelliert Michael F. Bayer an die Kommunen.

Andere nehmen die Möglichkeit gerichtlicher Folgen zwar ernst, gehen aber das Risiko ein, um eine Lastenverteilung zu "Ungunsten der Wohngrundstücke", wie es in einer Vorlage aus dem Kaller Rathaus heißt, zu vermeiden. Bei älteren Menschen mit kleinen Renten zähle jeder Euro, argumentierte Bürgermeister Esser im Rat. Ihnen sei eine stark gestiegene Grundsteuer nicht zuzumuten.

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Auch für die Gemeinde Hellenthal kommt der Appell der IHK zu spät. Hier hat der Rat am 20. August die Grundsatzentscheidung getroffen, die Hebesätze zu differenzieren. Die entsprechende Hebesatzsatzung und die Haushaltssatzung werden am 26. November im Haupt- und Finanzausschuss beraten, teilte Kämmerin Ramona Hörnchen auf Anfrage mit.

Anders die Stadt Schleiden: Der Rat hat bereits den Haushalt 2025 verabschiedet – und auf die Möglichkeit, zweierlei Hebesätze bei der Grundsteuer B zu erheben, verzichtet.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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