Wie es ist, wenn die Mitarbeiter seiner Stadtverwaltung etwa zum Laubfegen rausfahren und dann von russischen Drohnen gezielt beschossen werden, berichtete der Bürgermeister der ukrainischen Stadt Nikopol, Oleksandr Saiuk, im Leverkusener Ratssaal.
Nikopol ist faktisch inzwischen Leverkusens Partnerstadt in der Ukraine, die, wie Oberbürgermeister Uwe Richrath sich erinnert, über eine Video-Schalte in einen Luftschutzbunker geschlossen wurde. Aus Nikopol war jetzt eine Delegation angereist, um die Beziehung zu festigen; am Mittwoch trugen sie sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Ein kleiner Staatsbesuch.
Die Stadt Nikopol liegt am Strom Dnipro und hat eine schwierige Lage, denn am anderen Ufer, nur wenige Kilometer entfernt, haben die russischen Truppen Stellungen, von wo aus sie die gefährlichen Drohnen starten und die Stadt beschießen. Der Dnipro bei Nikopol war bis Sommer 2023 aufgestaut, die Russen hatten am 6. Juni dieses Jahres die von ihnen besetzte Staumauer zerstört, der See lief leer. Auch deshalb haben die Bewohner der Stadt und die Verwaltung Probleme mit der Wasserversorgung.
Hinzu kommt: Wenn es nicht neblig ist, kann man von Nikopol aus das berüchtigte Atomkraftwerk Saporischschja mit seinen sechs Kraftwerksblöcken sehen, das die Russen besetzt haben, es liegt keine 15 Kilometer südwestlich entfernt. Ja, es gebe da einen Evakuierungsplan, der stamme noch aus der Zeit vor dem russischen Angriff, dolmetscht die Übersetzerin. Mehr redet der Bürgermeister nicht über die Gefahrenquelle.
Er schildert die tägliche Arbeit seiner Stadtverwaltung: "Es ist uns wichtig, dass die Stadt in Ordnung ist", sagt er: Müll sammeln und abfahren, Totholz aus den Bäumen holen, der normale Grünschnitt. Manche der Bilder, etwa eine orange gekleidete Kolonne, die einen Grünstreifen mäht, könnte auch in Leverkusen aufgenommen worden sein. Solche Lebensgefühle zu erhalten, ist psychologisch wichtig, wird bei seiner Rede klar, denn wenn das Erscheinungsbild der Stadt halbwegs normal bleibt, dann flüchten weniger Einwohner oder sie kommen sogar wieder zurück.
Darin sei man vor Ort erfolgreich: Nikopol hatte vor dem Angriff 105.000 Einwohner, zwischenzeitlich seien nur noch 40.000 geblieben, mehr als die Hälfte flüchteten. Inzwischen seien 5000 Einwohner zurückgekehrt, sagt Saiuk. Man betrauere inzwischen 65 tote zivile Einwohner, 485 wurden in den 1000 Tagen Krieg verletzt, 6500 Bauten seien durch die täglichen Beschüsse der Russen beschädigt.
Täglich beschießen die Russen vom anderen Flussufer die Stadt, anschließend rücken Verwaltungsmitarbeiter schnell aus, um Schäden zu beseitigen. "Anfangs waren wir unter Schock, dann haben wir angefangen zu helfen", sagt Saiuk. Die Verwaltung sei inzwischen sehr gut darin, beschädigte Häuser, besonders die Dächer, innerhalb kürzester Zeit zu reparieren, damit die Leute in ihren Häusern bleiben können. Das gehe aber alles nur mit guten Nachbarschaften – der Krieg schweißt Einwohner zusammen.
Spenden hilft, dass weniger Menschen flüchten
Man brauche Material. Der Subtext des Vortrags des Bürgermeisters ist klar: Die Ukrainer vor Ort zu unterstützen, etwa über die Organisation Blau-Gelbes Kreuz, hilft, Fluchtbewegungen aus den angegriffenen Gebieten zu mildern. Drei Müllwagen aus Leverkusen sind in der Stadt unterwegs, Saiduk lobt die Spenden von Generatoren, die man brauche, weil die Russen gezielt auf Strom- und Wasserversorgungseinrichtungen schössen. Nikopol wünscht sich eine Zusammenarbeit mit der EVL, unbedingt auch einen Wissenstransfer. Mit der Leverkusener Volkshochschule hat man eine Zusammenarbeit in Bildungsfragen verabredet. Und der Bedarf an Spenden, an allgemeiner Hilfe bleibt groß.
Zweimal täglich gibt die Verwaltung Nachrichten heraus zum Stand der Dinge in der Stadt. Die Verwaltung unterhält ein Callcenter, bei dem die Bürger Hilfe bekämen. Der Bürgermeister sagt, dass sehr viele Bürger seine Handynummer hätten, "sie können mich einfach anrufen". Tatsächlich klingelt das Telefon mehrfach während seines Vortrags mit einem freundlichen Klingelton. Dass man sich ins Goldene Buch eintragen könne, damit in die Geschichte der Stadt eingehe, sei eine ihm eine Ehre. Den Leverkusenern dankte er für ihre Hilfsbereitschaft.
Die Kosaken spielen in der Geschichte Nikopols eine bedeutende Rolle. 1648 sei von ihnen in der Stadt am Dnipro die Staatenbildung der Ukraine initiiert worden, sagt Saiduk. "Uns Nikopoler kann man nicht brechen, genau wie die Kosaken." © Kölner Stadt-Anzeiger
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