Josef ist der Maßstab für die Größe einer Krippe. Gleichberechtigung, neue Rollenverteilungen und Political Correctness spielen bei der kleinteiligen Arbeit der Krippenbauer eine eher untergeordnete Rolle.
Um die biblische Szenerie nicht zu verfälschen, werden in der Regel die überlieferten Rollen 1:1 umgesetzt. Was kann Maria dafür, dass ihre Rolle in der Krippe gemäß christlicher Überlieferung stets die der das Kind in der Krippe anbetenden, ehrfürchtigen Gottesmutter ist?
Jedenfalls ergibt sich daraus in einer Weihnachtskrippe alle andere: Das Stammpersonal sind der stehende und wachsame Josef (gerne mit einer Leuchte), dazu die kniende Maria und ein mal strampelndes, mal schlafendes Baby in einer Wiege. Drumherum, so das traditionelle Setting: eine Hütte, Höhle, ein Stall, ein Schuppen oder ein Verschlag.
Der Bau einer Krippe ist oft eine monatelange Arbeit
Das alles ist auch bei der Vereinigung der Krippenbaufreunde Eifel unstrittig. Wie auch die Tatsache, dass sie wie gewohnt in der Vorweihnachtszeit, in diesem Jahr im Haus der Begegnung in Kall, ihre neuen Jahreskrippen präsentieren sowie die Ergebnisse des Krippenbaukurses 2024. Lauter Krippen, allesamt klein genug, um unter die meisten Weihnachtsbäume in Wohnungen und Häusern zu passen.
Aber was heißt schon präsentieren? Ausgestellt hat Michaela Reitz, die zweite Vorsitzende des Vereins, die zwar krönende, aber doch letzte Etappe eines monatelangen Weges. Stundenlang hat sie etwa wenige Zentimeter kleine Pflastersteine im Bastelkeller hergestellt. Dünnste Gipsschichten wurden aufgeschichtet, dann schnell und vorsichtig mit feinem Werkzeug in die oberste Schicht eine Steinstruktur eingeritzt. Solange der Gips noch weich war. Die Prozedur wurde mehrmals wiederholt. Pflastersteinchen für Pflastersteinchen.
Bei den organisierten Krippenbauern werden Traditionen gewahrt
Am Ende wurde so ein Weg zu einem Randgebäude ihrer neuesten Krippe verlegt. Die Pflasterung sieht verblüffend echt aus – und genau darum geht es ihr.
Reitz kann aber nicht nur pflastern. Sie hat eine dreijährige Wochenendausbildung bei den Klüsserather Krippenfreunden an der Mosel absolviert. Der Verein ist dem Verband Bayerischer Krippenfreunde angeschlossen und befugt, Prüfungen zum Krippenbaumeister abzunehmen. Reitz hat es bis zur Krippenbaulehrerin geschafft.
Wer wie Michael Offerzier, der 38-jährige Eifeler Krippenbauvereinsvorsitzende, sogar den Meistertitel hat, der kennt die Unterschiede und Merkmale der gängigsten Krippenformen: Es gibt die orientalischen, die alpenländischen, die heimatlichen und die Wurzelkrippen. Dazu kommen die Fantasiekrippen nach dem Motto: Jeder und jede, wie er oder sie mag.
Bei den organisierten Krippenbaufreunden ist die Wahrung der Bautraditionen aber doch deutlich zu erkennen. Michel Offerzier beherrscht zudem die wichtigsten Techniken der Herstellung, weiß, wie man Modelle baut, und hat erfolgreich vor einer Prüfungsjury seine Meisterkrippe aufgebaut.
Das "Personal" der Krippe kann auch aus dem Katalog stammen
Wer nun meint, was da von den derzeit 55 Mitgliedern der organisierten Eifeler Krippenbaufreunde hergestellt wird, sei einzigartig, der hat einerseits zwar recht. Andererseits teilen die Aktiven, die etwa aus Zülpich, Marmagen, Kall, Schleiden, Hellenthal oder Dreiborn kommen, eine Liebe zum Detail, die der der Modelleisenbahnbauer oder Modellschiffbastler ähnelt. Immer geht es – angetrieben durch die Hingabe zum Thema – um den Anspruch, möglichst viel selbst herzustellen. Und das vor allen Dingen maßstabgetreu. Bezogen auf den Krippenbau heißt das: "Kleine Figuren wählen, sonst wird es schnell zu groß", so Michael Offerziers Tipp für Neueinsteiger. Das heilige "Personal" ist sozusagen die Dampflok des Krippenbauers.
Die Pointe liegt darin, dass ausgerechnet Maria, Josef und das Kind in den seltensten Fällen handgeschnitzt, sondern aus dem Katalog bestellt, von Kollegen abgekauft oder überlassen sind. Ansonsten aber gilt: Was für die weihnachtliche Kleinbaustelle gebraucht wird, kommt vom Krippenbauer selbst.
Wie Eichhörnchen den Krippenbauern in der Eifel helfen
Spanplatten etwa aus dem Baumarkt werden nicht verwendet, selbst verputzte Holzfaserplatten sollen als Bodenplatte dienen. Holz stammt idealerweise aus dem Wald. Es gibt Krippenbaumörtel und besonders geeignete Pflanzen, die für die richtige Botanik sorgen können. Handgeschnitzt sollten kleine Dachschindeln bei alpinen Krippen sein. Bei orientalischen Krippen wiederum – prachtvolle angekaufte Landschaftskrippen aller Genres sind in der bekannten "Ars Krippana" in Losheim zu sehen – kommt das Palmenproblem dazu.
Da sei er zwecks Naturtreue auf die Unterstützung von Eichhörnchen angewiesen, sagt Michael Offerzier. Nur der kleine Nager könne einen Tannenzapfen so perfekt abnagen, dass der verbleibende, entrindete Rest als Palmenstamm in seiner Krippe durchgehe. Bleiben noch die Palmenblätter. Dafür verwenden ambitionierte Krippenbauer eine klitzekleine Schere, nehmen Kreppbänder in die Hand und schneiden: Blättchen für Blättchen. Als Ast dient ein Stück Draht.
Für die weitere Botanik muss es für den Perfektionisten Offerzier dann etwas aus höheren Naturregionen sein. Bei einer Wanderung in den österreichischen Alpen entdeckte er auf über 2000 Metern Hirschhorn-Wegerich. Die Pflanze hat die ideale Struktur für Krippenbau-Gebüsch. Offerzier griff zu. Ein kleines Bündel. Da musste fürs christliche Szenenbild der Naturschutz kurz hinten anstehen.
Eine Beleuchtung muss sein, der Trend geht klar zu LED
Wer solche Optionen nicht hat, der kann im Zubehörfundus der Krippenbaufreunde stöbern, der sich vor allem aus Nachlässen oder Schenkungen zusammensetzt. Futterkrippen für Ochs und Esel, Schafe oder anderes liebes Vieh der Hirten, den der Überlieferung nach Erstbesuchern in Bethlehems heiligem Stall, sind vorrätig, dazu handwerkliches Arbeitszeug. Auch Sitzbänke, Schemel oder Kupferkessel fürs Mini-Lagerfeuer fehlen nicht. Das Feuer brennt dank eines kleinen Lämpchens. Apropos: Eine Krippe muss mindestens ein Leuchtmittel haben. Der Trend geht auch hier zu LED statt Trafo. Denn die Wiege samt Kind und Elternpaar sollte immer gut zu erkennen sein.
Michael Offerzier ist zudem erleichtert, dass er nach längerer Suche den passenden kleinen Motor für den Antrieb des Holzwasserrades der Mühle am Bach seiner alpenländischen Krippe gefunden hat. Das Rad muss genau so schnell angetrieben werden, dass die Drehgeschwindigkeit glaubhaft wirkt. Das ist der Anspruch.
Gesucht ist auch immer wieder ausgerechnet das Christuskind – eine nackte Babyfigur. Die Windel ist bitte selbst herzustellen. Ein halbes Dutzend liegt im ausgestellten Fundus im Haus der Begegnung im kleinen Kästchen. "Die gehen in Familien, die kleine Kinder haben, gerne verloren oder kaputt", so Offerzier.
Das Zubehör ist klein wie aus einer Puppenküche
Fehlt es zudem noch an einer kleinen Bandsäge oder einem Hammer als Zubehör einer Werkstatt im Ambiente, ist Vereinsmitglied Hubert Staeven gefragt. "Wir haben ein altes Fachwerkhaus und ich eine kleine Hobelbank. Ich finde immer ein Stück Eiche, das ich für die Herstellung nehmen kann", grinst der Krippenbauer und nimmt sich vorsichtig eine maßstabsgetreue Mini-Sense samt Stahlblatt und einen Kupferkessel, klein wie aus einer Puppenküche. Dabei sei er von Beruf Kfz-Meister, meint Staeven versonnen, und die filigrane Kleinarbeit mit Eiche eigentlich nicht seine Sache. Eines Tages jedenfalls suchte er nach einem Hobby für die Wintermonate – und landete beim Krippenbau.
Und während Michael Offerzier, Michaela Reitz und Hubert Staeven fachkundig die ausgestellten Krippen mustern – zunehmend beliebt sind die "Lampenkrippen" in großen Windlichtern – fällt Kathryn Widonskis Krippe aus dem Rahmen, gerade weil auch sie sich mit vorgegebenem engem Platz begnügen muss. Sie hat die Heilige Familie samt Kulisse im ausgeräumten Inneren eines alten Röhrenradios arrangiert.
Das Gerät der Marke Grundig – Klangoptionen per Tastendruck laut Aufdruck "Jazz", "Sprache", "Orch." und "Dynamic" – hat die Krippenbauerin achtlos abgestellt am Wegesrand gefunden. Wo einst "Radio Hilversum" sendete, tut dies nun in Dauerschleife mit Weihnachtlichem aus der Retorte die Boom-Box. So, wie es vor mehr als 2000 Jahren garantiert nicht war. © Kölner Stadt-Anzeiger
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