Es gibt wenige politische Entscheidungen der vergangenen Jahre in Frechen und im übrigen Rhein-Erft-Kreis, in deren Folge die Emotionen so aufgeladen waren wie bei derjenigen, die der Stadtrat am 10. Oktober zu treffen hatte.
Es ging um die Errichtung einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) für bis zu 300 Geflüchtete im Stadtteil Königsdorf.
Auch für gestandene Lokalpolitikerinnen und -politiker hatte das, was an diesem späten Nachmittag vor und im Frechener Rathaus geschah, eine neue Qualität. Sie sahen sich teils wütenden Protesten von Bürgern ausgesetzt, die sich in der Frage nach dem besten Standort für die Unterkunft übergangen fühlen – von der Politik und auch von der Verwaltungsspitze um Bürgermeisterin Susanne Stupp (CDU).
Auf rund zehn Prozent der Fläche entsteht die ZUE in Königsdorf
Die Ratspolitikerinnen und -politiker stimmten mit großer Mehrheit für den Standort am Königsdorfer Forst: davon 38 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen (4 CDU, 1 SPD, 1 Bündnis für Frechen – (Ex-AfD) – und zwei Enthaltungen (1 CDU, 1 SPD). Wenige Tage später ging der Verkauf des Grundstücks über die Bühne: Die Stadt sicherte sich für 2,2 Millionen Euro das Areal der Landschaftsgärtnerei Zirener. Auf rund zehn Prozent der Fläche soll die ZUE des Landes NRW entstehen, den Rest will die Stadt als Ausgleichsfläche für Bauprojekte nutzen.
Ruhe ist nicht eingekehrt. Nicht in Königsdorf. Nicht in Frechen. Und so hat die "Initiative Königsdorf" für Montag zu einer Demonstration vor dem Stadtsaal aufgerufen. Dort werden Stadt und Bezirksregierung die weiteren Schritte für die Errichtung der ZUE in einer Informationsveranstaltung erläutern. Im Vorhinein hat ein Sprecher der Initiative deutlich gemacht, dass die Bürger Mitsprache bei gravierenden Entscheidungen fordern, die ihren Stadtteil betreffen.
Zudem weisen sie darauf hin, dass die Einrichtung für Geflüchtete die Tier- und Pflanzenwelt im Forst nicht stören dürfe. Überdies will sich die Initiative eigenen Angaben zufolge für "eine dezentrale und menschenwürdige Unterbringung" einsetzen. Auf den Charakter einer ZUE werden die Experten der Bezirksregierung eingehen.
Auch die Politiker sind nach dem Ratsbeschluss vom 10. Oktober nicht zur Tagesordnung übergegangen. Das versichern sie in zahlreichen Gesprächen mit dieser Redaktion. So kommt die FDP-Fraktionsvorsitzende Angela Lindemann-Berk zu dem Schluss, dass Politik und Verwaltung die emotionale Seite der Entscheidung "vollkommen unterschätzt bzw. vernachlässigt" hätten.
"Man muss nicht unbedingt in seinen Rechten verletzt sein, um sich von Politik und Verwaltung verletzt zu fühlen. Einfach weil man das Gefühl hat, seine Meinung, seine persönlichen Interessen als Bürger, als Anwohner zählen nicht", sagt sie. Zugleich betont sie, dass beim Beschluss zum Bau der ZUE keine demokratischen Rechte verletzt worden seien. Ein Anspruch auf "Bürgerbeteiligung" bestehe nicht.
Dieter Zander (Perspektive für Frechen) geht weiter. Er sagt, die Kritiker der Geflüchtetenunterkunft hätten "eine rote Linie überschritten". Eine derartige Eskalation habe er in seiner 20-jährigen Ratstätigkeit noch nicht erlebt. Auch nicht bei der Einrichtung anderer Unterkünfte im Stadtgebiet. Er befürchtet, dass es so zunehmend diffiziler werde, Bürgerinnen und Bürger für ein kommunalpolitisches Engagement zu gewinnen.
Politikerinnen und Politiker fühlten sich "an den Pranger gestellt"
Diese Sorge teilen auch andere. Das wurde unter anderem in einem Gespräch zwischen Redakteurinnen und Redakteuren dieser Zeitung mit Fraktionsvorsitzenden in dieser Woche im Rathaus deutlich. Zander, Karla Palussek (CDU) und Hans Günter Eilenberger (SPD) äußerten darin auch ihr Unverständnis über einen Teil der Berichterstattung. Politikerinnen und Politiker hätten sich unwohl gefühlt, in einer emotional aufgeladenen Stimmung in der Zeitung mit Bild zu erscheinen. Durch eine am Tag der ZUE-Entscheidung veröffentlichte Seite mit den Porträts von Ratsmitgliedern hätten sie sich "vorgeführt" und "an den Pranger gestellt" gesehen.
Beabsichtigt gewesen sei das Gegenteil, versicherten Redaktionsleiter Jörn Tüffers, sein Stellvertreter Udo Beißel und die für Frechen zuständige Redakteurin Alexa Jansen. Vor dem Hintergrund, dass die Gegner der ZUE den 52 gewählten Volksvertreterinnen und Vertretern das Recht und die Kompetenz abgesprochen hatten, "über ihre Köpfe hinweg" zu entscheiden, sei es allein darum gegangen, den Stadtrat als demokratisch legitimiertes Gremium zu stärken und denen ein Gesicht zu geben, denen solch wichtige Entscheidungen für das Wohl der Stadt Frechen und ihrer Bürgerschaft zukommen.
Das Signal für die Demokratie, das die Zeitung setzen wollte, kam in Teilen des Stadtrats auch genau so an. Ein Ratsmitglied, das namentlich nicht genannt werden möchte, sprach von einem "guten Zeichen für die Demokratie". Die veröffentlichten Porträtfotos der Ratsmitglieder hätten zu einem "Gemeinschaftsgefühl geführt, das die Zustimmung für das Projekt gestärkt habe". Gerade in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit sei es doch förderlich zu sehen, wer die Interessen der Wählerinnen und Wähler vertritt: demokratisch gewählte Politiker und nicht eine kleine Interessengruppe, die sich unmittelbar betroffen fühlt.
CDU-Frau Karla Palussek führte im Austausch mit unserer Redaktion an, dass die Stimmung in Teilen der Königsdorfer Bevölkerung auch deshalb so aufgeheizt sei, weil nach wie vor gezielt falsche Informationen kolportiert werden würden. Dazu gehöre unter anderem die Behauptung, dass Frechen mehr Geflüchtete aufnehmen müsse als vergleichbare Kommunen. Das Gegenteil sei der Fall, betont die CDU-Fraktionsvorsitzende. Die 300 Plätze in der ZUE würden auf die Zahl der Menschen angerechnet, die Frechen zugewiesen würden – selbst wenn in der ZUE in Königsdorf nur ein Geflüchteter leben würde.
Was aus Palusseks Sicht ebenfalls zu kurz kommt: Der Umstand, dass das Land in Königsdorf eine ZUE einrichtet, ermöglicht es der Stadt Frechen, die Sporthallen, in denen Geflüchtete untergebracht sind, in absehbarer Zeit zu räumen und sie den Vereinen sowie dem Schulsport wieder zur Verfügung zu stellen. Ob die Kritiker dies nicht wissen oder bewusst verschweigen, vermag die Politikerin nach ihren Worten nicht zu beurteilen. Doch auch sie sagt: "Die Art und Weise der Auseinandersetzungen mit diesem Thema, die persönlichen Attacken, Beschimpfungen und Unterstellungen haben mich erschreckt."
Angela Lindemann-Berk hält es ebenfalls für bedenklich zu sehen, "wie dünn unser ,zivilisatorisches Eis' ist. Die Bereitschaft, einander zuzuhören, Argumente auszutauschen, Tatsachen und Rechtslagen zu akzeptieren, ist eine zivilisatorische und demokratische beziehungsweise rechtsstaatliche Errungenschaft". Die Demokratie erodiere, wenn Meinungen Tatsachen ersetzten und Tatsachen kein Gehör mehr bekämen. "Viele durchaus auch persönlich verletzende Beiträge in den sozialen Medien zum Thema ZUE tragen zu dieser Erosion bei, weil die Faktenlage schlicht und ergreifend und vor allem unter ständiger Wiederholung ignoriert wird."
Bürgermeisterin Susanne Stupp (CDU) zieht ein gemischtes Fazit der bisherigen Debatte: Dass die Diskussion um die ZUE im Rat selbst – trotz aller politischen Gegensätze – bislang sehr ausgewogen und verantwortungsvoll geführt worden sei, sei nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Sorge bereiten ihr indes Ton und Form, in der sich Kritiker äußern. Besonders in ihrer Zeit als Mitglied des Rates habe sie einige große Themen mit Bürgerinitiativen erlebt. Diese Diskussionen seien trotz aller Gegensätze in den Inhalten mit Respekt geführt worden. "Dieser Respekt fehlt bei einigen wenigen Verantwortlichen der Bürgerinitiative", beklagt sie.
"Mit Unwahrheiten, wie dem Bau im Königsdorfer Wald, werden Ängste geschürt. Wer eine andere Meinung hat, wird beleidigt. Das macht vielen Menschen in Königsdorf Angst davor, eine Meinung zu äußern, die von den Forderungen der Bürgerinitiative abweicht." Stupp sieht nun die Stadtverwaltung in der Verantwortung, im Verfahren zur Erteilung der Baugenehmigung "die berechtigten Fragen und Sorgen zum Thema Umwelt- und Naturschutz" zu bearbeiten. "Wir müssen zeigen, dass die ZUE die erhoffte Entspannung bei der Unterbringung von Geflüchteten bringt, in dem insbesondere die Gerhard-Berger-Halle entlastet wird."
Als ein Sprecher der Initiative Königsdorf bezieht Volker Friederichs auf Anfrage Stellung zu den Vorwürfen verbaler Entgleisungen gegenüber Politikerinnen und Politikern sowie Bürgermeisterin Stupp: "Die Äußerungen innerhalb unserer Bürgerinitiative mit über 450 Teilnehmenden sind überwiegend klar, notwendig deutlich und angesichts des intransparenten und fragwürdigen Vorgehens der Bürgermeisterin, Verwaltung und Ratsmitglieder auch gerechtfertigt." Ein politischer Diskurs erfordere keine Samthandschuhe, sondern die Nennung klarer Fakten und Verantwortlicher.
Für die Gegner ist die Sache
noch längst nicht entschieden
Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Gleichzeitig pflegen wir ein gutes Miteinander in der Gruppe und sorgen dafür, dass Äußerungen, die nicht dem demokratischen Zweck dienen, durch Diskussion und Einbindung geklärt werden – nicht durch Ausgrenzung."
Der 53-Jährige, dessen Familie eigenen Angaben zufolge in siebter Generation in Königsdorf lebt, macht deutlich, dass für die Bürger, in deren Namen er spreche, das Thema "noch lange nicht entschieden " sei. Zwar sei die politische Entscheidung gefallen, doch die Verträge zwischen der Stadt und der Bezirksregierung seien nach Kenntnissen der Bürgerinitiative noch nicht unterschrieben. Zudem beklagt Friederichs fehlende Empathie der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung für die Anwohner.
Und auch das: Es sei ein Affront, dass die erste Infoveranstaltung erst sieben Wochen nach Bekanntgabe der Pläne und massivem Protest stattfinde. Ebenso skandalös sei, dass es die Stadt seit spätestens Frühjahr 2022 versäumt habe, ausreichend Wohnraum für Schutzsuchende bereitzustellen. Zahlreiche Angebote und Ideen, behauptet Friederichs, seien entweder abgelehnt oder – wie ein Kasernengelände mit Karnevalswagen – nicht einmal geprüft worden.
Uta Spork, die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, versichert, sie könne alle Bürger sehr gut verstehen kann, die sich Sorgen wegen der geplanten ZUE machten – sie nehme dies sehr ernst. Bestürzt zeigt sie sich aber über den Vorwurf, dass demokratische Rechte der Bürger verletzt würden: "Wir leben in einer repräsentativen Demokratie, in der permanent von den gewählten Repräsentanten Entscheidungen getroffen werden müssen – ohne dass immer eine Befragung der Bürger stattfindet. Alles andere wäre nicht praktikabel. Und ich halte es für brandgefährlich, dass man – wenn einem eine Entscheidung nicht behagt – dann in Zweifel zieht, dass die Entscheidung demokratisch legitimiert sei und behauptet wird, dass die Entscheidungsträger vorsätzlich irgendwelche Mitspracherechte missachtet hätten", sagt Spork.
Die Grünen-Politikerin hält es "für ein sehr gefährliches Narrativ, dass hier ein Rat gegen die Gemeinschaft der Bürger steht, dem man misstrauisch, ablehnend gegenüber stehen muss. Ein Rat ist das Ergebnis einer demokratischen Wahl und lebt in Bezug auf Güte und Vielfalt von den Menschen, die sich einbringen."
Einen Punkt der ZUE-Gegner kann Karla Palussek nachvollziehen: die Kritik am Zeitpunkt, an dem das Vorhaben öffentlich gemacht wurde. Doch im Gespräch mit unserer Redaktion gibt sie auch zu bedenken: "Leider befand sich das Grundstück, auf dem die ZUE errichtet wird, nicht im Besitz der Stadt Frechen. Um hier den Kauf, insbesondere ohne Schaden durch mögliche Spekulationsabsichten, für die Stadt abzuwickeln, war leider eine frühere Information nicht möglich."
Sie, aber auch Hans Günter Eilenberger (SPD) befürchten dennoch nicht, das Vertrauen aller rund 13 000 Königsdorfer verloren zu haben. "Gespräche unserer Stadtverordneten mit Bürgern haben gezeigt, dass diese unsere Entscheidung auch verstehen und uns unterstützen", sagt der SPD-Politiker.
Auch Peter Singer, Fraktionsvorsitzender BSW-Vernunft und Gerechtigkeit im Rat der Stadt Frechen, zeigt sich zuversichtlich. Die meisten Menschen könnten sicherlich erkennen, dass die ZUE am Ende auch für Königsdorf besser sei als die Aussicht, die Gerhard-Berger-Halle noch auf Jahre für die Flüchtlingsunterbringung nutzen zu müssen. Diejenigen, die Ihre Interessen durch den Bau der ZUE beeinträchtigt sehen, könnten naturgemäß nicht zufrieden sein. "Aber wir haben hier das Gesamtinteresse der Stadt an einer Entlastung der Schulen und der Aussicht auf wieder für den Sport nutzbare Hallen höher gewichtet."
Singer hält aber auch Teile der Politik mit verantwortlich, dass sich unter Königsdorfer Bürgern ein solch scharfer Protest breitgemacht habe. CDU- und SPD-Politiker hätten den Fehler gemacht, "die zuvor mit guten Argumenten einmütig vereinbarten Beschlüsse angesichts einzelner Bürgerproteste nicht mehr nach außen zu vertreten". Hier gelte der Grundsatz: Wer Millionen geflüchteter Menschen aufnehme und nicht für Wohnungen, Arbeit und wirkliche Integration sorge, dürfe nicht gleichzeitig auch noch die Kommunen kaputtsparen. "Diese Politik ist sozialer Sprengstoff. Eine Lösung kann nur auf Bundesebene herbeigeführt werden", sagt Singer.
Auf kommunaler Ebene zeigen sich die Fraktionen nach wie vor bereit zum Gespräch mit den ZUE-Kritikern. Das macht unter anderem Dieter Zander klar: "Mit Transparenz, Ehrlichkeit und sachlichen Argumenten müssen Politik und Verwaltung überzeugen sowie auch der Bürgerschaft Sorgen und Ängste nehmen." Gelegenheit dazu böten die Bürgerinformationsveranstaltungen. Auf die an diesem Montag soll eine weitere folgen, möglichst in Königsdorf. Allein die Suche nach einem Veranstaltungsort in der Vorweihnachtszeit sei schwer, sagt Palussek. Zander versichert: "Wer sich im Gespräch oder auch schriftlich an unsere Fraktion wendet, wird selbstverständlich eine klarstellende Antwort erhalten."
Die Redaktion hat alle acht Ratsfraktionen schriftlich um eine Bewertung der Debatte um die ZUE gebeten. Nicht alle haben darauf geantwortet, darunter das "Bündnis für Frechen" (Ex-AfD). © Kölner Stadt-Anzeiger
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