Mit einem riesigen Familienfest wird am 22. September auch in Köln beim Weltkindertag das Bestehen der Kinderrechte gefeiert.

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Sie sollen Kinder schützen und stärken, sind in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1989 festgeschrieben und beruhen auf vier Grundprinzipien: dem Recht auf Nichtdiskriminierung, auf Leben und Entwicklung, auf Beteiligung und die Einhaltung des Kindeswohls.

Die 54 Artikel der Kinderrechtskonvention klingen meist selbstverständlich: Es gibt hierzulande ein funktionierendes Gesundheitswesen, Spielplätze und Sporthallen, Musikschulen und Jugendzentren – und es gilt die Schulpflicht. Kinderrechte ins Grundgesetz.

Kinderrechte ins Grundgesetz

Doch bei genauem Hinsehen gibt es wenig Anlass, die Umsetzung der Kinderrechte zu bejubeln. Sie stehen im Alltag oft in Konflikt mit anderen Interessen, auch wenn die Konvention vorgibt, dass das Kindeswohl Vorrang hat. Oft bleibt, wie beim Recht auf Mitbestimmung, die Umsetzung unkonkret und es wird nicht festgelegt, bei welchen Entscheidungen Kinder mitentscheiden dürfen.

Auch sind Kinderrechte noch immer zu vielen Menschen unbekannt. Laut der "Children's Worlds"-Studie der Goethe-Universität Frankfurt wissen 33,3 Prozent der Achtjährigen nicht, welche Rechte Kinder haben und 35,8 Prozent der 14-Jährigen sind sich darüber nicht sicher. Wer seine Rechte aber nicht kennt, kann sie auch nicht einfordern.

Am misslichsten ist, dass die Kinderrechte weder im Grundgesetz noch in der Landesverfassung verankert sind, so dass munter über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden wird

Ursula Enders, „Zartbitter“-Geschäftsführerin

"Am misslichsten ist, dass die Kinderrechte weder im Grundgesetz noch in der Landesverfassung verankert sind, so dass munter über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden wird", kritisiert Ursula Enders. Die Mitbegründerin von "Zartbitter", der Kölner Fachberatungsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Jungen und Mädchen, erklärt, warum es um den Kinderschutz schlecht bestellt ist, wenn die Kinderrechte gesetzlich nicht verankert sind: "Dann werden unter anderem viele Familiengerichte und Jugendämter bei innerfamiliären Missbrauchsfällen das Elternrecht höher als das Kindeswohl bewerten und von sexueller Gewalt betroffene Kinder zu Besuchskontakten mit dem missbrauchenden Elternteil zwingen", sagt Enders und kommt auf ein Positivbeispiel zu sprechen.

Gewaltfreie Erziehung per Gesetz

"Im Jahr 2001 wurde das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind seitdem qua Gesetz unzulässig. Inzwischen kennen dieses Recht zunehmend auch jüngere Kinder und vertrauen sich bei körperlicher Gewalt häufiger als vor zwanzig Jahren Vertrauenspersonen an."

Im Mai 2022 ist in Nordrhein-Westfalen das Landeskinderschutzgesetz in Kraft getreten. Es setzt zentrale politische und fachliche Forderungen aus der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle etwa in Lüdge, Münster und Gummersbach um. Darin steht schwarz auf weiß, dass der Kinderschutz untrennbar mit den Kinderrechten verbunden ist.

Damit, dass die Aufnahme der Kinderrechte in die Landesverfassung am Widerstand einiger Abgeordneter scheitert, verliert das Kinderschutz-Engagement der Landespolitik enorm an Glaubwürdigkeit

Ursula Enders, Mitgründerin und Geschäftsführerin von„ Zartbitter Köln“

"Damit, dass die Aufnahme der Kinderrechte in die Landesverfassung am Widerstand einiger Abgeordneter scheitert, verliert das Kinderschutzengagement der Landespolitik enorm an Glaubwürdigkeit", sagt Enders. Seit 1987 setzt sie sich gemeinsam mit ihrem "Zartbitter"-Team dafür ein, dass Kinderrechte nicht nur auf dem Papier bestehen. Dass junge Menschen ihre, vor allem persönlichen, Rechte kennen und einfordern. Und dass somit ihr Privatleben und ihre Würde gewahrt werden.

So hat "Zartbitter" unter anderem gemeinsam mit Kindern aus Jugendzentren, Grundschulen, Chören, Sport- und Karnevalsvereinen Kinderrechtepässe entwickelt. Dabei haben die jungen Menschen auf die Frage "Was braucht ihr, um euch in eurer Einrichtung wohlzufühlen?" Rechte zur Achtung persönlicher Grenzen gesammelt. Die den Kindern besonders wichtigen Rechte hat Illustratorin Dorothee Wolters als Leporello mit 21 Szenen gestaltet. Der Kinderrechtepass wird von Kindern mit dem Zusatz "Ich kenne meine Rechte und achte die der anderen Kinder" und auch von den Fachkräften unterzeichnet, die sich ebenfalls mit ihrer Unterschrift verpflichten, sich für die Kinderrechte in ihrer Einrichtung zu engagieren.

Privatleben und Würde der Kinder wahren

Damit Kinder möglichst früh ihre persönlichen Rechte kennenlernen und im Alltag erfahren, widmet sich das jüngste "Zartbitter"-Projekt den Persönlichkeitsrechten von Kita-Kindern. "Bislang werden diese persönlichen Rechte in Konzepten und Bildungsplänen oft nur unter dem Begriff Partizipation zusammengefasst, ohne zu konkretisieren, welche Rechte Kindern in Kitas zugestanden und in welchem Umfang ihre Meinungen berücksichtigt werden", sagt Leonie Kirschstein.

Die Psychologin arbeitet im "Zartbitter"-Beratungsteam und ist an dem neusten Projekt beteiligt. Es zielt darauf ab, Kitakinder und deren Eltern mittels leicht verständlicher Illustrationen über Kinderrechte zu informieren. Die Bilder sollen im Anschluss – quasi als Wertekompass – an einer zentralen Wand der Kita ausgehängt werden. "Bisher findet man in Kitas, wenn überhaupt, große Bildtafeln mit Buchstabenwüsten zu Kinderrechten, die wenig lesefreudig layoutet sind und damit weder von den Kita-Kindern noch von Eltern mit begrenzten Deutschkenntnissen verstanden werden", sagt Enders.

Recht auf Ruhe und Trost

In einem ersten Schritt hat "Zartbitter" gemeinsam mit Fachkräften von Kölner Kitas anhand erster Illustrationen die für ihren Alltag wichtigsten persönlichen Kinderrechte, wie das Recht auf Ruhe, Trost, oder das Recht am eigenen Bild, zusammengestellt, hat neue Rechte gesammelt, etwa darauf, selbst zu entscheiden, von wem man gewickelt werden möchte und nach Relevanz für den pädagogischen Alltag bewertet.

Auffällig war, dass vielen Fachkräften das Recht auf respektvolle Ansprache wichtig war, und dass Kommentare wie ‚Hör auf zu heulen‘ im Kita-Alltag nichts zu suchen haben. Daraus ist das Recht auf eigene Gefühle entstanden

Leonie Kirschstein. Psychologin bei „Zartbitter Köln“

"Auffällig war, dass vielen Fachkräften das Recht auf respektvolle Ansprache wichtig war, und dass Kommentare wie ‚Hör auf zu heulen‘ im Kita-Alltag nichts zu suchen haben. Daraus ist das Recht auf eigene Gefühle entstanden", sagt Kirschstein. Ein weiteres wiederkehrendes Thema sei die Konkretisierung des Rechts auf Partizipation gewesen. Enders nennt als Beispiel das Recht auf Ruhe. "Wenn Beteiligung in Kitas gelebt wird, müssten die Kinder mitentscheiden können, wann, wo und wie lange sie Mittagsschlaf halten und was sie sonst noch brauchen, um Ruhe zu finden."

Vorschulkinder als Expertinnen und Experten

In einem nächsten Schritt sollen Eltern in die Auswahl und Gestaltung der persönlichen Rechte einbezogen werden, bevor dann Kinder im Vorschulalter die Illustrationen danach bewerten, was jüngere Kinder brauchen, um sich wohlzufühlen, und die Rechte und Illustrationen gegebenenfalls korrigieren. Die Ergebnisse werden dann in Kitas dem Praxistest unterzogen und anschließend von "Zartbitter" überarbeitet. Abgerundet wird das Projekt mit Arbeitshilfen und Begleitmaterial für das Fachpersonal und für Eltern.

"Wir verstehen die Kinderrechtskonvention als Basis, doch die persönlichen Kinderrechte gehen weit darüber hinaus. Mit unserem Projekt möchten wir dazu beitragen, dass die in der Theorie vorhandenen Rechte auch im Alltag Anwendung finden", sagt Enders. Das neue "Zartbitter"-Projekt ist damit bestes Beispiel dafür, wie der Vorrang des Kindeswohls in der Praxis gelebt werden kann, wie kindliche Interessen früher beachtet und Kinder beteiligt werden können.

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Wären Kinderrechte in der Verfassung verankert, müssten sich daran sämtliche Entscheidungen von Behörden, Gerichten und Eltern orientieren – ob es um die Planung von Wohnvierteln, den Straßenbau, Inhalte des Lehrplans oder die Wahl der Schule geht. Auch der Staat könnte in die Pflicht genommen werden, wenn es um seine Verantwortung für kindgerechte Lebensverhältnisse und gleiche Entwicklungschancen geht. Angesichts der Klimakrise, der steigenden Kinderarmutsquote und unfairen Bildungschancen wäre das dringend vonnöten.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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