Am Anfang des Jahres machen sehr viele Menschen ihre Reisepläne. Mal was Neues, oder doch wieder an den bekannten Strand, in das nette Hotel?

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Es gibt aber auch Menschen, die haben derzeit ganz andere Reisepläne: Qutaibah Alkassat plant eine Reise nach Syrien. Vielleicht werden es sogar zwei. Und wer weiß: Vielleicht entsteht daraus am Ende ein kompletter Neuanfang. Qutaibah Alkassat ist Syrer mit deutschem Pass. Er lebt mit seiner Frau seit 2014 in Deutschland. Die beiden haben drei Kinder. Die älteste Tochter ist 15 Jahre alt, die andere Tochter 13 Jahre und der Sohn neun Jahre. Keiner von ihnen war je in Syrien. Ihr Arabisch ist, so sagt es Qutaibah Alkassat, "nicht so gut".

Er hat ein Flugticket gekauft und will Ende Januar seine Eltern besuchen. Zum ersten Mal nach zwölf Jahren. Er ist damals nicht direkt von Syrien geflohen, sondern von Ägypten aus, wo er für die syrische Regierung arbeitete. Er war bereit, alles hinter sich zu lassen, um sich und seine Familie aus der Gefahrenzone zu retten. 2014 tobte schon der Bürgerkrieg in dem Land, aber die große Flüchtlingswelle erreichte erst ein Jahr später Deutschland.

Deutschland ist meine zweite Heimat geworden.

Qutaibah Alkassat

Qutaibah Alkassat und seine Familie kamen mit dem Flugzeug nach Deutschland und stellten einen Asylantrag. Und weil er vor der Welle kam, konnte er später dann im Auftrag der Stadt Bergisch Gladbach seinen Landsleuten helfen. Heute hat er eine feste Arbeit und einen deutschen Pass. "Deutschland ist meine zweite Heimat und ich werde dem Land immer dankbar sein", sagt er.

2015 gab es erste Kontakte zu dieser Zeitung. Der Kontakt riss danach nie ganz ab. Und inzwischen ist das für viele Syrer in Deutschland zwar immer Erhoffte, aber nie wirklich für möglich Gehaltene passiert: Das Regime von Baschar Hafiz al-Assad ist gestürzt und der Diktator nach Moskau geflohen. "Wir Syrer kennen nichts anderes als das Assad-Regime. Es fühlt sich immer noch fremd an, dass es nun wirklich vorbei ist", erzählt Qutaibah Alkassat. Spontan seien viele Syrer auch in Bergisch Gladbach auf die Straße gegangen. Auf dem Trotzenburgplatz wurde getanzt. Das war am 7. Dezember vergangenen Jahres. Das ungläubige Staunen über den Sturz des Regimes ist geblieben, die Freude auch – hinzugekommen sind neue Sorgen.

Die Kinder sind aufgeregt vor ihrer ersten Reise nach Syrien

"Niemand weiß, wie es in Syrien weitergeht", erzählt Qutaibah Alkassat. Die syrische Gemeinschaft – in Bergisch Gladbach leben rund 850 Syrier – ist nicht wirklich vernetzt mit der deutschen Stadtgesellschaft. Und die Gruppe ist groß genug, um für sich zu bleiben. Es gibt Integrationsangebote und Sprachkurse – aber gefühlt bleibt alles Stückwerk. Da, wo dieses Spannungsverhältnis besonders deutlich wird, das sind die Kinder. Die älteste Tochter von Qutaibah Alkassat will Abitur machen, studieren. Deutschland verlassen? Das ist für sie nicht wirklich eine Option. Im Sommer will vielleicht die ganze Familie nach Syrien reisen. Qutaibah Alkassat erzählt, dass die Kinder sehr aufgeregt sind. Sie haben ja viel gehört, auch telefoniert – aber eben nie gesehen.

Die Eltern von Qutaibah Alkassat wissen noch nichts von dem geplanten Besuch ihres Sohnes. Er hat Angst, dass die Reise in letzter Minute aus irgendwelchen Gründen ausfällt, und dann sei die Trauer über die geplatzte Reise wahrscheinlich größer als die Vorfreude auf den Besuch. Das elterliche Haus liege rund 80 Kilometer von Damaskus entfernt, in einem kleinen Dorf. "Es ist noch nicht zerstört", sagt Qutaibah Alkassat. Das sei etwas Besonderes.

Die Angst vor der Rückkehr macht vielen Angst

Wenn jemand sagt, er komme aus Syrien, dann sei es wichtig nachzufragen: "Woher genau kommst Du?" Denn die meisten Syrer in Deutschland stammen aus Städten oder Dörfern, die es nicht mehr gibt. Und auch wenn die syrische Gemeinschaft nicht gut mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft vernetzt ist, die politischen Forderungen nach der sofortigen Abschiebung aller Syrer ist bei ihnen angekommen. Und macht vielen Angst. "Ich kenne Menschen, die haben wirklich Panik", sagt Qutaibah Alkassat.

Auch die Bergisch Gladbacher Gruppe der Syrer ist ein bunter Haufen – und spiegelt so zumindest teilweise die Realität in Syrien wider. Aleviten, Sunniten, Schiiten, Christen – nicht zu vergessen die Volksgruppe der Kurden. Und Syrien gilt ganz offiziell als "gescheiterter Staat" – ein Staat, der seine grundlegenden Funktionen (Sicherheit, Wohlfahrt, Rechtsstaatlichkeit) nicht erfüllt. Das hat sich nach Sturz des Diktators nicht verändert.

In welchem Land werde ich wirklich gebraucht?

Qutaibah Alkassat

Qutaibah Alkassat erzählt von den Gesprächen der Syrer in Bergisch Gladbach untereinander, ihren Hoffnungen – aber auch ihren Befürchtungen. Im Grunde ist es doch eine einfache rationale Abwägung: In welchem Land kann ich und meine Familie besser leben? Aber so einfach ist das eben dann auch wieder nicht. Qutaibah Alkassat spricht von einem Durcheinander der Gefühle. In welchem Land werde ich wirklich gebraucht? Was ist mit den Kindern?

Er ist sicher, dass viele der Syrer in Bergisch Gladbach in ihre Heimat zurückkehren, wenn sich die Sicherheitslage dort verbessert. Auch Menschen, die inzwischen im deutschen Arbeitsmarkt fest integriert sind. Sie schauen nach Syrien und hoffen auf einen Wiederaufbau, bei dem sie mithelfen können.

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Bei seinen letzten Telefonaten mit den Eltern hat Qutaibah Alkassat erfahren, dass alles besser wird. Die Preise für Benzin und Diesel würden fallen. Pro Tag gebe es jetzt drei Stunden Strom in dem Dorf – bis vor kurzem war es eine Stunde pro Tag. Qutaibah Alkassat wird sich das alles anschauen. Sein Ticket, hin- und zurück, ist gebucht.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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