Spanien hat 16 Nationalparks, 53 Biosphärenreservate und zahlreiche Naturparks abseits des touristischen Trubels. Perfekt für eine Frühjahrstour.
Noch vor dem Sonnenaufgang schlüpfe ich in Leggings, Jeans, zwei Pullis, Winterjacke, Mütze und Handschuh, schnappe mir Kamera und Fernglas und verlasse leise unseren Campervan. Ich habe den Eindruck, alles schläft noch, außer mir, ein paar Flamingos und den Kranichen. Die trompeten schon eifrig in den kalten Februarmorgen hinein, fliegen kurz mal auf, schütteln ihr Gefieder, lassen sich dann aber wieder nieder. Auch als bald darauf die Sonne aufgeht, werden sie nicht lebhafter. Vielleicht ist ihnen noch zu kalt. Ich verziehe mich in die Wärme des Wohnmobils, setze Kaffeewasser auf, mache Frühstück. Heute können wir uns Zeit lassen, weil wir hier an der Laguna de Gallocanta, 100 Kilometer südwestlich von Zaragoza, nach 2.000 Kilometern Anreise einen Ruhetag einlegen. Die flache Lagune zieht Zugvögel an. Insbesondere Kraniche kann man in großen Mengen beobachten. Sie ist eins der größten Überwinterungsgebiete des Europäischen Graukranichs.
Im Camper ist es gerade so richtig gemütlich, wir klönen virtuell mit fernen Freunden, der Kaffee und das spanische Nussbrot sind lecker, als das Vogeltrompeten draußen immer lauter und lauter wird. Wir öffnen unsere Tür, blicken zum Himmel und erleben ein Kranichspektakel vom Allerfeinsten. Aus allen Richtungen fliegen sie herbei, bilden Formationen, trennen sich wieder, kommen zu neuen Gruppen zusammen, begleitet von dem für sie typischen lauten Tröten. Tausende von Kranichen fliegen um uns herum, wir kommen mit dem Schauen fast nicht nach, endlich mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Von den Bergen in die Wüste Tabernas
Einige Tage später, 600 Kilometer weiter südlich, 15 Grad wärmer: Vorbei an den schneebedeckten Bergen der Sierra Nevada fahren wir von 900 auf 400 Höhenmeter hinunter. Dann empfängt uns eine spektakuläre Landschaft mit Sonnenschein und 20 Grad. Wir haben die (Halb-)wüste von Tabernas erreicht.
Neben einer Tankstelle finden wir einen Übernachtungsplatz mit Aussicht, packen die Räder vom Heckträger und fahren entlang der einzigen Straße durch die Halbwüste, die wir alle aus dem Kino kennen. Denn hunderte Spielfilme, davon zahlreiche Wildwestfilme wie Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" oder "Der Schuh des Manitu" von
Hier gibt's die komplette Route auf Google Maps.
Zu Fuß auf dem Caminito del Rey
Seit Jahren schon wollen wir hierhin, immer war irgendwas, das uns daran gehindert hat. Jetzt ist es so weit: Wir haben Eintrittskarten für den "Königsweg" Caminito del Rey. Heute Nachmittag um halb drei dürfen wir diesen berühmten Wanderweg begehen. Wir steuern das Informationszentrum an, gleich nebendran, ein Plateau höher, gibt es eine Park- (und in der Nebensaison auch Übernachtungs-)möglichkeit für Camper. Beim Infozentrum startet der Pendelbus, der uns zum nördlichen Eingang bringt.
[Link auf https://maps.app.goo.gl/6AmEnfydbgG5VdyR9]Der Königsweg ist eine Einbahnstraße und kann nur von Nord nach Süd gelaufen werden. Die ersten zwei Kilometer wirken wie ein gemütlicher Waldspaziergang. Dann erreichen wir den Eintrittskarten-Kontrollpunkt, wo wir Helme bekommen. Der kleine Fluss Guadalhorce hat eine Schlucht in die Felsen gefressen, die teils über 100 Meter senkrecht hinaufragen. Wir folgen seinem Lauf über einen drei Kilometer langen Bohlenweg, der teils in den Felsen geschlagen ist, teils an ihm zu schweben scheint. Der Fluss schlängelt sich und bietet mit jeder Windung eine neue, spektakuläre Aussicht. Eine Menge Leute sind hier unterwegs, aber jeder wartet rücksichtsvoll, wenn einer ein Foto macht.
Der Caminito war Ende der 1990er Jahre stark verfallen und galt als einer der gefährlichsten Wanderwege der Welt. Im Jahr 2000 wurde er geschlossen, nachdem es zu mehreren Todesfällen gekommen war. 15 Jahre später wurde er wieder eröffnet, komplett saniert, sicher und für alle, die keine Höhenangst haben, mit Freude begehbar. Der Caminito del Rey liegt etwa 60 Kilometer nördlich von Malaga. Wer in die Gegend kommt, sollte ihn unbedingt gehen. Man muss nicht so wie wir drei Jahre warten.
Doñana-Nationalpark
Der westlichste Punkt unserer Spanienreise ist der kleine Ort El Rocío. Auf dem Campingplatz ist noch alles normal. Ich bin fast enttäuscht, hatte ich doch erwartet, dass es hier am Rande des Nationalparks Doñana alles etwas ursprünglicher sei. Wir ziehen uns feste Schuhe an und machen uns auf in den Ort. Aber was ist denn das für ein Ort? Weiße zweistöckige Häuser mit bunten Fenster- und Türfassungen und großen überdachten Veranden stehen in Reih und Glied, dazwischen breite Sandwege und immer wieder eine kleine Kirche. Pferdekutschen fahren durchs Dorf, wir sehen Reiter, die ihr Bier vor der Kneipe trinken. Im Sattel natürlich. Was jetzt, Mitte März, wie eine Geisterstadt wirkt, weil nahezu alle Häuser unbewohnt sind, erwacht einmal im Jahr zum Leben. Zu Pfingsten laufen, reiten oder fahren an die hundert Bruderschaften in den Ort und ziehen in ihre Häuser ein. Die Wallfahrt in El Rocío zu Ehren der Jungfrau Maria gehört zu den größten religiösen Festen in Spanien.
Neben der Kirche beginnt das Marschland, in dem sich seltene Vögel wie Löffler, Sichler und Flamingos wohlfühlen. In dem Gebiet soll es auch Luchse und Hirsche geben. Letztere sehen wir tatsächlich am anderen Ufer, recht weit weg, aber ein großes Rudel von etwa zehn Tieren. In den 54.000 Hektar großen Doñana-Nationalpark darf man nur mit einer geführten Tour. Die heben wir uns für einen der nächsten Tage auf. Zuerst wollen wir mit den Rädern in die Infozentren am Rande des Naturparks, der eine 26.000 Hektar große Pufferzone bildet. Eine Straße führt nach Süden, links von uns ist der eingezäunte Nationalpark, rechts der Naturpark.
Unser erster Stopp ist das Besucherzentrum La Rocina. Ein Bohlenweg führt zu den Marschgebieten, die durch das Schwemmland im Mündungsbereich des Guadalquivir entstanden sind. Für Naturliebhaber wurden viele Beobachtungshütten gebaut. Und die Objekte der Begierde sitzen fast direkt vor den Ferngläsern und Fotoapparaten: Sichler, Löffler, jede Menge Gänse und Enten, ein Storchen-Hochhaus und in größerer Entfernung zwei iberische Kaiseradler. Da schlagen die Herzen der Vogelfreunde höher.
Ein bisschen traurig wird es dann zwölf Kilometer weiter südlich. Wir hatten schon davon gehört, hofften aber, dass es dieses Jahr anders sei: Die Marsch ist weiter südlich rund ums Infozentrum Acebuche trocken gefallen. Seit dem bisherigen Rekordsommer 2022 fehlt das Wasser. Kein Wasser, keine Vögel. Auch hier gibt es einen gepflegten Holzweg, alle paar Meter steht eine Hütte als Beobachtungsstand, aber: Es ist nichts mehr da zum Beobachten.
Der Grund ist in der allgemeinen Wasserknappheit zu finden, aber auch in den verschiedenen Interessenlagen. Teile der Pufferzone im benachbarten Naturpark werden seit Jahrzehnten als Erdbeerplantagen genutzt. Hierfür sind große Mengen an Wasser erforderlich. Der WWF Spanien geht von Wasserentnahmen aus mehr als 1.000 illegalen Brunnen aus.
Wir fahren zurück nach El Rocío. Hier ist noch genügend Wasser im Marschland. Heute Abend sehen wir nicht nur Vögel, sondern auch halbwilde Pferde im Wasser. Was für ein Anblick.
Am nächsten Tag klingelt der Wecker um halb sieben. Als wir mit den Rädern zum verabredeten Treffpunkt in El Rocío fahren, wird es gerade hell. Wir haben die Bustour in den Doñana-Nationalpark gebucht. Denn das ist die einzige Möglichkeit hineinzukommen. Leider gibt es heute nur eine Führung in Spanisch. Sergio erzählt im Verlauf der kommenden Stunden sehr viel über den Park und über Flora und Fauna. Nur verstehen wir so gut wie gar nichts. Trotzdem bekommen wir einen Eindruck vom Reichtum des Parks und der Vielfalt seiner Natur. Wir sehen Hirschkühe, den schwarzen Milan mit einem Fisch in den Fängen, ein Rothuhn, das wir bisher noch gar nicht kannten, und Kraniche.
Der Doñana-Nationalpark ist nicht nur Spaniens wichtigstes Feuchtgebiet, sondern dient Millionen von Zugvögeln als Heimat, Winterdomizil und Rastplatz auf ihren Wanderungen zwischen Europa und Afrika. Ob man, wie dies bei Wikipedia geschieht, davon in der Vergangenheit schreiben muss? Jedenfalls wird hier überdeutlich, wie empfindlich solche Ökosysteme sind und wie rasch sie zerstört werden können.
Monumento Natural Los Barruecos
Rund 300 Kilometer weiter nördlich finden wir das nächste Kleinod. Vor vier Jahren waren wir schon mal am Monumento Natural Los Barruecos, gleich um die Ecke von Cáceres. Erneut zieht es uns in die spektakuläre Felslandschaft entlang der Ufer natürlicher Seen mit brütenden Weißstörchen. Hier wurden Schlachtszenen für die Fernsehserie "Game of Thrones" gefilmt. Kugelrunde Findlinge liegen um Seen herum wie zufällig von spielenden Riesen hingewürfelt.
Wir laufen ein paar Stunden durch diese unter Naturschutz gestellte Landschaft, die Sonne scheint, die Störche fliegen über uns hinweg oder klappern in ihren Nestern. Los Barruecos gilt als einziger Ort in Spanien, an dem bodenbrütende Störche leben. Zu guter Letzt gibt es noch eine Überraschung für uns: Der deutsche Aktionskünstler Wolf Vostell (1932–1998) und seine Frau Mercedes kauften hier 1976 die ehemalige Wollwäscherei und richteten ein Museum mit seinen Werken ein. Es ist recht gut besucht, wir staunen über das Gebäude und die Exponate und trinken noch ein Glas Wein im Museumscafé. Der Busparkplatz ist leer. Außer uns ist keiner da, deshalb bleiben wir heute Nacht hier stehen.
Der kleinste Nationalpark Spaniens
Der Parque Nacional Tablas de Daimiel ist der kleinste der 16 spanischen Nationalparks, ein einzigartiges Feuchtgebiet in Europa und eine Oase für Tiere und Pflanzen. Es ist schon drei, als wir im Park ankommen. Auch hier gibt es einen Stellplatz, auf dem wir über Nacht stehen bleiben dürfen.
Das Feuchtgebiet wird von Grundwasser und zwei Flüssen gespeist, dem Cigüela, der jahreszeitlich bedingt Salzwasser führt, und dem Guadiana, der ein reiner Süßwasserfluss ist. Beide Flüsse durften bis in die 1960er Jahre frei mäandern und Flussplatten und Auen bilden. Durch unterschiedliche Niveaus gab und gibt es Dutzende von Inselchen, die ein Paradies für Tiere sind.
1973 wurde die Flusslandschaft samt ihren Inselchen und Tamariskenwäldern – die einzigen Bäume hier – unter Schutz gestellt und der Nationalpark gegründet. Nun gibt es einen kleinen Bereich, der von Gästen betreten werden darf. Hier wurden die Inseln mit Holzstegen verbunden und Vogelbeobachtungshütten errichtet. Unmengen verschiedener Enten und Gänse tummeln sich hier, Reiher, Störche, Flamingos, Greifvögel, Schildkröten und Laubfrösche. Und Wachteln hören wir auch. Hier gibt es so viel zu entdecken, dass wir beschließen, den nächsten Tag noch hierzubleiben, alles ganz entspannt angehen zu lassen und weitere Erkundungen zu unternehmen. Ein Ruhetag in so friedvoller Umgebung hat was.
Nationalpark-Besuch in den Pyrenäen
Auf unserer Rückreise, kurz vor der französischen Grenze, besuchen wir den für diese Reise letzten spanischen Nationalpark in den Pyrenäen. Sein langer Name ist ein Zungenbrecher: Aigüestortes i Estany de Sant Maurici. Aigüestortes ist katalanisch und bedeutet so viel wie "gewundene Gewässer". Der Fluss San Nicolás windet sich hier durch die Gegend. Estany de Sant Maurici ist der katalanische Name eines Sees im Park, der auf Spanisch Lago de San Mauricio heißt.

Wir steuern das Bergdorf Espot an. Es liegt auf 1.300 Metern und ist von 2.000 Meter hohen Bergen umgeben. Gegenüber vom großen Parkplatz warten Offroad-Taxis: Für fünf Euro pro Person bringen sie uns hinein und hinauf in den Nationalpark zum namengebenden Stausee Sant Maurici. Der liegt auf 1.900 Metern und ist Anfang April noch mit einer festen Eis- und Schneeschicht bedeckt. An ihm entlang geht es noch mal ein Stück höher. Der Weg ist sehr gut angelegt, ab und zu gibt es matschige oder verschneite Stellen. Nach einer halben Stunde erreichen wir einen Wasserfall. Uns zieht es noch höher hinauf. In diesem Winter haben wir noch nicht viel Schnee gesehen. Auf 2.200 Metern liegt der nächste Stausee. Er ist kleiner, aber nicht mehr zugefroren. Abwärts wird es etwas rutschig, aber ich habe eine stützende Hand an meiner Seite. © Promobil