Alois Schloder war einer der besten Angreifer in der Geschichte des deutschen Eishockeys. Im Interview spricht der Olympia-Bronzemedaillengewinner von 1976 über die sensationellen Leistungen der deutschen Mannschaft bei der WM, die Schlüssel zum Erfolg und worauf es in den letzten Spielen nun ankommt.
Herr Schloder, die deutsche Nationalmannschaft steht nach einem schwierigen Start ins Turnier im WM-Halbfinale. Was imponiert Ihnen am meisten an dieser Mannschaft?
Alois Schloder: Die mannschaftliche Geschlossenheit ist enorm, der Teamgedanke stark ausgeprägt, jede Reihe bringt ihre ganz eigenen Stärken ein und sorgt so für eine große Ausgeglichenheit im Team. Es ist kein Leistungsabfall zu erkennen, egal welche Reihe gerade auf dem Eis steht. Wie diese Mannschaft sich präsentiert, ist jetzt schon phänomenal!
Gibt es dabei so etwas wie ein Prunkstück?
Gehen wir mal weg von einzelnen Spielern oder Mannschaftsteilen. Die Ruhe, mit der die Verantwortlichen jederzeit agiert haben, ist schon sehr bemerkenswert. Die Öffentlichkeit hat bei den drei verlorenen Spielen zum Beginn des Turniers nur das Ergebnis registriert - dabei war da schon ersichtlich, dass die Mannschaft voll mithalten kann. Das gesamte Team ist ruhig geblieben. Und das zahlt sich jetzt aus.
Auffällig sind aber schon die Effizienz in der Offensive und die Defensivarbeit - inklusive Goalies.
Das ist verrückt: In den letzten Testspielen gegen Österreich und die USA hatte die Mannschaft teilweise massive Probleme im Abschluss. Es fehlten die Torjäger, es sind ja viele Spieler aus Verletzungsgründen gar nicht dabei. Und plötzlich fallen die Dinger jetzt vorne rein…
DEB-Team mit bester Schusseffizienz
...Deutschland hat mittlerweile die beste Schusseffizienz mit fast 14 Prozent.
Ganz genau. Das ist wirklich außergewöhnlich und war so nicht zu erwarten. Und zu Mathias Niederberger muss man wohl nichts mehr sagen: Der ist die Ruhe in Person. Und allein die Tatsache, dass Harry Kreis ihn fast jedes Spiel spielen lässt und er den Druck nicht an sich ran lässt, spricht Bände. Das ist einer der Schlüssel zum Erfolg.
Welche Rolle nimmt Harry Kreis bei seiner ersten WM als Chefcoach ein?
Man kann die bisherige Arbeit von Harry Kreis und seinem Trainerteam gar nicht genug loben. Das ist ein Trainer, der so ruhig und unaufgeregt coacht, der die Spieler versteht und auch erreicht und offenbar eine ausgeprägte Empathie mitbringt. Das alles überträgt sich auf die Mannschaft: Die wissen, dass sie gut genug sind und dass es keinen Anlass gibt, in Panik zu verfallen.
Gibt es einen Spieler, der Ihnen besonders gefällt bisher?
Da gibt es mehrere. Aber zwei würde ich trotzdem rauspicken wollen: Alex Ehl und Wojciech Stachowiak. Alex arbeitet unglaublich für dieses Team, Überzahl, Unterzahl, immer auf Hochspannung. Und das sage ich nicht, weil er wie ich aus Landshut kommt. Sondern weil das fantastisch ist. Und Stachowiak? Der kommt zu seiner ersten WM und spielt so dermaßen grandios auf. Das ist wirklich sensationell.
Goalie, Effizienz, Teamgeist, starkes Trainerteam - dagegen steht aber auch ein Problem, das im weiteren Turnierverlauf im besten Fall abgestellt wird: Das Powerplay ist noch ausbaufähig.
Das mag sein. Aber schauen Sie sich das Spiel gegen die Schweiz an: Wie der Gegner da mit vier Spielern vorcheckt, Überzahl schafft und an der Bande und in den Ecken arbeitet: Da hat es jede Mannschaft schwer, ein Powerplay aufzuziehen. Und: Im Gegenzug war das deutsche Penalty Killing herausragend gut.
Team USA: "Bunte Mischung aus NHL-, AHL- und College-Spielern"
Die USA haben einige bärenstarke Spieler dabei, Goalie Casey DeSmith, T.J. Tynan, Rocco Grimaldi, Conor Garland oder Cutter Gauthier. Was macht diese Mannschaft so stark?
Eher unberechenbar. Die Amerikaner haben wie eigentlich immer eine bunte Mischung aus NHL-, AHL- und College-Spielern. Die sind verdammt jung und verdammt schnell. Und, ich sag das jetzt mal so: Die schießen wie die Sau. Da sind unglaubliche Schüsse dabei, unterm Verteidiger durch, wenn vor dem Tor Verkehr ist. Das ist schon exzellent. Aber auch hier gilt: Das können die deutschen Spieler auch. Wenn ich früher von der Torlinie aufs Tor geschossen hätte: Dann wäre aber was los gewesen! Heute schießt der JJ Peterka mehrmals pro Spiel aus diesem Winkel hoch aufs kurze Eck. Weil vielleicht noch fünf Zentimeter Platz sind, wenn der Goalie grad rüberschiebt oder im Butterfly ist. Das ist schon unglaublich gut.
Lassen sich Schlüsse aus den letzten Spielen gegen diese Mannschaft ziehen? Aus dem Test und aus dem Spiel der Gruppenphase?
Auch da war die deutsche Mannschaft nicht weit weg vom Sieg. Da hat die Effizienz noch gefehlt und vielleicht die eine oder andere Kleinigkeit. Das ist eine Gewissheit, die die Mannschaft für sich verinnerlichen sollte.
Auf was kommt es dann am Samstag im Halbfinale an?
Der Schlüssel ist die deutsche Disziplin. So, wie die Mannschaft bisher aufgetreten ist, muss sie auch gegen die USA auftreten. In der Defensive immer mit einem Spieler als Absicherung und in der neutralen Zone kompakt. Die Spieler dürfen sich auf keine Fall provozieren lassen, sie müssen unbedingt wegbleiben von der Strafbank!
Anders als Moritz Seider, der sich gegen die Schweiz eine große Strafe eingehandelt hatte.
Seider ist eine tragende Säule bei den Red Wings in der NHL. Der weiß, was es heißt, sich Respekt zu verschaffen. Aber gegen die Schweiz war er sauer nach dem klaren Stockschlag, in dessen Folge der Ausgleich gefallen ist. Da war der sehr heftige Check eine Spur zu viel.
Alois Schloder: "Jetzt ist alles möglich!"
Der große Favorit Finnland ist raus, auch die Mitfavoriten Schweden, Tschechien oder der Gruppensieger Schweiz. Deutschland ist dagegen immer noch im Turnier und nun zum dritten Mal in 13 Jahren im Halbfinale. Rückt die Weltspitze immer noch enger zusammen? Und welche Rolle nimmt die deutsche Mannschaft dabei ein?
Es fehlen natürlich die Russen, das darf man nicht vergessen. Aber es stimmt schon: Während viele Titelanwärter schon zu Hause sind, hat Deutschland noch zwei Spiele. Der DEB ist definitiv enger herangerückt an die Top-Nationen. Das ist das Ergebnis einer Entwicklung, die mit Marco Sturm als Chefcoach begonnen hat und nun fortgeführt wird.
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Inwiefern?
Marco Sturm hat die Denkweise der Nationalmannschaft verändert: Gegen große Gegner wollte man sich früher immer so gut es ging aus der Affäre ziehen. Marco Sturm wollte jedes Spiel gewinnen. Das hat auch mit der höheren Leistungsdichte zu tun, mit der ein Bundestrainer nun arbeiten kann. Zu meiner Zeit gab es zehn, zwölf Spieler auf A-Niveau, danach machte sich aber schon ein Leistungsabfall bemerkbar. Nun ist die Kaderdichte eine ganz andere, selbst wenn wie vor diesem Turnier zehn, 15 Spieler ausfallen.
Man traut sich das ja kaum zu fragen, aber: Kann Deutschland wirklich Weltmeister werden?
Die USA sind zu schlagen und auf dem Papier könnte man es dann im Finale mit Kanada zu tun haben. Ich sage nicht, dass Deutschland Weltmeister wird. Aber ich sage: Jetzt ist alles möglich!
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