Leon Draisaitls Titeltraum in der NHL ist geplatzt, der 28-Jährige verlor mit seinen Edmonton Oilers das entscheidende letzte Spiel um den Stanley Cup. Nun geht es für den 28-Jährigen darum, die Wunden zu lecken - und eine Zukunftsentscheidung zu treffen.
Der Schmerz war
In solch bitteren Momenten ist jede Frage eine zu viel, Analysen oder Einschätzungen sind erst einmal überflüssig. Die Oilers hatten aus einem 0:3-Rückstand in der Serie ein 3:3 gemacht und stehen nach dem 1:2 in Spiel sieben bei den Florida Panthers doch mit leeren Händen da.
Was gibt es da groß zu sagen? Der Blick auf den von der Enttäuschung gezeichneten Draisaitl reichte für eine Einschätzung der Gefühlswelt vollkommen aus. Durchaus berechtigt ist aber die Frage, ob die Niederlage die Oilers nun noch etwas hungriger macht. Immerhin wartet das Team, das einst mit Superstar Wayne Gretzky die NHL dominierte, seit 1990 sehnlichst auf den Titelgewinn.
Lektionen lernen – auch die bitteren
"Ich denke, zum größten Teil geht es darum, Lektionen zu lernen", sagte Draisaitl in einem Interview nach dem Spiel. "Wir haben das in den letzten Jahren sehr gut gemacht und diese Lektionen umgesetzt. Aber es ist schwer, eine Lektion daraus zu ziehen, wenn man wirklich nur einen oder zwei Schläge davon entfernt ist, alles zu erreichen", sagte Draisaitl, der aber auch immer wieder betonte, wie hart die Situation sei: "Wir waren nah dran. Aber am Ende können wir uns davon nichts kaufen."
Was unter anderem aber auch an ihm selbst lag. "Am Ende muss man ganz klar sagen, dass die fehlende Produktion von Leon Draisaitl das Problem war. Wenn ein Spieler wie er im Finale kein Tor macht, dann ist das schon ein Problem für Edmonton", sagt der frühere Nationalspieler Stefan Ustorf im Gespräch mit unserer Redaktion.
Draisaitl kam in den sieben Spielen gegen die Panthers nur auf drei Scorerpunkte, er bereitete drei Treffer vor. In den 18 Playoff-Partien auf dem Weg in die Finals waren es 28 Scorerpunkte gewesen. Auch sein kongenialer Partner Connor McDavid konnte in den letzten beiden Spielen gegen Florida nicht punkten.
Ursachenforschung: Zwei Dinge fallen auf
Geht man auf Ursachenforschung, fallen zwei Dinge auf. "Natürlich hat es auch mit der Leistung von Florida zu tun", betont Ustorf. "Sie waren die ganze Saison über die beste defensive Mannschaft der NHL. Sie haben in diesen sieben Spielen einen Weg gefunden, Draisaitl zu neutralisieren. Dann passiert so etwas."
Außerdem schien es, dass Draisaitl mit einer Verletzung zu kämpfen hatte. Zwar ist zu dem Zeitpunkt in den Finals, so tief in einer kräftezehrenden Saison mit 82 Saisonspielen plus Playoffs, nahezu jeder Spieler ein Stück weit angeschlagen. "Doch Draisaitl war in der kompletten regulären Saison einer der besten Bully-Spieler in der gesamten Liga. Er hat 57 Prozent seiner Bullys gewonnen und im Finale nur noch 46 Prozent", so Ustorf: "Möglicherweise hat er eine Verletzung am Arm, am Handgelenk oder an der Schulter."
Was keine Ausrede, aber eine Erklärung für eher schwache Finals von Draisaitl wäre. Sein Trainer verteidigte ihn bereits vor dem entscheidenden Spiel. "Manchmal ist es nicht fair, einen Spieler nur nach seinen Punkten, Toren und Assists zu beurteilen", sagte Kris Knoblauch: "Er ist ein sehr guter Spieler, er versteckt sich nicht oder sucht Ausreden. Leon übernimmt viel Verantwortung."
Zwei große Fragen bleiben
Trotzdem bleiben Fragen offen. Wie die nach dem möglichen Status eines unvollendeten Superstars. Der gebürtige Kölner ist 28 Jahre alt, er hat also noch ein paar Jahre vor sich, in denen er Titel sammeln kann. Er hat aber auch schon ein paar Saisons mit den Oilers hinter sich, in denen deutlich mehr drin war. In der Zeit hat er allen bewiesen, dass er zu den besten Eishockey-Spielern der Welt gehört. "Doch Draisaitl und McDavid messen sich selbst nur noch am Stanley-Cup-Sieg. Alles andere ist ein Misserfolg für die Jungs", sagt Ustorf, der aber nicht glaubt, dass ein Verlierer-Image entsteht.
"Nein, das war sein erstes Finale", sagt Ustorf und nimmt seine eigene Karriere als Beispiel. Der heutige Sportdirektor der Nürnberg Ice Tigers gewann 2005 seine erste Meisterschaft mit den Eisbären Berlin. "Der Vergleich hinkt ein bisschen, weil es eine andere Liga ist, aber ich habe meinen ersten Meistertitel mit 31 gewonnen und habe danach noch weitere Titel geholt. Zuvor hatte ich auch nichts gewonnen und ebenfalls ein Finale verloren", sagte er.
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Und Ustorf geht stark davon aus, dass man auch aus einer dramatisch verlorenen Serie noch wichtige Lehren ziehen kann. "Ich behaupte, dass man erstmal verlieren muss, um lernen zu können, was es braucht, um zu gewinnen", sagte er. Das beste Beispiel ist der Gegner: Die Panthers standen bereits im Vorjahr in den Finals, unterlagen aber Las Vegas. "Und da haben sie gesehen, was nötig ist, um zu gewinnen. Die Oilers werden aus dieser Situation lernen, Leon Draisaitl auch", so Ustorf.
Hat Draisaitl noch Lust auf die Oilers?
Draisaitl blickte in der Stunde der Niederlage zwar auch nach vorne, dachte aber vor allem an den langen Weg in die Finals, an die harte Arbeit, die Rückschläge und die Tatsache, dass es keine Garantie auf eine weitere Chance gibt. "Jetzt musst du wieder durch 82 Saisonspiele gehen, gut genug spielen, um überhaupt noch mal eine Chance zu bekommen", sagte er.
Die nächste große Frage lautet deshalb: Wo wird er die Chance bekommen? Sein Vertrag bei den Oilers läuft noch ein Jahr, bei seinem Partner McDavid sind es noch zwei. 2024/25 könnten beide also noch ein letztes Mal gemeinsam die Trophäe jagen. Aber die Situation um Draisaitl ist knifflig. Denn er wäre nach der kommenden Saison ein sogenannter Free Agent und könnte dann quasi ablösefrei zu einem Team seiner Wahl wechseln.
Ein Trade wäre also denkbar, dann würden die Oilers für ihn noch etwas bekommen. Wechselgerüchte köchelten in den Playoffs zwischendurch immer mal wieder hoch. Möglich wäre aber auch ein neuer Vertrag bei den Oilers, den beide Seiten ab dem 1. Juli aushandeln können. Im Moment verdient Draisaitl 8,5 Millionen Dollar pro Saison, liegt damit in der Gehaltsliste der Liga aber nur auf Platz 46.
Draisaitl ist derzeit noch ein Schnäppchen
Für die Oilers ist der Deutsche, der den Vertrag 2017 unterschrieben hat, also fast schon ein Schnäppchen. "Sein Vertrag ist seit fünf Jahren einer der besten Verträge, was das Preis-Leistungs-Verhältnis angeht. Er ist unfassbar unterbezahlt für das, was er leistet", so Ustorf. Er sieht Draisaitl mit 13,5 Millionen Dollar als fair bezahlt, er wäre damit der bestbezahlte Spieler der Liga. Utopisch ist das nicht, eine Gehaltserhöhung ist in jedem Fall überfällig.
"Hoffentlich kommen die meisten Jungs zurück", sagte Draisaitl selbst zur Situation in Edmonton. Womit er zumindest schon mal andeutet, dass er wohl gerne bleiben würde. Im Sommer wird sich also sehr wahrscheinlich etwas tun, was die Zukunft angeht, denn auch die Oilers werden Nägel mit Köpfen machen wollen. Wie es heißt, streben sie eine Vertragsverlängerung an. Doch solche Situationen sind oft dynamisch und schwer vorhersehbar.
Ustorf geht davon aus, dass Draisaitl einen neuen Vertrag unterschreiben wird. "Ich sehe kein anderes Team, bei dem er eine bessere Chance hat, sich seinen Traum zu erfüllen", so Ustorf: "Wenn sich McDavid und Draisaitl dazu entscheiden, weiter gemeinsam für die Oilers zu spielen, dann hat Edmonton die nächsten fünf, sechs, sieben Jahre lang einen Titelfavoriten." Und Draisaitl noch ein paar Chancen, um seine Karriere zu krönen.
Über den Gesprächspartner
- Stefan Ustorf ist ein ehemaliger Eishockey-Profi, der im Laufe seiner Karriere unter anderem über 600 Spiele in Bundesliga bzw DEL absolviert hat, zudem 121 Länderspiele für die Nationalmannschaft. Heute ist der 50-Jährige Sportdirektor des DEL-Klubs Nürnberg Ice Tigers.
Verwendete Quellen
- YouTube: POST-RAW | Leon Draisaitl 06.24.24
- Pressekonferenz
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