Die Corona-Pandemie hält die ganze Welt im Würgegriff und hat auch die rasante Welt des Sports ausgebremst. Er ist nun tatsächlich die schönste "Nebensache der Welt", wie Sport-Wissenschaftler Frank Hänsel im Gespräch mit unserer Redaktion betont.
Niemand weiß angesichts der Corona-Pandemie, wann und wie es in der Welt des Sports weitergeht. Auch Professor Doktor Frank Hänsel nicht. Der Sport-Wissenschaftler von der Technischen Universität Darmstadt nimmt trotzdem Stellung zu der Ankündigung des FIFA-Präsidenten Gianni Infantino, künftig den Spielplan zu verschlanken.
Zudem bewertet Hänsel vor dem Hintergrund der Verschiebung der Fußball-EM und der Olympischen Sommerspiele die gesellschaftliche Bedeutung des Sports und dessen Rolle in den schweren Zeiten der Coronakrise.
Herr Professor Hänsel, FIFA-Präsident Gianni Infantino schwebt Folgendes vor: "Weniger Turniere, dafür interessantere. Vielleicht weniger Teams, dafür größere Ausgeglichenheit. Weniger Spiele, um die Gesundheit der Spieler zu schützen, dafür umkämpftere Partien." Wie glaubhaft sind die Aussagen Infantinos, der als ein Vertreter des Kommerzes im Sport gilt?
Professor Doktor Hänsel: Es stellt sich die Frage: Ist es eher ein Lippenbekenntnis von Herrn Infantino, oder ist es eher eine Herzenssache? Herr Infantino nimmt als Präsident der FIFA eine gewisse Rolle ein. Ist also seine Aussage aus seiner Rolle heraus geschehen? Oder hat sie einen persönlichen Anteil? Das kann ich nicht beantworten.
Ich würde es mir wünschen. Für die Entwicklung des Sports ergibt es Sinn, über mehr Qualität nachzudenken, und nicht über die weitere Steigerung der Quantität.
Es wurde schon vor der Coronakrise diskutiert, aus geschäftlichen Gründen stärker auf Highlights zu setzen und nicht nur auf eine Vermehrung von Turnieren und Wettkämpfen. Auch ein Business-Modell wie der Fußball ist nicht unendlich skalierbar, sonst verliert es seine Werthaltigkeit. So könnten kommerzielle Interessen und die Interessen der Fans durchaus zusammenkommen.
Vermissen Sie persönlich momentan den Fußball?
Ja, auf jeden Fall, aber nicht nur den Fußball. Die Sportwissenschaft und damit der Sport ist ja auch meine Profession. Da geht es um lieb gewonnene Gewohnheiten und um Leidenschaft. Ich liebe aber auch Tennis oder verschiedene Randsportarten.
Der ganze Sport leidet. Es fehlen wiederkehrende Routinen und Rituale, aber auch Großereignisse und besondere, aus dem Alltag herausgehobene Momente. Sport-Fans leben ihre Leidenschaft für gute Leistungen, für tolle Spiele. Das fehlt. Zerstreuung fehlt.
Das Schöne am Fußball ist - aber natürlich auch bei anderen Sportarten -, er bietet viele verschiedene Dinge auf einmal an, und diese für ganz unterschiedliche Motivlagen. Der eine Zuschauer sucht Zerstreuung, der andere Identifikation, der dritte Geselligkeit. So fehlen zum Beispiel gemeinsame Gespräche und gemeinsame Aufreger. Da bricht gerade für viele Menschen einiges weg.
Trotzdem halten Sie es für richtig, dass Ereignisse wie die EM und Olympia 2020 nicht stattfinden?
Als Sportfan blutet mir selbstverständlich das Herz. Als solcher würde ich sagen: Das ist das Schlimmste überhaupt. Aber die momentane Situation relativiert natürlich auch.
Wenn ich denke, dass der Sport durch seine vielfältigen Anreize einerseits für viele Menschen ein großes Potenzial hat, dann muss ich andererseits auch sagen: Er ist zwar die schönste Nebensache der Welt, aber eben auch eine Nebensache.
Andere Werte treten nun in den Vordergrund: die Gesundheit und die Solidarität mit Schwächeren, mit Älteren und Erkrankten. Über die allseits anerkannte gesellschaftliche Bedeutung des Sports hinaus kann der Sport nun als Solidargemeinschaft seine gesellschaftliche Stellung unter Beweis stellen, der Gesellschaft auch in dieser Zeit etwas zurückgeben.
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