In Mexiko kann Nico Rosberg theoretisch Formel-1-Weltmeister werden. Es wäre die unerwartete Endung nach einer überraschenden Wendung im Duell mit Lewis Hamilton. Und es wäre noch etwas: verdient.

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Wäre Nico Rosberg nicht jemand geworden, der Autos unverschämt schnell um Kurven schmeißt, hätte er im Bereich Aerodynamik studiert. Insofern dürften seine mathematischen Fähigkeiten so gerade genügen, um die Wahrscheinlichkeiten im WM-Kampf der Formel 1 zu evaluieren - was günstig wäre, denn Rosberg ist Variable und Unbekannte in den vielen Gleichungen vor dem Großen Preis von Mexiko (Sonntag, 20 Uhr).

26 Punkte Vorsprung hat er auf seinen Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton. Siegt Rosberg in Nordamerika, braucht Hamilton einen neunten Platz, um sich theoretische Chancen zu bewahren; ansonsten hätte die "Königsklasse" nach 34 Jahren wieder einen Champion namens Rosberg. Damals triumphierte Keke, diesmal wär's Sohn Nico.

Nico Rosberg redet wie ein Fußballer

Zum "ADAC Motorsportler des Jahres 2016" wurde er erkoren, demnächst soll es die Erfüllung des "Kindheitstraums" sein, wie er auf der Pressekonferenz in Mexiko-Stadt zugab. Das war's dann mit übergeordneter Weitsichtigkeit, Rosberg hat sich ein Mantra auferlegt, das an den Fußballerduktus erinnert: "Keep it simple! Ich konzentriere mich auf Mexiko und darauf, dort zu gewinnen." Anschließend warten die Läufe in Brasilien und Abu Dhabi. Prinzipiell befindet sich der 31-Jährige in einer komfortablen Lage, unabhängig von Hamilton reichen zwei zweite Plätze und ein dritter Platz.

Für Rosberg speist sich die Komplexität aus einer Einschätzung, die von den meisten geteilt wird: Er hat viel zu verlieren und Hamilton viel zu gewinnen. Druck und Gegendruck.

"Nico ist in einer schwierigen Position. Er muss sicherstellen, dass er nicht ausfällt", betont Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Der Silberpfeil ist der stärkste Wagen im Feld, aber Unwägbarkeiten sind lediglich zu minimieren, nie auszuschließen. Beispiel? Für den Renntag sind Regenschauer prophezeit ...

Mexiko 2015 als Ausgangspunkt

Rosberg ficht das nicht an. "Wenn du mit Fleiß, Disziplin und Ehrgeiz an etwas herangehst, wird etwas zurückkommen", hat er mal dem "Express" gesagt. Es ist der Glaube daran, dass mit ausdauernder Arbeit alles gut wird. Rosberg kennt die Story, erst im 111. Versuch gelang ihm sein Formel-1-Premierensieg (China 2012). Er gewann seitdem 22 weitere Male, nach neun Erfolgen 2016 wäre der Titel das Produkt eines Prozesses. Und er wäre noch etwas: verdient.

Vor Jahresfrist war die WM schon nach dem viertletzten Grand Prix entschieden, danach gewann der zunächst demoralisierte Rosberg sieben Rennen am Stück (saisonübergreifend). Just in Mexiko begann seine Serie, irgendwas war anders am Wiesbadener, der immer so nett rüberkam, obwohl ihm alle rieten, bloß nicht nett zu sein; ein bisschen rauer, rabiater, rücksichtsloser. Ein bisschen Hamilton.

Hamilton ist nicht schwächer geworden, aber Rosberg stärker

Noch in diesem Juli siegte der Brite bei vier von vier Rennen, erneut schien er die WM gewinnen zu können, wie 2008, 2014, 2015. Rosberg aber zehrte von den Folgen seiner psychologischen und fahrerischen Feinjustierung. Er ließ sich weder ablenken noch beirren, gab Alphatier Hamilton intern Kontra und steckte auf der Piste selten zurück - zumindest seltener als zuvor.

Der "neue" Rosberg hatte sein Profil geschärft, ohne allzu aufgesetzt oder gezwungen zu wirken. Jeder Sieg steigerte Selbstvertrauen und Selbstverständnis, als Kreislauf im Kreisverkehr. Es ist ein Kompliment für Rosberg, dass der unerschütterlich von sich eigenommene Hamilton nervös wurde. Zuletzt in den USA meinte er einen Defekt wahrzunehmen, das hielten selbst die Mercedes-Ingenieure für Quatsch.

Hamilton ist 2016 nicht schwächer geworden, er hielt sein Niveau (außer bei verpatzten Starts). Stattdessen wurde Rosberg stärker, gerade mental, inzwischen treffen sie sich auf nahezu demselben Level. "Riesige Unterschiede" stellt Rosberg im Vergleich zur Vergangenheit bei sich fest, exemplarisch seien Negativerlebnisse und deren Bewältigung. "Es ist die Herausforderung, dies in etwas Positives zu drehen - darin bin ich sicher besser als früher", sagte er ESPN.

Rosberg kann Schumacher und Vettel nacheifern

An Kritik mangelt's nicht, trotz sportlicher Höhen. F1-Chefvermarkter Bernie Ecclestone soll Rosberg für einen untauglichen Weltmeister halten, weil es ja nichts zu erzählen gäbe über diesen adretten, aber introvertierten Familienvater, der fünf Sprachen beherrscht (Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch) und wirklich an die Uni wollte - ein Studienplatz im Fach Luftfahrttechnik war fix, Motorsport verschob die Prioritäten.

"Andere Leute werden immer Meinungen haben, die mir manchmal nicht schmeicheln. Da konzentriere ich mich lieber auf Menschen, die mich unterstützen", sagt Rosberg, der als Halb-Finne und Wahl-Monegasse etwas mit dem deutschen Publikum fremdelt. In Kategorien von Sebastian Vettel oder gar Michael Schumacher bewegt er sich emotional nicht.

Dafür kann er beiden nacheifern, als Formel-1-Champion. Ausgerechnet Lewis Hamiltons Vater Anthony sprach bei "Sky Sports" durchaus Spektakuläres: "Wenn jemand eine Weltmeisterschaft verdient, dann Nico."

Sogar Ecclestone gibt seinen Segen

Seit 2013 fahren Hamilton (31) und Rosberg gemeinsam für Mercedes, jetzt ist das Duell im Begriff, nach der überraschenden Wendung eine kaum erwartete Endung zu nehmen. "Natürlich ist es intensiv, gleichzeitig geht es mir eigentlich ganz locker von der Hand", berichtet Rosberg, und man ist geneigt, ihm zu glauben.

Übrigens: Auch der vermeintliche Nörgler Ecclestone spendet seinen Segen. "Ich habe persönlich mit ihm geredet", enthüllt Rosberg. "Er meinte, dass er es nicht so gesagt hat, wie es geschrieben wurde. Aber mir ist das eh egal. Ich konzentriere mich auf mein Ding."

Wie am Sonntag in Mexiko. Matchball Nico Rosberg.

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