Das Nordduell zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen verläuft hitzig und verlangt auch dem Unparteiischen alles ab. Vor allem eine Situation ist regeltechnisch kompliziert. Doch im Verbund mit seinem Video-Assistenten löst der Referee sie korrekt.
Die Partie im deutschen Profifußball, die am vergangenen Wochenende die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog und die größte Brisanz hatte, war zur Abwechslung keine Begegnung im Oberhaus. Vielmehr stand das Nordduell in der Zweiten Liga zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen (2:3) im Mittelpunkt des Interesses.
Deshalb beauftragte die sportliche Leitung der Unparteiischen auch einen der besten Schiedsrichter des Landes, nämlich Daniel Siebert, mit der Leitung dieses Spiels. Der Berliner bekam eine ganze Menge zu tun und hatte bereits wenige Minuten nach Spielbeginn auch die regeltechnisch anspruchsvollste Szene des Spieltags zu bewerten.
Etwa 18 Meter vor dem Hamburger Tor schoss der Bremer
Allerdings befand er sich klar im Abseits, was Schiedsrichter-Assistent Richard Hempel auch mit der Fahne signalisierte. Ein vermeintlich unstrittiger Fall – doch Video-Assistent Pascal Müller hatte etwas bemerkt, das den Unparteiischen auf dem Feld entgangen war, nämlich ein Handspiel von Meffert.
Dieser hatte den Arm "vom Körper abgespreizt", wie Referee Siebert nach dem Spiel dem NDR im Interview sagte. "Er blockt damit die Flanke, und nach aktueller Auslegung ist das ein strafbares Handspiel", erklärte er weiter. Deshalb riet ihm VAR Müller zu einem On-Field-Review, danach entschied Siebert auf Strafstoß für den SV Werder, den
Doch hätte der Unparteiische, statt einen Elfmeter zu geben, nicht einfach das Tor anerkennen können, das Bittencourt erzielt hatte? Zwar hatte er sich bei Topraks Torschuss im Abseits befunden – aber es wäre ja möglich, dass Mefferts ahndungswürdiges Handspiel die Sachlage maßgeblich geändert hat.
Hätte auf Tor statt Strafstoß entschieden werden können?
Schließlich heißt es im Regelwerk, dass eine Abseitsstellung nicht strafbar ist, wenn der betreffende Spieler den Ball erhält, nachdem ihn ein Gegner absichtlich gespielt hat. Der englische Begriff dafür, "deliberate play", hat sich, vermutlich nicht zuletzt aufgrund seiner Prägnanz, auch in der deutschen Fußballfachsprache etabliert.
Die Absicht bezieht sich dabei ausschließlich darauf, ob der Spieler den Ball überhaupt spielen wollte, und nicht darauf, ob er es genau so vorhatte, wie er es schließlich tat. Auch eine verunglückte Rettungsaktion kann somit ein "deliberate play" sein – und ein absichtliches Handspiel ebenso, das ist in der Abseitsregel ausdrücklich festgehalten.
Das bedeutet: Wenn ein Spieler, der sich im Abseits befindet, den Ball aus dem absichtlichen Handspiel eines Gegners erhält, ist die Abseitsstellung aufgehoben, und der Schiedsrichter kann weiterspielen lassen, wenn es für den Angreifer von Vorteil ist. Die Frage ist, ob Mefferts Handspiel absichtlich geschehen ist oder nicht.
Grundsätzlich gilt seit dieser Saison wieder, dass Absicht das zentrale Kriterium dafür ist, ein Handspiel als strafbar zu bewerten. Absichtlich handelt zum Beispiel, wer seine Hand oder seinen Arm zum Ball führt und ihn damit berührt. Auch wenn ein Spieler sich mit den Armen auf unnatürliche Weise in der Absicht breiter macht, den Ball zu erreichen, wird ein anschließender Kontakt mit der Hand oder dem Arm sanktioniert.
Mit der Absicht ist es kompliziert
Daraus könnte man den Schluss ziehen: Wenn ein Handspiel als strafbar bewertet wird, liegt regeltechnisch gesehen Absicht vor – und damit ein "deliberate play", mithin ein absichtliches Spielen des Balles.
Eine Nachfrage beim Schiedsrichter-Lehrwart des DFB, Lutz Wagner, ergab jedoch, dass sich die Dinge etwas komplexer darstellen. Das Handspiel von Jonas Meffert sei zwar strafbar gewesen, weil er seinen unnatürlich vom Körper abgespreizten Arm in die Flugbahn des Balles gehalten habe, so Wagner.
Aber er habe den aus kurzer Entfernung auf ihn zukommenden Ball auf diese Weise nicht aktiv gespielt, sondern lediglich abgeblockt. Hätte er das Gleiche mit einem anderen Körperteil getan, beispielsweise mit dem Fuß, dann wäre ebenfalls kein "deliberate play" gegeben gewesen, wie Wagner erklärte.
Ein Blocken des Balles aus Nahdistanz wird also generell nicht als absichtliches Spielen des Balles bewertet, weil der Spieler keine Kontrolle über seine Aktion und kaum Zeit zu reagieren hat. Dennoch kann ein dadurch begangenes Handspiel strafbar sein, wenn ein Spieler sich zuvor auf unnatürliche Weise mit den Armen breiter gemacht und so ein Handspiel zumindest in Kauf genommen hat.
Bittencourts Abseitsstellung war jedenfalls nicht durch ein "deliberate play" aufgehoben, deshalb konnte und durfte das Tor nicht zählen. Dass Video-Assistent Pascal Müller wegen des vorangegangenen, nicht geahndeten Handspiels eingriff, war damit ebenso richtig wie Daniel Sieberts Entscheidung, den Bremern einen Strafstoß zuzusprechen.
Auch der zweite Handelfmeter war berechtigt
Fünf Minuten nach der Pause gab es eine weitere Intervention des VAR, wiederum nach einem zunächst ungeahndeten Handspiel im Hamburger Strafraum, diesmal von Bakery Jatta. Auch dieser Eingriff war berechtigt, zumal dann, wenn man diese Situation mit jener wenige Minuten nach dem Anpfiff vergleicht.
Darauf wies auch Daniel Siebert hin, als er gegenüber dem NDR sagte: "Wenn man den ersten Elfmeter gibt, sind wir uns, glaube ich, alle einig, dass man den zweiten noch klarer geben muss, weil die Handposition noch höher und die Hand noch weiter ausgestreckt ist." Niclas Füllkrug verwandelte auch den zweiten Elfmeter für Werder.
In einer anderen Strafraumsituation, die sich bereits nach 19 Minuten zugetragen hatte, benötigte der Unparteiische keinen Hinweis des VAR. Moritz Heyer traf zum vermeintlichen 1:1-Ausgleich, doch Daniel Siebert hatte nach der vorangegangenen Flanke ein Foul von Robert Glatzel an Ömer Toprak wahrgenommen.
Glatzel habe keinen Zweikampf um den Ball geführt, so Siebert, sondern seinen Gegenspieler Toprak, der sich in einer besseren Position zum Ball befunden habe, "mit beiden Händen in den Torwart" der Bremer geschoben. Dadurch habe er sich einen irregulären Vorteil verschafft. Auch das war eine nachvollziehbare Begründung.
Siebert freut sich über die Akzeptanz
Der Schiedsrichter hob zudem hervor, dass sich beide Teams ihm gegenüber ausgesprochen fair verhalten hätten. "Ich fand es wirklich verblüffend und möchte mich bei allen Beteiligten bedanken, dass trotz der vielen strittigen Entscheidungen und der hitzigen Atmosphäre ich auf dem Feld das Gefühl hatte, dass meine Entscheidungen akzeptiert werden", sagte er. "Das ist heutzutage ein tolles Gefühl."
Lesen Sie auch: Gazprom und Schalke: Ein starkes Zeichen auf Kosten einer langen Partnerschaft
Es sei auch für ihn, "der viele Erstligaspiele und in der Champions League gepfiffen hat und bei der Euro dabei war, nicht selbstverständlich, dass man hier so eine Akzeptanz hat". Es waren bemerkenswerte Schlussworte nach einem für den Referee überaus fordernden Spiel.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.