Dem SSV Ulm ist der Durchmarsch von der Regionalliga in die 2. Bundesliga gelungen, vor allem für Teamkapitän Johannes Reichert ein besonders emotionaler Moment. Im Interview spricht er unter anderem über die Feierlichkeiten, seinen Glauben und seine Zukunft beim frischgebackenen Zweitligisten.
Anfang Mai sicherte sich der SSV Ulm mit einem Sieg gegen Viktoria Köln den direkten Aufstieg in die 2. Bundesliga, nach dem Abpfiff gab es im Ulmer Donaustadion kein Halten mehr. Tausende Fans stürmten den Rasen und jubelten mit der Mannschaft.
Zwei Wochen später feierte der SSV dann auch ganz offiziell die Meisterschaft in der 3. Liga – inklusive Pokalübergabe und großer Party in der Ulmer Innenstadt.
Einer, der maßgeblich am Durchmarsch der "Spatzen" von der Regionalliga in die 2. Liga beteiligt war, ist Kapitän Johannes Reichert. Der 32-jährige gebürtige Ulmer ist DAS Gesicht des Vereins, seit seiner Kindheit spielt er beim SSV.
Aktuell befindet sich Reichert noch im wohlverdienten Urlaub, wir konnten den Innenverteidiger aber dennoch erreichen und mit ihm über die Erfolgssaison sprechen.
Ulm-Kapitän Johannes Reichert im Interview
Herr Reichert, Drittliga-Meister, der Aufstieg in die 2. Liga – und das als Kapitän: Hätten Sie sich das überhaupt jemals vorstellen können?
Johannes Reichert: Ich bin ganz ehrlich, der Aufstieg in die 2. Liga war wirklich komplett außerhalb meiner Vorstellungskraft. Als Kind träumt man natürlich von der Bundesliga und der 2. Liga. Aber da, wo ich in Ulm vor Jahren angefangen habe, war das nicht abzusehen. Die 3. Liga war schon die letzten Jahre immer das große Ziel, aber dass jetzt dann direkt der Durchmarsch gelingt, ist ein Wunder und ich hätte es mir nicht schöner erträumen können.
Am vorletzten Heimspieltag haben Sie gegen Köln den direkten Aufstieg klargemacht. Danach sind im Stadion alle Dämme gebrochen. Was war das für ein Gefühl?
Das Gefühl war wirklich unbeschreiblich. Wir wussten schon vor dem Spiel, dass wir bei einem Sieg sicher aufgestiegen sind. Die Tage davor hat man deshalb auch schon eine ganz krasse Euphorie gespürt. Und jeder Fan wollte natürlich auch, dass wir es dann an diesem Tag schaffen.
Wie war die Situation während des Spiels?
Wir haben in der zweiten Halbzeit zwei Tore gemacht und bei der 2:0-Führung hatte ich zehn Minuten vor Schluss schon das Gefühl: "Hey, hier brennt nichts mehr an, wir werden das heute fix machen!" Die letzten zehn Minuten sind mir dann teilweise auch wirklich die Tränen gekommen, obwohl ich noch auf dem Platz stand. Ich habe schon sehr viele schlechte Zeiten mit dem Verein durchgemacht und das dann so hautnah auf dem Feld mitzuerleben, war einfach etwas ganz Großes.
Konnten Sie den besiegelten Aufstieg nach dem Abpfiff überhaupt realisieren?
Ob ich es in dem Moment realisieren konnte, weiß ich nicht, aber ich wusste, dass wir gerade etwas ganz Großes erreicht haben. Es war sehr emotional und ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Ich habe es einfach nur genossen.
Als Kapitän waren Sie auch beim Feiern ganz vorne mit dabei. Sind Sie das Feierbiest in der Mannschaft?
Nein, also das Feierbiest bin ich auf gar keinen Fall. Da sind normalerweise andere für verantwortlich. Aber klar, nach dem Erfolg gab es natürlich auch für mich kein Halten mehr. Ich kenne ja den Verein, die Stadt, die Fans. Und dann zusammen mit denen den Aufstieg zu feiern, war für mich nochmal ein ganz anderes Gefühl – ich bin hier selbst groß geworden und selbst Fan vom Verein. Normalerweise bin ich kein Feierbiest, aber wenn der Verein Erfolge feiern kann, dann gehen auch bei mir die Sicherungen aus.
Zwei Wochen später konnten Sie am letzten Spieltag zuhause dann offiziell die Meisterschaft feiern. Anschließend gab es eine große Feier mit Tausenden Fans auf dem Münsterplatz. Was bedeutet der Stadt der Aufstieg des SSV?
Wir wussten, dass wir an dem Tag mit einem Truck zum Münsterplatz fahren und wir wussten auch, dass wir dort empfangen werden. Aber was da letztendlich passiert ist, ist unglaublich. Gefühlt war die ganze Stadt auf der Straße und hat uns gefeiert – man hat gesehen, dass die Menschen voll hinter uns stehen und alle wieder voll mit dem Fußball-Virus infiziert sind. Die freuen sich einfach, haben Bock und identifizieren sich wieder mit uns.
Wie schätzen Sie die Stimmung in der Stadt ein?
Ich glaube schon, dass sich jetzt einfach jeder in der Stadt freut, dass Ulm wieder einen Profiverein hat, der in der zweiten Liga spielt. Man schätzt das auch nochmal viel mehr, weil man die letzten Jahre einfach nur schlechte Zeiten hatte. Ich denke, wir sind wieder eine Einheit geworden. Man geht in die gleiche Richtung und das stimmt mich schon sehr positiv für die Zukunft.
Sie sind gebürtiger Ulmer, haben bis auf eine kurze Zeit in Kaiserslautern seit ihrer Kindheit beim SSV gespielt. Bei den Feierlichkeiten jubelten Sie Arm in Arm mit den Fans. Sind diese Loyalität und Authentizität das, was die Fans so an Ihnen schätzen?
Das kann ich jetzt nicht so beurteilen. Ich kann nur sagen, was ich denke, was ich fühle. Wie gesagt, ich bin selber Fan von dem Verein, ich bin hier aufgewachsen und habe mit fünf Jahren beim SSV angefangen. Ich spiele hier nichts – das ist mein Klub, mein Verein. Ich darf hier spielen und Profi sein, aber ich darf auch die gleiche Leidenschaft teilen wie ein normaler Fan in der Kurve. Ich denke, man sieht, dass es bei mir vom Herzen kommt.
Die Fans sind auf jeden Fall sehr angetan und haben nach dem Aufstieg den Platz vor dem Donaustadion kurzerhand in Johannes-Reichert-Platz umbenannt, inklusive selbstgebasteltem Straßenschild. Was sagen Sie zur Aktion?
Das ist natürlich auch sehr verrückt. Aber da sind wir wieder beim Thema: Die Fans identifizieren sich mit mir, beziehungsweise mit dem Weg, den ich mit ihnen und im Verein gegangen bin. Ich schätze es wirklich sehr, aber das sollte jetzt auch nur bei einer Geste bleiben. Ich brauche wirklich kein eigenes Straßenschild. (lacht)
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Ihnen gelang der Durchmarsch von der Regionalliga in die 2. Liga. Was waren Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept dafür?
In erster Linie war es unser Teamspirit, den wir in der Mannschaft hatten. Die Teamchemie zwischen Trainer, Trainerteam und Mannschaft stimmt einfach. Hinzu kommt die Euphorie der Fans in Ulm und der gesamten Region – das hat uns schon richtig stark gemacht. Wir als Ulm waren verständlicherweise immer der Außenseiter, aber intern waren wir richtig stark.
Können Sie das genauer erklären?
Jeder im Verein, egal welcher Mitarbeiter, hat eigentlich mehr gemacht als er machen müsste oder sollte – und das hat uns letztendlich so stark gemacht. Wir haben noch nicht die besten Bedingungen und sind noch nicht der Top-Profi-Klub, aber hier sind Menschen, die Herzblut und Leidenschaft an den Tag legen.
Noch ist Pause, aber bald geht es wieder mit der Vorbereitung auf die neue Saison los: Auf welchen Gegner freuen Sie sich in der 2. Liga am meisten?
Eigentlich sind fast alle Spiele für uns ein Highlight. Aber ich habe nebenher immer ein bisschen mit dem HSV sympathisiert, deswegen wahrscheinlich diese Spiele. Aber auch Kaiserslautern und das Spiel auf dem Betzenberg ist für mich etwas ganz Besonderes.
Welche Ziele haben Sie für die kommende Saison?
Das ist natürlich der Klassenerhalt. Wir als Ulm dürfen überhaupt gar kein anderes Ziel, gar keinen anderen Anspruch haben. Wenn wir die Klasse halten, wäre das absoluter Wahnsinn.
Der Glaube spielt in Ihrem Leben eine besonders große Rolle. Wie kam es dazu?
Ich bin ein sehr gläubiger Mensch und sehr christlich erzogen worden. Irgendwann habe ich einfach die Entscheidung getroffen, Christ zu sein. Ich habe eine Beziehung zu Gott, die mir sehr viel Kraft gibt. Der Fußball und die ganze Karriere sind vergänglich, aber der Glaube an Gott gibt mir immer Halt. Es ist eine sehr persönliche Sache und jeder Mensch kann das halten, wie er will, aber ich bin sehr dankbar und glücklich, zu Jesus gefunden zu haben. Es macht mich auch unabhängig von Lebensumständen, von Erfolg. Ich weiß, auch wenn ich kein Fußballprofi wäre, bin ich trotzdem ein wertvoller Mensch.
Sie sind Teil des Teams von "Fußball mit Vision": Können Sie kurz erklären, um was es bei dem Verein geht?
"Fußball mit Vision" ist ein Zusammenschluss von gläubigen Fußballprofis aus verschiedenen Vereinen. Wir tauschen uns regelmäßig aus und ermutigen uns. Es ist einfach schön, wenn man Menschen kennt, die im gleichen Beruf sind und auch den gleichen Glauben teilen. Da entstehen wirklich gute Freundschaften.
Ihr Vertrag beim SSV läuft noch bis 2026. Dürfen die Fans davon ausgehen, dass Sie Ihren Vertrag nochmal verlängern und irgendwann auch ihre aktive Karriere in Ulm beenden werden?
Für mich ist ganz klar, dass ich für keinen anderen Verein mehr auflaufen will und auflaufen werde. Wenn mir mein Verein keinen neuen Vertrag mehr anbieten sollte, dann werde ich aufhören, weil ich hier die schönste Zeit hatte. Für mich ist es klar: Ulm oder nichts! Ich werde als Spieler kein anderes Wappen mehr tragen. Ich hoffe natürlich, dass ich fit bleibe und meine Karriere in zwei Jahren noch nicht zu Ende ist und ich noch ein bisschen spielen kann, aber das werden wir dann sehen.
Können Sie sich vorstellen, nach der aktiven Karriere in einer anderen Funktion beim SSV tätig zu werden?
Natürlich, das ist mein Traum. Aber da denke ich jetzt noch nicht dran. Ich habe erst noch Träume und Ziele als Spieler und darauf möchte ich mich erstmal konzentrieren. Ich will die Zeit genießen, es ist ja auch etwas Besonderes.
Über den Gesprächspartner
- Johannes Reichert (Jahrgang 1991) ist Kapitän des SSV Ulm, der in dieser Saison den Aufstieg in die 2. Bundesliga geschafft hat. Reichert spielt seit 1996 beim SSV, lediglich unterbrochen von zwei Jahren beim 1. FC Kaiserslautern (2014 - 2016). Der Innenverteidiger ist zudem im Verein "Fußball mit Vision" tätig.
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