- Gerd Müller hat Alzheimer im Endstadium.
- Die Ikone des FC Bayern München ist kein Einzelfall unter Profifußballern. Das zeigt eine Studie.
- Eine Spurensuche.
Nördlingen. Man spricht Schwäbisch. Dabei gehört die Kleinstadt zu Bayern - zumindest gerade noch so. 110 Kilometer sind es vom Fuße der Schwäbischen Alb bis nach Stuttgart, 140 Kilometer in die andere Richtung nach München.
Hier soll er herkommen. Der beste Stürmer, den Fußball-Deutschland je gesehen hat:
Ikone Gerd Müller hat Alzheimer im Endstadium
Seine Ehefrau Uschi erzählte jüngst der "Bild": "Der Gerd schläft seinem Ende entgegen. Er isst so gut wie nichts mehr, kann kaum mehr schlucken, liegt fast 24 Stunden im Bett, hat nur wenig wache Momente." Es ist ein langer Abschied des mittlerweile 75-Jährigen.
Im Februar 2016 kam Müller in ein Pflegeheim. Die Diagnose lautete: Alzheimer. Das Nervensystem wird bei dieser Krankheit angegriffen, Demenz ist die Folge - bis zum Tod. Seine Auffassungsgabe im Strafraum war früher dagegen einzigartig.
Ein Rückblick: München-Giesing, 3. Juni 1972, Grünwalder Stadion - Gerd Müller erzielte im letzten Bundesliga-Saisonspiel gegen Eintracht Frankfurt (6:3) einen Dreierpack für die Bayern. Es waren die Saisontore 38 bis 40 - Rekord! Bis heute. Das 3:1 war ein Kopfball am Fünfmeterraum, und beinahe wäre Müller mit dem Frankfurter Torwart Peter Kunter zusammengerasselt. Unzählige Kopfbälle, ein Risiko, das zu seiner Erkrankung beitrug?
Alzheimer als Folge unzähliger Kopfbälle?
Ein gegenwärtiges Beispiel für Kopfverletzungen ist Klaus Gjasula vom Hamburger SV. Der heute 30-jährige Mittelfeldspieler zog sich 2013 einen Jochbeinbruch zu. Seither spielt er mit einem Schutzhelm aus Carbon. Wie der HSV auf Anfrage erklärte, trage Gjasula den Helm aber nicht aus Angst vor Folgeschäden. "Für mein Gefühl", sagte er selbst der Süddeutschen Zeitung. Doch: Wissenschaftliche Untersuchungen liefern eine andere Tendenz.
"Letztes Jahr gab es eine Studie in Schottland. Bei dieser ging es speziell um Fußballer. Laut Studie haben sie ein fünfmal höheres Risiko, an einer Demenz zu erkranken", erklärt Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unserer Redaktion: "Es gibt eine spezielle Demenzform, die CTE. Diese wird auch als Boxer-Krankheit bezeichnet. Sie geht auf Schläge und Stöße gegen den Kopf zurück. Auch die Kopfbälle im Fußball erhöhen dieses Risiko."
Hochgekocht sei das Thema wegen Versicherungsklagen im American Football 2005, erzählt sie: "Dort wurde das Thema CTE genau untersucht. Ein Zusammenhang konnte eindeutig nachgewiesen werden."
Alzheimer und Demenz: Studien im American Football und in Großbritannien
Damals wurde die sogenannte Chronisch-Traumatische Enzephalopathie, kurz CTE, beim drei Jahre zuvor verstorbenen Ex-NFL-Spieler Mike Webster nachgewiesen. Im Juli 2017 veröffentlichte zudem das Journal of the American Medical Association eine Studie, in der 202 gespendete Gehirne verstorbener Football-Spieler untersucht wurden. Das Ergebnis: 87 Prozent litten an CTE. Zur Einordnung: Die Erkrankung wird wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge durch zerstörte Nervenzellen im Gehirn ausgelöst. Symptome sind Gedächtnisverlust und Verwirrung, launische Aggression und Depression.
Und Alzheimer? Wie bei Gerd Müller? "Was Alzheimer betrifft, gibt es die Studie der Universität Glasgow, die 2017 bis 2019 durchgeführt wurde", erklärt Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Es war ein Aufsehen erregendes Projekt.
Der englische Fußballverband FA und die Spielervereinigung PFA finanzierten die Studie, Forscher der Universität Glasgow und der Hampden Sports Clinic untersuchten die Gesundheitsdaten von 7.676 verstorbenen schottischen Profi-Fußballern. Sie verglichen sie mit 23.028 Nicht-Sportlern. Das Ergebnis: Um das Fünffache mehr war Alzheimer die mitverantwortliche Todesursache bei Profifußballern.
Risiko von Alzheimer durch Profifußball wohl deutlich höher
Schädel-Hirn-Traumata würden das Risiko erhöhen, "an Alzheimer oder einer anderen Demenzform zu erkranken. Bei der CTE weiß man, dass Fortsätze von Nervenzellen durch Erschütterungen verletzt werden. Es müssen nicht immer Gehirnerschütterungen sein, es können auch ruckartige Bewegungen des Gehirns durch einen Schlag oder einen Stoß, zum Beispiel beim Kopfball, zu Verletzungen der Nervenzell-Fortsätze führen", erzählt Saxl, "oder wenn zwei Spieler zusammenknallen".
Eine Folge: Nervenzell-Fortsätze werden gestaucht oder gedehnt. Es sei nicht ungewöhnlich, dass die Symptome und die Krankheit nicht sofort, sondern erst Jahre oder gar Jahrzehnte später auftreten. Das Alter komme dann als "der allergrößte Risikofaktor" hinzu – wie bei Alzheimer. Jener Krankheit, die für Gerd Müller der letzte Kampf seines Lebens ist.
Verwendete Quellen:
- Susanna Saxl, Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
- Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.: Informationsblatt – Chronische Traumatische Enzephalopathie (CTE)
- Journal of the American Medical Association: Clinicopathological Evaluation of Chronic Traumatic Encephalopathy in Players of American Football
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