Bei der wohl vorentscheidenden Partie um die direkte Qualifikation für die Champions League macht Schiedsrichter Felix Brych ungewohnt viele und auch gravierende Fehler. Dennoch ist nicht immer alles so klar und einfach, wie es im Fernsehen mit seinen unzähligen Zeitlupen aussieht.

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Seit Jahren ist Felix Brych die unangefochtene Nummer eins unter den deutschen Unparteiischen. Dreimal – nämlich 2013, 2015 und 2016 – kürte ihn der Deutsche Fußball-Bund zum "Schiedsrichter des Jahres".

Der 41-Jährige pfiff bei Welt- und Europameisterschaften, auch in der Champions League kommt er regelmäßig in Spitzenspielen zum Einsatz.

Da war es nur folgerichtig, dass er vom DFB auch mit der Leitung der Partie zwischen Borussia Dortmund und der TSG 1899 Hoffenheim betraut wurde. Schließlich kämpfen beide Klubs um die direkte Qualifikation für die europäische Königsklasse; da war diese Begegnung am drittletzten Spieltag der Saison richtungweisend.

Doch Brych erwischte, was ihm nur ganz selten passiert, einen gebrauchten Tag. Bei mehreren wichtigen Entscheidungen lag er daneben - jedes Mal zum Nachteil der Hoffenheimer. Wie konnte es dazu kommen?

Guter Blickwinkel bei Abseitstor von Reus

Beim ersten Fehler nach nicht einmal vier Minuten liegt die Erklärung nahe: Offenbar erkannten weder der Referee noch sein Assistent, dass der Dortmunder Gonzalo Castro nach einem weiten Pass von Raphael Guerreiro den Ball noch berührt hatte, bevor die Kugel zu Marco Reus gelangte, der zum 1:0 einschob.

Ohne diesen Ballkontakt von Castro wäre Reus nicht im Abseits gewesen, weil dann das Zuspiel von Guerreiro maßgeblich gewesen wäre und Reus in diesem Moment noch mehrere Gegner vor sich hatte. So aber lag eine deutliche Abseitsstellung vor.

Dem Assistenten war im Augenblick von Castros Ballberührung die Sicht durch zwei Hoffenheimer verdeckt. Deshalb konnte er nicht sehen, ob Guerreiros Zuspiel noch verlängert wurde.

Felix Brych dagegen hatte in dieser Szene eigentlich einen sehr guten Blickwinkel und eine optimale Distanz.

Deshalb hätte man erwarten können, dass die beiden in ihrer Besprechung an der Seitenlinie über die wesentlichen Informationen verfügen und sie zusammenbringen:

Der Assistent hätte seinen Chef über die Abseitsstellung von Reus benachrichtigt, der Schiedsrichter umgekehrt seinen Helfer über den Ballkontakt von Castro im entscheidenden Moment.

Auch der Vierte Offizielle hätte helfend eingreifen können – zumindest theoretisch. Seine Position und seine Perspektive waren in diesem Moment allerdings ungünstig.

Außerdem gehört die Beurteilung von Abseitssituationen nicht zu seinen Kernaufgaben, dafür sind vor allem die Assistenten da.

Bei Reus' Handspiel ungünstig positioniert

Der nächste Pfiff des Unparteiischen, der die Gäste erregte, ertönte in der 13. Minute, als es nach einem Handspiel von Pavel Kaderabek einen Elfmeter für Borussia Dortmund gab.

Über dessen Berechtigung lässt sich streiten - nicht jedoch darüber, dass es gar nicht erst zu dieser Szene hätte kommen dürfen.

Denn kurz bevor Kaderabek den Ball mit der Hand spielte, hatte auch Marco Reus es getan, als er einen langen Ball von Julian Weigl mit der Brust anzunehmen versuchte, sich jedoch verschätzte und die Kugel mit dem Oberarm mitnahm. Die folgende Flanke landete dann am Unterarm des Hoffenheimers.

Aus Felix Brychs Position dürfte es nicht eindeutig zu erkennen gewesen sein, ob Reus den Ball mit der Brust oder mit dem Arm gespielt hatte. Und man pfeift als Referee nicht einfach auf Verdacht.

Als Entschuldigung würde das jedoch gewiss nicht einmal der Schiedsrichter selbst ins Feld führen wollen. Er hätte sich einfach in eine günstigere Position bringen müssen.

Ungeahndete Zerreißprobe

Auf der anderen Seite hätten auch die Hoffenheimer gerne einen Strafstoß gehabt, als Sokratis nach einem Eckstoß in der 40. Minute ausdauernd am Trikot von Sandro Wagner zerrte und das Leibchen so einer regelrechten Zerreißprobe unterzog.

Ein Elfmeterpfiff wäre hier in der Tat angebracht gewesen – zumal das Halten von Sokratis' Mitspieler Matthias Ginter gegen Wagner, das Brych in der 85. Minute schließlich mit einem späten Strafstoß für die Gäste ahndete, im Vergleich dazu das geringere Vergehen darstellte.

Dass Sokratis' Foul ungeahndet blieb, mag daran liegen, dass bei Eckstößen von Verteidigern wie von Angreifern oft und gerne gerangelt, gezupft und gedrückt wird.

Für den Schiedsrichter ist es in solchen Situationen nicht leicht, den Überblick zu behalten – er kann seine Augen schließlich nicht überall haben.

Andererseits war das Textilvergehen des Dortmunder Innenverteidigers zum einen von einiger Dauer und zum anderen recht plump. Brych hatte deshalb durchaus die Möglichkeit, es zu sehen.

"Scheißjob": Nagelsmann hat Mitgefühl

Im Unterschied dazu war es extrem schwer zu erkennen, ob sich der durchgebrochene Hoffenheimer Andrej Kramaric in der 45. Minute tatsächlich im Abseits befand, wie der Assistent urteilte.

Bei dieser Entscheidung ging es um Zentimeter. Die Fernsehbilder legten nahe, dass sich das Schiedsrichterteam erneut geirrt hatte.

Zum Vorwurf kann man ihm das jedoch nicht machen, dafür ging es einfach zu knapp zu. In solchen Situationen benötigt vor allem der Assistent auch eine Portion Glück.

Dass ihm dieses Glück hier fehlte, passte jedoch zum unglücklichen Auftritt des Gespanns der Unparteiischen an diesem Tag.

"Schiri ist eben auch ein Scheißjob", sagte der Hoffenheimer Trainer Julian Nagelsmann nach dem Abpfiff. Felix Brych wird diese Aussage zwar nicht generell bestätigen, in Bezug auf die Partie am Samstag aber dürfte er ihr zugestimmt haben.

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