Die individuellen Gewinner und Verlierer einer BVB-Halbserie zu ermitteln ist eine deutlich angenehmere Aufgabe, als die Hinrunde aus Vereinssicht insgesamt zu bewerten.
Die Gesamtbetrachtung würde sich wie der alljährliche Sprung in der Platte anhören, wie der Blick auf den Text des Vorjahres zeigt.
Der Blick auf die Gewinner und Verlierer der Halbserie sorgt dagegen für größere Überraschungen. Hätte man beispielsweise den BVB-Fans im Sommer ein Angebot für Julian Brandt vorgelegt - die allermeisten hätten es dankend angenommen und seine zwei Spielzeiten in Dortmund als eine Art Missverständnis verbucht.
Die Auferstehung des Julian Brandt
Dass der maximal begabte 25-Jährige unter
Seine sportliche Entwicklung der letzten vier Monate steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Mit fünf Toren zur Winterpause hat er beinahe so viele Bundesliga-Treffer erzielt wie in den ersten beiden BVB-Jahren zusammen - darunter technisch herausragende Einzelaktionen wie der freche Lupfer zum 1:0 in Berlin am vergangenen Samstag. Es scheint, als habe Brandt deutlich an Spielfreude gewonnen und auch defensiv einen Zahn zugelegt.
Machen wir uns nichts vor: Aus Julian Brandt wird in Sachen Körpersprache und Zweikampfverhalten sicher kein Sven Bender mehr werden; im Verbund verteidigt er jedoch inzwischen ordentlich. Sollte er die aktuelle Form noch konstanter abrufen können, dann bekommt die Borussia endlich den Offensivkünstler, den man im Sommer 2019 mit viel Vorschusslorbeeren aus Leverkusen weggelotst hat.
Honorable mention: Manuel Akanji und Gregor Kobel
Bei Gregor Kobel hingegen gab es aufgrund der hohen Ablösesumme und seiner fehlenden internationalen Erfahrung sicherlich das ein oder andere Fragezeichen. Darüber redet wenige Monate später jedoch niemand mehr.
Der 24 Jahre alte Schweizer trat in seiner Champions-League-Debütsaison mit einer Präsenz auf, als hätte er nie etwas anderes getan. Einen wirklichen Konkurrenzkampf mit seinen namenhaften Landsmännern Marwin Hitz und Roman Bürki gibt es nicht, Kobel ist ihnen schlicht überlegen. Der BVB hat somit auf der Torwartposition das lang ersehnte Upgrade bekommen und in Kobel seinen Keeper für die nächsten Jahre gefunden.
Der größte BVB-Verlierer der Hinserie: die Verletztenliste
Vielleicht ist die Nominierung der Verletztenliste ein wenig gemogelt, zutreffend ist sie dennoch: zu offensichtlich fällt die Formschwäche einzelner Spieler mit teils langwierigen Verletzungsproblemen zusammen. Gio Reyna und Mateu Morey etwa haben verletzungsbedingt in dieser Saison noch überhaupt keine Rolle gespielt, obwohl sie zur festen Rotation der Vorsaison gehörten.
Gleiches gilt für Youssoufa Moukoko, der keine Gelegenheit hatte, weitere Erfahrung als Profi zu sammeln. Auch in Anbetracht der längeren Verletzungspause von Erling Haaland hätte er hier sicherlich mehr Minuten als im letzten Jahr bekommen können.
So ärgerlich eine stagnierende Entwicklung bei jungen Spielern ist, mehr Grund zur Sorge macht die Situation einiger gestandener Spieler. Raphaël Guerreiro etwa verpasste aufgrund mehrerer Verletzungen knapp die Hälfte aller Begegnungen und fand anschließend nicht wirklich zu seinem Spiel zurück.
Gleiches lässt sich über Emre Can sagen. Der 27-Jährige pflegt zurecht ein Selbstverständnis als Führungsspieler in der jungen Dortmunder Mannschaft, wurde aber ebenfalls durch mehrere Blessuren aus der Bahn geworfen. Auch er lief seiner Form anschließend oft hinterher und war zu häufig für eine unüberlegte Aktion gut (exemplarisch sei die unnötige Rote Karte beim Ausscheiden in der Königsklasse gegen Sporting Lissabon genannt).
Auch
Und dann war da noch ... die Bundesliga
Der eigentliche große Verlierer der Hinrunde ist aber die Bundesliga selbst. Neun Punkte Rückstand der Dortmunder auf den FC Bayern sprechen kaum dafür, dass im Meisterschafts"rennen" noch Überraschungen zu erwarten sind.
Nun kann man in Didi-Hamann-Manier ausschließlich den BVB für den nicht existierenden Titelkampf verantwortlich machen, jedoch wäre das nur die halbe Wahrheit. Sicher, Punktverluste in Bochum und Berlin hat sich der BVB selbst zuzuschreiben. Wenn man aber das große Bild betrachtet, sind dies alles nur Symptome eines maximal verzerrten Wettbewerbs.
Sorge sollte einem nicht (nur) der Abstand zu den Bayern machen, sondern der Umstand, dass der BVB trotz teils durchwachsener Ergebnisse selbst fünf Punkte Vorsprung auf seine Verfolger hat. Die Tabellensituation zeigt deutlich auf, dass die Schere im deutschen Fußball immer weiter auseinandergeht – vom internationalen Spitzenfußball nicht zu reden.
Und da war er also doch, der alljährliche Sprung in der Platte ...
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