Nach vielen Jahren der Unsicherheit und des Klub-Hoppings ist Marius Wolf endlich bei Borussia Dortmund angekommen. Der Außenverteidiger ist eine wichtige Stütze für das Team von Edin Terzic, geht in jedem Spiel mit absolutem Siegeswillen voran. Im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion zeigt er sich verwundert über die aktuelle Handregelung, blickt auf den Meisterschaftskampf mit den Bayern und setzt sich mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit auseinander.
Herr
Marius Wolf: Die Stimmung ist immer noch gut. (lacht)
Gibt es Fragen, die ich heute besser nicht stellen sollte?
Alles gut. Ich bin da schlagfertig. (lacht)
Dann steigen wir doch mal aktuell ein: Im Spiel gegen Chelsea gab es eine umstrittene Handelfmeterentscheidung gegen Sie, nun kam es am Dienstag beim RB-Leipzig-Spiel gegen Manchester City erneut zu einer strittigen Szene. Blicken Sie noch durch, wie das mit der Handregel jetzt genau ist?
Jetzt mittlerweile auch nicht mehr. Beim Leipzig-Spiel war es noch mal schlimmer als bei mir. Wir Spieler wissen auch nicht mehr, was Hand ist. Für mich ist das eine ganz normale Bewegung. Du brauchst deine Hände fürs Gleichgewicht, du willst hochspringen und dann wird er von hinten angeköpft. Ich habe im ersten Moment nicht einmal gesehen, dass er den Ball überhaupt berührt hat. Ich finde das dann schon sehr fragwürdig, so etwas zu pfeifen.
Wie groß glauben Sie, ist der Einfluss der Zeitlupe auf eine Entscheidung?
Das spielt auch eine große Rolle. Nicht nur beim Handspiel, sondern bei vielen Sachen. Auch, wenn man jemanden zum Beispiel am Trikot zieht. In der realen Geschwindigkeit ist es gar nichts und in der Zeitlupe sieht es aus, als ob er richtig gehalten wird. Da fällt es mir im Nachhinein oft schwer, die richtigen Worte zu finden.
Nach solchen Szenen wie dem Handelfmeter gegen Chelsea und dem Ausscheiden in der Champions League – wie gehen Sie mit Ihren Emotionen um, wie verarbeiten Sie das?
Da ist man schon sehr sauer und enttäuscht. Wenn man in der Champions League die beiden Spiele anschaut, hat es Chelsea verdient weiterzukommen. Vor allem im zweiten Spiel haben sie mehr Druck gemacht. Trotzdem ist es bitter, dass so eine Szene wie mit dem Handelfmeter dazugehört. Das nagt an einem. Aber zum Glück haben wir so viele Spiele, dass man es schnell abhaken kann und auch abhaken muss. Direkt nach dem Spiel kann man sauer sein, aber man muss einfach schnell wieder nach vorne schauen. Es bringt nichts, negativ zu bleiben.
Gibt es wieder eine Mentalitätsdebatte beim BVB?
Jetzt war ausgerechnet auch das Spiel nach dem CL-Aus wieder nicht so erfreulich. Zwar war es keine Niederlage, aber das Unentschieden gegen Schalke dürfte auch wehgetan haben.
Vor allem, wenn man das Spiel gesehen hat.
Eigentlich war der BVB gerade raus aus der Mentalitätsdebatte, die vor allem in der Hinrunde sehr intensiv geführt wurde. Haben Sie Bedenken, dass Sie sich durch die letzten beiden Spiele wieder in diese Debatte hineinmanövriert haben?
Nein, das glaube ich gar nicht. Wenn man das Spiel gegen Schalke gesehen hat, dann war das von uns ein richtig gutes Spiel, abgesehen von den beiden Chancen, die wir zugelassen haben. Bei denen wir aber klar wissen, was wir falsch gemacht haben, was wir besser machen müssen. Wenn man zudem sieht, wie viele Chancen wir herausgespielt hatten, ist es noch ärgerlicher, dass wir das Spiel nicht früher zugemacht haben. Nach dem 2:1 hätten wir auch das 3:1 machen müssen. Und genau das enttäuscht noch mehr, dass wir nach 90 Minuten, selbst wenn wir zwei Tore zulassen, eigentlich vier oder fünf Tore hätten schießen müssen. Trotzdem wird das keine Mentalitätsfrage aufwerfen. Auch in diesem Spiel haben wir gekämpft, haben alles angenommen. Wir haben ein Spiel aus den letzten zwölf verloren, deswegen glaube ich, dass wir trotzdem auf einem sehr guten Weg sind.
Den guten Weg sieht man auch in der Tabelle. Trotz des Unentschiedens auf Schalke liegt der BVB nur zwei Punkte hinter den Bayern in der Tabelle. Der Meisterschaftskampf ist spannend wie lange nicht mehr. Was macht dieses Wissen mit Ihnen, dass die Deutsche Meisterschaft noch völlig im Bereich des Möglichen liegt? Denken Sie darüber nach?
Jein. Wir sind bisher gut gefahren, auf uns zu schauen und von Spiel zu Spiel zu schauen. Das wollen die Journalisten zwar meistens nicht hören, aber das ist nicht einfach so daher gesagt. Es bringt nichts, auf ein Spiel in drei, vier Wochen zu schauen. Sondern jetzt kommt Köln. Das wird genauso ein schweres Spiel. Gegen die haben wir in der Hinrunde verloren. Jetzt wollen wir zu Hause gewinnen. Dann ist Länderspielpause – und dann kommt Bayern. Aber vorher kommt Köln und wir müssen unbedingt gewinnen, um den Abstand zu wahren und dann in München ein offenes Spiel zu haben.
Darum gewinnt Dortmund dieses Jahr gegen die Bayern
Am 1. April steigt der Showdown gegen die Bayern. Die Statistik vorhergegangener Aufeinandertreffen spricht klar gegen den BVB. Warum gewinnt Dortmund dieses Jahr trotzdem gegen die Bayern?
Das ist eine schwere Frage. Wir gehen jedes Spiel gleich an, ob es Köln ist oder Bayern. Du willst als Fußballer immer gewinnen. Das muss man spüren, das muss man auf den Platz bringen. Und das ist uns in den letzten Wochen, auch bei knappen Spielen, wo es fußballerisch mal nicht so schön war, gelungen. Wir haben auch wegen unserer Mentalität fast immer gewonnen. Seit der Winterpause haben wir dahingehend enorm dazugelernt und sind auch als Team gereift. Und das ist auch der Punkt, der in knappen Spielen entscheidend sein kann. Wir sind auf einem guten Weg und es ist alles möglich.
Haben Sie vor solchen "Tulpen- oder Gladiolen-Spielen", wie sie Louis van Gaal mal genannt hat, bestimmte Rituale, um sich besonders heiß zu machen?
Eigentlich gar nicht. Man hat vielleicht eine größere Grundanspannung, weil man von den Leuten außenrum viel mehr mitbekommt, als vor einem "normalen" Spiel. Aber ich habe keine besondere Vorbereitung auf größere Spiele. Ich bereite mich ganz normal vor. Es ist auch wichtig, dass man eine Routine hat, oder eben keine und die Situation einfach so annimmt, wie man sich fühlt. Der eine braucht das ein wenig mehr, der andere braucht was anderes. Wichtig ist, dass man fokussiert ist und wie in jedes andere Spiel reingeht.
Merken Sie in der Stadt eine größere Hoffnung diese Saison, kann man das spüren?
Ja, das merkt man. Wenn man einen Lauf hat, dann entsteht auch eine gewisse Euphorie. Das bekommt man mit und saugt das auf. Das pusht einen noch mal mehr. Dass es bei uns nach der Winterpause gut gelaufen ist, merkt man auch im Stadion, diese ein bis zwei Prozent mehr.
Das würde Wolf die Nationalmannschaftsnominierung bedeuten
Am Freitag gibt Bundestrainer Hansi Flick den Kader für die nächsten Länderspiele bekannt. Hat er schon angerufen?
Bei mir hat sich noch keiner gemeldet. (lacht) Aber ich habe auch immer gesagt, dass ich meine Leistung hier zeigen will, ob von der Bank aus, von Anfang an und egal auf welcher Position. Damit bin ich immer gut gefahren und daran würde ich auch nichts verändern.
Was würde Ihnen eine Nominierung für das DFB-Team bedeuten?
Das ist der Traum von jedem Jungen, wenn er anfängt Fußball zu spielen, für sein Land zu spielen. Es ist eine enorme Auszeichnung und würde auch meine Leistung im Verein bestätigen.
Aber wenn es nicht klappt, ist es auch okay?
Dann ist es auch fein. Ich bin bei Dortmund, ich bin glücklich und tue gut daran, alles zu geben, dass wir hier unsere Siege einfahren.
Ist Fußballprofi ein Traumjob?
Fußballprofi ist für viele Jungs nach wie vor ein absoluter Traumberuf. War er das für Sie auch immer? Oder wird der Alltag für Fußballprofis, die es jetzt nicht unbedingt ins Stammpersonal einer Erstligamannschaft schaffen, nicht auch ein wenig glorifiziert?
Es ist auf jeden Fall ein Traum. Je näher du diesem Traum kommst, desto mehr merkt man aber auch, wie schwierig es ist. Viele waren nah dran und haben es am Ende nicht geschafft. Es ist nicht so einfach, wie man es sich vorstellt. Es gehören viele Sachen dazu, gerade in der Jugend, bei denen man ein- und zurückstecken muss. Aber ich habe das gern gemacht. Wenn meine Freunde feiern waren, war ich am Fußballplatz. Ich habe davon nichts bereut. Im Gegenteil. Ich habe das gemacht, weil es mir Spaß gemacht hat, weil ich es geliebt habe, weil ich es immer noch liebe. Es war mein Traum. Und umso schöner ist es, das, was man liebt, auch als Beruf auszuüben.
Sie haben das Fußballer-Leben schon aus den unterschiedlichsten Perspektiven erlebt. Sie haben sich klassisch von unten hochgearbeitet, haben in der 2. Mannschaft von Hannover gespielt, wurden verliehen, jetzt sind sie beim BVB endgültig angekommen und eine Riesenstütze in dieser Mannschaft. Welche Ihrer Charaktereigenschaften haben Ihnen in den vergangenen Jahren am meisten geholfen?
Viele. Man entwickelt auch viele Eigenschaften durch verschiedene Situationen, die man im Profigeschäft und auch davor schon erlebt hat. Ich denke, das formt einen Menschen. Deshalb ist jeder Charakter anders, weil jeder einen anderen Weg hat. Es gibt keinen, der den gleichen Weg hat. Ich bin froh, über Sachen, die negativ gelaufen sind. Die auch ziemlich früh in meiner Karriere schlecht gelaufen sind. Ich kann gar nicht mehr an gewisse Punkte kommen, weil ich jetzt schon davor weiß, was ich anders machen muss, damit ich gar nicht dahin gelange. Das sind Erfahrungen, die man als Mensch und als Junge macht. Im Profigeschäft musst du schnell erwachsen werden. Man vergisst oft, dass man am Anfang der Karriere noch ein Kind ist. Also Profifußballer wirst du aber nicht als Kind wahrgenommen. Du machst vielleicht auch Fehler, die du nicht machen würdest, wenn du noch zu Hause wohnen würdest. Fehler, die man sonst in einem geschützteren Rahmen oder vielleicht später erst machen würde. Ich bin trotzdem dankbar für die negativen Zeiten, weil ich daraus meine Lehren und Schlüsse ziehe.
Kürzlich habe ich eine interessante Bezeichnung für Sie gelesen: Mentalitätsspieler. Ist das eine Bezeichnung, mit der Sie sich wohlfühlen?
Puh, ich weiß nicht. Wenn mich andere Leute so bezeichnen wollen, dann ist das deren Ding. Ich versuche auf den Platz zu kommen und zu gewinnen. Ich will immer gewinnen, ich glaube, das sieht man. Aber ich würde auch nie jemanden abschreiben, der anders tickt. Jeder Mensch ist anders, aber es gibt auf der ganzen Welt keinen Fußballer, der nicht gewinnen will. Beim einen sieht man das mehr und beim anderen weniger, obwohl er es genauso will. Bei mir sieht man es vielleicht in manchen Dingen ein bisschen mehr. So bin ich einfach als Typ.
Wie groß ist der Anteil von
Er ist mein Trainer, er hat mir eine faire Chance gegeben. Das ist enorm wichtig für einen Spieler, dass man da Selbstvertrauen zugesprochen bekommt, auch wenn es mal nicht so klappt oder wenn man mal ein schwereres Standing am Anfang hat. Es ist ein gutes Gefühl, dass er mir von Anfang an gegeben hat. Das ist für mich enorm wichtig, dass ein Trainer dir das Gefühl gibt, gebraucht zu werden.
Wolf: Diesen Weg sollte der Frauenfußball weitergehen
Der Fußball gilt vielen noch als letzte Bastion der Männlichkeit, doch der Fußball der Frauen rückt immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Schauen Sie sich Spiele der Frauen an?
Ja, ich habe im Sommer die EM verfolgt. Bei mir im Haushalt läuft immer Sport, auch viel Wintersport und auch Frauenfußball. Die Freundin eines sehr guten Freundes spielt für Deutschland. Da schaut man sich natürlich die Spiele an.
Was glauben Sie, könnte der Fußball in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch besser machen?
Ich denke, dass Frauenfußball gerade gut gepusht wird und dass die Frauen das gerade auch selbst merken. Wenn man sieht, wie viele Menschen bei der EM in England im Stadion waren, weist das auf einen guten Weg hin. Solange alle Spaß haben und sich gut dabei fühlen, ist der Weg der richtige, denke ich. So sollte man weitermachen.
Keine Ahnung, ob das bei Ihnen in irgendeiner Form akut ist, aber Almuth Schult hat kürzlich geäußert, dass sie noch immer auf den ersten Bundesligaprofi wartet, der Elternzeit einreicht, wenn er Vater wird. Könnten Sie sich so eine Pionierrolle vorstellen?
Puh. (lacht) Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, das Thema käme bestimmt auf, wenn ich mit einer Fußballerin zusammen wäre. Ob das bei mir ein Thema wäre, weiß ich nicht.
Auch nicht die zwei Monate, die bei Vätern inzwischen oft gängig sind? Liegt das daran, dass man als Fußballer einfach jedes Spiel spielen will?
Absolut, absolut. Das ist ein wirklich schweres Thema.
Tut man sich leichter, wenn man nicht zum Stammpersonal gehört?
Auch nicht. (lacht) Da ist auch jeder ehrgeizig und jeder weiß, wie schnell es im Fußball geht. Und es im Fußball eben auch so wichtig ist: Auch wenn du mal weniger spielst, musst du das Gefühl haben, gebraucht zu werden, und das ist bei mir gerade gegeben.
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