Die Bundesliga hat nun auch flächendeckend die Dreierkette als taktisches Stilmittel entdeckt. Erstaunlich viele Teams vertrauen bereits auf die Vorteile dieser Variante. Es gibt aber auch einige Nachteile.
Wieder einmal schlüpften die Italiener in die Vorreiterrolle. Arrigo Sacchi gilt als der populärste Verfechter der Raumdeckung und damit auch der Viererkette. Auf Sacchis Ideen und jenen der verstorbenen Trainerlegende Valeri Lobanowski geht der Paradigmenwechsel im Weltfußball zurück, der vor rund 20 Jahren stattfand. Vor einigen Jahren aber brach eine Mannschaft mit dieser allgemein gültigen Regel. Und war damit überaus erfolgreich.
Förmlich aus dem Nichts schoss der SSC Neapel bis auf Rang zwei der Serie A nach oben, schaffte es in die Champions League und vertraute auch da in der Grundordnung auf eine Dreierkette. Napoli-Trainer Walter Mazzarri hatte nichts wirklich Neues entdeckt. Aber er hat ein altes Spielsystem entstaubt und in abgewandelter Ausrichtung wieder salonfähig gemacht. Napoli war so etwas wie der Gegenbeweis dafür, dass im modernen Fußball nur mit einer Viererkette zu bestehen ist.
Bei der WM 2010 in Südafrika versuchte sich Chile mit dem Trainer-Genie Marcelo Bielsa auch schon an einer Dreierkette. Die Spiele der Chilenen waren eine Wucht, das frühe Aus im Achtelfinale gegen Brasilien raubte der Mannschaft aber die durchaus verdiente Beachtung.
Dreierkette in der Bundesliga momentan erfolgreich
Mittlerweile vertrauen immer mehr Mannschaften auf ein Spielsystem mit nur drei fest installierten Verteidigern auf einer Linie, auch in der Bundesliga dies längst kein Trend mehr, sondern eine kultivierte Alternative zum herkömmlichen Einheitsbrei.
Am vergangenen Wochenende spielten fünf von 18 Teams der Bundesliga in einer Grundordnung mit drei Verteidigern in der letzten Linie, Borussia Mönchengladbach, der 1. FC Köln, Schalke 04, 1899 Hoffenheim und Eintracht Frankfurt. Das ist eine beachtlich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass noch vor drei Jahren keine einzige Mannschaft auf eine Dreierkette vertraut hat.
Köln, Hoffenheim und Frankfurt sind drei der Überraschungsmannschaften dieser Saison, Schalke hat erst durch die Umstellung auf die Dreierkette nach einem verheerenden Start mittlerweile toll in die Spur gefunden.
Es geht um Überzahl im Mittelfeld
In der Bundesliga hat Pep Guardiola großen Anteil am Sinneswandel. Der ehemalige Bayern-Coach hat die Vorstellung, dass Fußballspiele im Mittelfeld entscheiden und nirgendwo anders entschieden werden. Also wollte er - gemäß der Sacchi-Lobanowski-Lehre von der Überzahl in Ballnähe - in diesem Bereich mehr Spieler postiert haben als der Gegner. Und so stets Kontrolle über das Spiel haben.
Im modernen Fußball ist das die Währung, die die Wahrscheinlichkeit, Spiele gewinnen zu können, nach oben treibt: Wer schafft wann wo auf dem Spielfeld eine Überzahlsituation? Da fast alle Mannschaften in der Bundesliga in einem 4-2-3-1 oder 4-4-2 agiert haben, also mit maximal drei zentralen Spielern im Mittelfeld (Doppel-Sechs plus Zehner), bildet zum Beispiel ein 3-5-2 immer die Möglichkeit, in diesem Bereich Überzahlsituationen zu schaffen. Der "eingesparte" Verteidiger der Viererkette rückt, vereinfacht ausgedrückt, ins Mittelfeld vor.
Bessere Absicherung beim Herausrücken
Die Vorteile liegen auf der Hand: Im Spiel gegen den Ball sichern drei (zumeist gelernte Innen-)Verteidiger auf der letzten Linie ab, dazu lässt sich der Außenbahnspieler auf der ballnahen Seite auf Höhe der Kette fallen, der ballferne Außenbahnspieler rückt bis tief in den Halbraum in Richtung Zentrum ein. Es entsteht so eine herkömmliche Viererkette in letzter Linie, aber eben auch ein durch mindestens einen Spieler zusätzlich verdichtetes Mittelfeldzentrum.
Grundvoraussetzung dafür sind zwei laufstarke, taktisch gut ausgebildete Spieler auf den beiden Außenbahnen, die sowohl defensiv als auch offensiv sauber agieren. Gerade gegen spielstarke Gegner wird verstärkt auf ein 5-4-1 oder 5-3-2 zurückgegriffen, um die Abwehrlinie noch dichter schließen zu können.
Ein weiterer Pluspunkt: Durch die noch enger aneinander stehenden Spieler der Fünferkette ist ein spekulatives Herausrücken auf einen Pass in den Fuß des Angreifers mit deutlich weniger Risiko verbunden, weil hinter dem herausrückenden Innenverteidiger noch vier weitere Spieler bleiben, um den Raum zu schließen. Bei der Viererkette entsteht dagegen in diesen kurzen Momenten ein großes Loch, sobald ein Innenverteidiger antizipiert und entsprechend herausschiebt.
Bei eigenem Ballbesitz sind die Umschaltmomente durch die beiden Außenbahnspieler flexibler zu gestalten, da die gefährliche Halbspur besser genutzt werden kann. Und: Sollte der Ball verloren gehen und die Mannschaft sauber nachgerückt sein, ist die Staffelung für das Gegenpressing durch die höhere Anzahl an Spielern in Ballnähe besser.
Es gibt auch Nachteile
Es gibt aber auch Nachteile der Dreierkette. Bekommt der Gegner schnelle Spielverlagerung hin, zum Beispiel durch einen hohen Diagonalball, ist die Breite des Spielfelds nicht so gut abgedeckt wie bei einer Viererkette. Diese Diagonalbälle können zu einem echten Problem werden.
Außerdem fehlen in den Grundordnungen mit Dreierkette in der Abwehr in der Regel klassische Flügelspieler. Es sei denn, die Mannschaft agiert in einem 3-4-3, das in der Bundesliga aber kaum gespielt wird, weil darunter die viel zitierte Kompaktheit im Zentrum leidet.
Die Dreierkette ist kein Allheilmittel und sie einzustudieren erfordert flexible Spieler und jede Menge Zeit. Aber sie ist ein probates Mittel, um einen Gegner auch mal zu überraschen und ihn vor neue Aufgaben zu stellen.
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