Eigentlich wollte ich am Sonntag ins Stadion, wenn der FC Bayern München zum ersten Mal in der Geschichte der Fußball-Bundesliga bei Union Berlin an der Alten Försterei antritt. Stadionspieltage sind die besten. Die Vorfreude an den Tagen zuvor, die genaue Planung des Spieltags. Wer trifft sich wann, mit wem, wo? Wer kommt aus welcher Richtung angereist? Wer nimmt welche S-Bahn? Wer bringt das Wegbier mit?
Das beste am Stadion sind für mich die Diskussionen drumherum. Die Sprüche, die Thesen, die jedes Spiel begleiten und mit jedem Bier ein wenig deutlicher vorgetragen werden. Egal ob vor dem Spiel: "Dreierkette heute? Warum lässt er den Müller unten? Der Davies – der wird noch mal ein richtig Großer!“. Während des Spiels: "Was hat der denn da schon wieder gepfiffen? Was ist heute schon wieder mit Coutinho los? Der Davies – der wird nochmal ein richtig Großer!!“. Oder nach dem Spiel: "Er hätte wirklich Müller aufstellen sollen. Und der Davies – der wird nochmal ein richtig Großer!!!“
Am Sonntag wird es anders sein. Die Fachsimpelei, die Diskussionen am Spieltag werden mir fehlen. Ohnehin ist gerade alles anders. In der Bundesliga und auch sonst. Die wochenlange Pause hat einiges durcheinandergebracht. Es sind noch wenige Tage bis zum nächsten Spieltag und ich könnte derzeit weder sagen, wie viel Vorsprung der FC Bayern in der Tabelle hat (ich habe nachgeschaut: es sind vier Punkte auf Borussia Dortmund) noch wer Trainer beim FC Augsburg ist (habe auch nachgeschaut: Heiko Herrlich). Es fehlt irgendwie der Anschluss zu der Zeit vor der Coronakrise. Keiner weiß, wie die Form der Mannschaften und Spieler derzeit sind. Wer in die Startelf drängt oder wer außen vor ist.
Bundesliga-Neustart: Bisher kaum Debatten über sportliche Themen
Denn bisher spielt der Sport – verständlicherweise – nur eine Nebenrolle. Hygienekonzepte, absurde Vorschriften der DFL zu Abstandsgeboten auf dem Feld, positive Corona-Tests in erster und zweiter Liga. Diese Themen bestimmten die Schlagzeilen der letzten Tage. Wer am vergangenen Sonntag den Experten um Thomas Helmer und Stefan Effenberg im Sport1 Doppelpass dabei zuschaute, wie sie zwei Stunden lang eine zähe Diskussion über Quarantänevorschriften und Mundschutzvorgaben für Trainer führten, spürte, dass die Liga von Normalität sehr weit entfernt ist. Kehrt ab dem Wochenende trotz leerer Kulissen mit dem Fußball ein Stück Alltag zurück? Vielleicht. Zumindest etwas sportlicher sollten die Debatten der nächsten Tage wohl werden.
Auf Stadionerlebnisse werden wir alle noch lange verzichten müssen. Großveranstaltungen dürften als letztes wieder erlaubt werden. Vielleicht sogar erst, wenn es einen Impfstoff oder wirksame Medikamente gegen die vom Coronavirus verursachte Lungenkrankheit gibt. Das Verbreitungsrisiko mit Zehntausenden auf engstem Raum im Stadion und auf den Zufahrtswegen ist einfach zu groß.
Und so schwanke ich derzeit zwischen Wehmut und Verständnis. Wehmut, weil mir die Aussicht aufs Stadion, auf die Debatten rund um das Spiel fehlt. Verständnis für die Bundesliga und die Klubs, die letztlich wie jedes andere Unternehmen ihren Job wiederaufnehmen wollen. Verständnis aber auch für diejenigen, die derzeit mit Gleichgültigkeit oder mit Unverständnis auf die Rückkehr der Bundesliga reagieren.
Neue Normalität ohne Fans?
Ich bin gespannt, wie es sich anfühlen wird am Wochenende. Ein Spiel ohne Zuschauer. Zu hören sein werden höchstens die Rufe der Spieler oder die Anweisungen der Trainer. Das könnte durchaus seinen Reiz haben. Ein wenig wie Fußball in der Kreisliga wirkt das. Nur mit besserem Fußball.
Springe ich am Sonntag zu Hause auf dem Sofa auf, wenn ein Tor für meine Mannschaft fällt? Momentan kann ich mir das nur schwer vorstellen. Immerhin gibt es danach wieder etwas zu diskutieren. Mit den Kumpels oder in den Videokonferenzen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Woche danach. Zumindest darauf freue ich mich. Denn wenn der Ball rollt, gibt es immer etwas zu diskutieren. Denn der Davies – der wird nochmal ein richtig großer.
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