Viele stören sich offenkundig daran, dass der Video-Assistent so viel Einfluss auf das Spiel nimmt, obwohl man ihn nicht einmal sieht. In Mainz hat nun ein Schiedsrichter gezeigt, wie man dieses Problem lösen könnte: Er guckte sich eine strittige Strafraumszene selbst noch einmal am Spielfeldrand an. Und sorgte so für mehr Transparenz.
Nach der heftigen Kritik an den vergangenen Spieltagen ist über den Videobeweis an diesem Wochenende nur wenig geschimpft worden. Das liegt zum einen daran, dass es diesmal kaum strittige Situationen gab, in denen sich der Video-Assistent einschaltete.
Zum anderen löste Schiedsrichter Tobias Stieler beim Spiel zwischen Mainz 05 und Hertha BSC (1:0) eine heikle Szene gemeinsam mit seinem Helfer am Monitor in Köln so geschickt, dass es sogar Lob für die zuletzt so oft gescholtene Neuerung gab.
Nach einem Zweikampf im Berliner Strafraum zwischen dem Herthaner Karim Rekik und Yoshinori Muto war der Mainzer zu Boden gegangen. Stieler hatte zunächst weiterspielen lassen, sehr zum Unmut der Gastgeber.
In der nächsten Spielunterbrechung kontaktierte der Video-Assistent Benjamin Cortus über Funk den Unparteiischen. Er fragte ihn, ob er eigentlich Rekiks Stoßen gesehen habe. Stieler verneinte.
Gelbe Karte fürs Malen eines Monitors
Nach dem Schlusspfiff verriet er den Grund: Er habe bei diesem Duell "nur auf die Füße geschaut". Dorthin nämlich, wo sich auch der Ball befand, ein Vergehen also am wahrscheinlichsten schien. In diesem Bereich war es tatsächlich zu keinem strafwürdigen Kontakt gekommen.
Der Referee beschloss, an den Spielfeldrand zu eilen, um sich dort, in der sogenannten Review Area, den Oberkörpereinsatz des Berliner Verteidigers selbst noch einmal auf dem Bildschirm anzusehen.
Das dauerte nur wenige Sekunden, danach zeigte Stieler an: Die Entscheidung wird geändert, es gibt nun doch einen Strafstoß für Mainz. Rekik erhielt zudem für sein Foul die Gelbe Karte - und auch Muto wurde verwarnt.
Denn der Japaner hatte nach dem Zweikampf die Umrisse eines Fernsehers in die Luft gemalt und den Referee so aufgefordert, den Video-Assistenten zu kontaktieren. Eine solche Geste wird als Unsportlichkeit betrachtet und entsprechend geahndet.
Transparenz vor Geschwindigkeit?
Es war bereits das sechste Mal in dieser Saison, dass ein Elfmeter (erst) nach Inanspruchnahme des Videobeweises verhängt wurde. Aber es war das erste Mal, dass ein Schiedsrichter sich vor der Elfmeterentscheidung selbst am Monitor vergewisserte.
Die Vorgabe der DFB-Schiedsrichterkommission lautete bislang, dass die Review Area nur im Ausnahmefall aufgesucht werden soll.
Denn die Unparteiischen sollen den Einschätzungen ihrer Kollegen in der Kölner Zentrale möglichst folgen, ohne die betreffende Szene noch einmal in Augenschein zu nehmen. Der Review-Prozess geht so schneller über die Bühne, das Spiel ist kürzer unterbrochen.
Doch zuletzt wurde die Kritik von Spielern, Vereinsverantwortlichen und Fans an Urteilen der Video-Assistenten immer lauter - sowohl bei Korrekturvorschlägen als auch bei Nichteinmischungen.
Ferngesteuerte Schiedsrichter?
Das hat nicht nur etwas mit der vermeintlich uneinheitlichen Regelauslegung zu tun: Vielen ist es offenkundig nicht geheuer, dass da jemand, den sie selbst nicht sehen und nicht hören können, weit entfernt vom Ort des Geschehens an einem Monitor darüber befindet, was zu geschehen hat.
Zwar dürfen die Video-Assistenten nicht selbst entscheiden, sie können den Schiedsrichtern nur Empfehlungen geben. Dennoch hat anscheinend so mancher Fußballfreund den Eindruck, dass sie die Unparteiischen auf dem Feld regelrecht fernsteuern.
Wenn ein Schiedsrichter sich dagegen noch einmal unter den Augen der Öffentlichkeit selbst überprüft wie Tobias Stieler in Mainz, kann er für seine anschließende Entscheidung ganz offensichtlich mit mehr Akzeptanz rechnen, als wenn er einem unsichtbaren Dritten einfach folgt.
"Das ist noch ungerechter als vorher, wo der entscheidende Mann der Schiedsrichter auf dem Platz war und nicht irgendwer vor einem Bildschirm", hatte beispielsweise der Mainzer Spieler Stefan Bell unter der Woche noch über die Video-Assistenten geklagt.
Stieler: "Nicht überstrapazieren"
Nun aber sagte er: "Für die Glaubwürdigkeit des Videobeweises ist es auf jeden Fall besser, dass der Schiedsrichter da zum Bildschirm läuft, als dass er anderthalb Minuten mit dem Finger am Ohr auf dem Platz rumsteht."
Auch Tobias Stieler selbst hält die Möglichkeit, sich als Unparteiischer eine Szene noch einmal selbst auf dem Bildschirm an der Seitenlinie anzusehen, für "einen guten Weg, um das Ganze ein bisschen transparenter zu machen". Deswegen werde die Review Area "in Zukunft wohl mehr eingebunden".
Der 36-Jährige warnte allerdings davor, nun bei jeder strittigen Situation selbst zum Monitor zu eilen, um dort eine Überprüfung vorzunehmen: "Man sollte es nicht überstrapazieren."
Zu seiner Elfmeterentscheidung sagte Stieler so knapp wie richtig: "Die Bilder sind klar, es war ein gegnerorientiertes Stoßen, deswegen habe ich Strafstoß gegeben."
Pablo De Blasis verwandelte den Elfmeter zum alles entscheidenden 1:0.
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