Die Bundesliga-Klubs wanken in der Coronakrise. In unserem Interview spricht der Fußball-Marketing-Experte Sascha Schmidt über polarisierende Aussagen von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, das System Profi-Fußball – und das wohl entscheidende Argument pro Geisterspiele.
Herr Schmidt, stellt sich in der Coronakrise für die Bundesliga die Image-Frage?
Sascha L. Schmidt: Was man sagen kann: Das Krisenmanagement gelingt. Die DFL hatte zuvor schon Krisen zu überstehen, "Kirch" zum Beispiel. Aber etwas Vergleichbares gab es noch nie. Insbesondere Herr Seifert beweist sich als Krisenmanager.
Bundesliga in der Coronakrise: "Es wird eine Phase nach diesem Ausnahmezustand geben"
Wobei sich die DFL Vorwürfe gefallen lassen muss, man habe am Anfang der Coronakrise mit einer Art Salami-Taktik reagiert.
Auf das Ausmaß dieser Krise konnte niemand vorbereitet sein. Die DFL hat sich auf die unmittelbaren Folgen konzentriert: dass Spieltage erstmal nicht stattfinden können. Mit neun Spieltagen, die wegfallen könnten, geht es immerhin um etwa ein Viertel der gesamten Saison. Bei TV-Erlösen von 1,16 Milliarden Euro pro Saison entspricht das etwa 300 Millionen Euro. Es werden mögliche Verluste von 750 Millionen Euro kolportiert - Einnahmen an Spieltagen plus ausbleibende Sponsorengelder dazu gerechnet, kommt man schnell auf diese Zahl. Das ist realistisch und existenzbedrohend. Deswegen finde ich es legitim, dass sich die Klubs in der Kommunikation darauf konzentrieren, weil es um ihr Überleben geht.
Was würden Sie als Experte für PR- und Kommunikationsfragen der Bundesliga in dieser kniffligen Gemengelage raten?
Bei dieser Pandemie handelt es sich um einen Ausnahmezustand, der nicht seriös planbare Szenarien zulässt. Es ist rein spekulativ, zu sagen, was man machen soll. Wir befinden uns in der höchstmöglichen Unsicherheitskategorie, vier von vier. Es ist aber ein Übergangszeitraum, wir werden nicht auf Dauer in dieser totalen Unsicherheit sein. Es wird eine Phase nach diesem Ausnahmezustand geben, und auf die kann man sich vorbereiten.
Kritik an Hans-Joachim Watzke? "Der BVB muss in Richtung Shareholder kommunizieren"
Nochmal: Geht es jetzt nicht auch um das Image der Bundesliga? Vor allem BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zog am Anfang der Krise mit teils verharmlosenden Aussagen viel Kritik auf sich. Borussia Dortmund propagiert dagegen gerne den Slogan der "echten Liebe".
Herr Watzke war aber auch einer der Ersten in der Bundesliga, der einen eigenen Gehaltsverzicht angeboten hat. Da muss man unterschiedliche Aussagen übereinanderlegen. Man darf auch nicht vergessen, dass Borussia Dortmund ein börsennotierter Verein ist. Der BVB muss auch in Richtung Shareholder kommunizieren.
Zeigt gerade dieses Beispiel die Herausforderungen in puncto Marketing und PR derzeit?
Ja. Das ist Navigieren im dichtesten Nebel. Die Aussage, die ich heute tätige, kann morgen schon total überholt sein. Das gilt auch für die Politik. Deswegen ist es so schwierig, in einem Ausnahmezustand Prognosen abzugeben, weil man eigentlich nur falsch liegen kann.
"Die Bundesliga-Klubs geben pro Monat etwa 125 Millionen Euro an Spielergehältern aus"
Schon zu einem frühen Zeitpunkt der Coronakrise wurde dagegen von vielen Seiten ein Gehaltsverzicht der Großverdiener im Fußball gefordert.
Ich bin ja Ökonom. Als Ökonom schaut man sich an, wo die größten Einnahmen- und Ausgabenblöcke liegen. Der größte Kostenblock liegt in der Bundesliga bei den Spielern. Gehälter und Transfers zusammengerechnet, ist man bei 58 Prozent der gesamten Kosten. Pro Monat geben die Bundesliga-Klubs zusammen etwa 125 Millionen Euro an Spielergehältern aus. Das ist der größte Hebel. Sie können die Spieler nicht zwingen, aber ein freiwilliger Gehaltsverzicht hilft enorm weiter. Es ist ein schönes Zeichen der Profis, die proaktiv vorangegangen sind, auch um die Belegschaft der Klubs zu sichern. Eine Krise ist auch immer eine Chance.
Explizit für die DFL und den DFB? Es gab in den vergangenen Jahren scharfe Kritik, die Bundesliga und der Deutsche Fußball-Bund hätten die Bindung zur Basis verloren. Dirk Zingler, Präsident von Union Berlin, hat sich so geäußert.
Was unter Experten sicherlich diskutiert wurde, war eine drohende Überhitzung des internationalen Fußballmarktes. Viele haben schon von einer Blasenbildung gesprochen, ähnlich, wie man das auf Aktien- oder Immobilienmärkten beobachtet hat. Wann aber die Blase platzen und den Fußball in eine tiefe Krise stürzen würde, vermochte niemand vorherzusagen.
Bundesliga-Experte: "Die Coronakrise stellt das gesamte System Profi-Fußball infrage"
Weil Transfersummen und Gehälter nicht mehr verhältnismäßig waren?
Genau. Es gab diejenigen, die gesagt haben: "Solange der Markt das refinanziert, ist es okay." Während andere gefragt haben: "Wo führt das hin? Muss man nicht mal die Bremse ziehen?" Diese Diskussion ist durch Corona überholt, weil diese Krise das gesamte System Profi-Fußball infrage stellt. Das schafft Möglichkeiten, über neue Regelungen nachzudenken – was Spielergehälter, Bonuszahlungen und Beraterhonorare angeht. Solche Diskussionen werden durch die Coronakrise neu geführt werden.
Im Sommer könnte es zu reihenweise Geisterspielen kommen. Die organisierte Fanszene äußerte sich bereits, lieber ganz zu verzichten, weil es dem Wesen des Fußballs widerspreche. Sollte die Bundesliga aus Marketing- und Image-Gründen diesem Beispiel folgen?
Niemand will wirklich Geisterspiele. Weder die Klubs noch die Liga noch die Spieler. Was Geisterspiele aber rechtfertigt, ist die wirtschaftliche Notwendigkeit: Wenn 750 Millionen Euro auf dem Spiel stehen, rechtfertigt das Maßnahmen, die grundsätzlich niemandem gefallen. Nicht mal den TV- und Streaming-Partnern.
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