- Schalke 04 steuert schnurstracks auf den Abstieg zu, es droht sogar der totale Kollaps.
- Alle bisherigen Maßnahmen griffen ins Leere - können wenigstens die Neuverpflichtungen helfen?
Es mag nur eine Kleinigkeit sein, aber sie veranschaulicht ziemlich gut die Lage in Gelsenkirchen: Von den vielen wichtigen Entscheidungen der letzten Wochen und Monate hat der FC Schalke nur noch die wenigsten selbst hinaus gesandt in die Welt.
Die Notwendigen, wie einen der vielen Trainerwechsel. Und die Heimeligen, wie die Rückholaktionen der Spieler Sead Kolasinac und Klaas Jan Huntelaar oder die Leihe des Wolfsburgers William. Das ist das Pflichtprogramm, der unterste Standard der Unternehmenskommunikation.
Ein Klub wie der FC Schalke 04, der ein auf allen Ebenen schreckliches Jahr 2020 hinter sich hat, sollte aber vielleicht etwas mehr tun als nur seine Pflicht. Zumal in diesen schwierigen Zeiten, wo das Korrektiv der Fans fehlt, ihre unmittelbare Einschätzung und das Gespür für die Situation.
In "normalen" Zeiten gäbe es diese Rückmeldung jede Woche, bei den Auswärts- und erst recht bei den Heimspielen der Mannschaft. Derzeit rinnt das Feedback der Anhänger aber nur über die sozialen Medien ein.
Umso wichtiger wäre es wohl, die Fans auch anderweitig mitzunehmen. Mit einer proaktiven, offenen Kommunikation, mit Informationen aus dem Innenleben des Klubs und einem gelebten, zumindest virtuellen, Miteinander. Stattdessen fährt die Medienabteilung der Knappen aber eine rigide Salami-Taktik.
Sie gibt nur das preis, was unbedingt notwendig ist und wundert sich dann, dass in regelmäßigen Abständen Kommunikees verfasst werden müssen, um an die Presse durchgesteckte Informationen wieder einzufangen. Derzeit gibt es fast wöchentlich ein Dementi zu lesen, zuletzt wurde der angeblichen Suche nach einem neuen Sportdirektor für den kommenden Sommer widersprochen. Der "Kicker" hatte darüber berichtet.
Wenn auch viele Dinge schon in den letzten Jahren schief liefen auf Schalke - die Medienabteilung gehörte stets zu den Besten des Landes. So wie der stolze Klub aus dem Pott einmal zu den besten Klubs der Republik gehörte.
Das ist momentan aber gefühlt eine Galaxie entfernt. Schalke 04 wird - wenn nicht noch ein mittelschweres Wunder passiert - in ein paar Monaten verschwunden sein aus der Bundesliga. Und dann vielleicht für lange Zeit auch nicht mehr auftauchen.
FC Schalke 04: Woher sollen acht oder neun Siege kommen?
In diesen Wochen muss der Klub die Lizenzunterlagen für die kommende Spielzeit einreichen, Schalke plant für die erste und die zweite Liga. Bisher gingen die Bescheide trotz einer sehr angespannten Finanzlage immer noch so durch bei der DFL, die Coronakrise und ihre Folgen plus die düsteren Aussichten für den Standort Gelsenkirchen dürften die Prüfer in diesem Frühjahr aber noch einmal genauer hinschauen lassen.
Schalkes Schuldenstand ist auf rund 240 Millionen Euro angewachsen, damit ist der Klub wenigstens in diesem Ranking einsame Spitze in der Bundesliga. Der Personaletat soll sich immer noch auf rund 100 Millionen Euro belaufen - ein Wahnsinn, wenn man den sportlichen Ertrag der Mannschaft gegenrechnet. Schalke hat eines von 18 Saisonspielen gewonnen, steht mit sieben Punkten auf dem letzten Platz und hat schon acht Punkte und 18 Tore Rückstand auf den Relegationsrang.
Seit der Wiedereinführung der Relegationsspiele vor zwölf Jahren waren zum Erreichen des Relegationsplatzes im Schnitt rund 32 Punkte notwendig; Wolfsburg musste einmal trotz 37 eingesammelter Zähler in die Saisonverlängerung, der HSV schaffte es sogar mal mit nur 27 Punkten. Aber so 32, vielleicht 33 oder 34 Punkte sollten es schon sein, um zumindest die kleine Hoffnung auf zwei Spiele gegen den Dritten der zweiten Liga zu haben.
Dafür fehlen Schalke aber acht, neun Siege - und jedem Beobachter die Fantasie, wie diese in der Rückserie errungen werden sollen. Die kommenden fünf Gegner übrigens: Werder, Wolfsburg, Leipzig, Union und Dortmund.
Die Entwicklung bleibt weiterhin aus
Es deutet nichts daraufhin, dass die Mannschaft in den kommenden Wochen aus dem Nichts explodiert, dass sie sich zusammenrauft, angeleitet vom neuen Trainer Christian Gross plötzlich einen Fußball spielt, der die Wahrscheinlichkeit auf Siege - und nur die helfen, Remis helfen nicht - signifikant erhöhen könnte.
Gross ist der vierte Trainer in einer Halbserie, auch das so eine rekordverdächtige Marke. Bisher gibt sich der Schweizer zwar gefasst und stoisch, nachhaltige Veränderungen auf dem Platz hat Gross aber auch noch nicht angestoßen.
Schalke spielt etwas besser nach vorne, hat ein paar Chancen mehr als noch unter Gross‘ Vorgängern David Wagner, Manuel Baum und Huub Stevens. Aber es fehlt weiterhin ein erkennbarer Plan, wie die Mannschaft zum Torerfolg kommen will. Mehr als ein paar Umschaltsituationen pro Spiel gibt es nicht zu sehen. Und weil seit Baums Abgang auch die Zahl der zugelassenen Chancen und der Gegentore wieder zunimmt, hat sich im Grunde nichts verändert.
Mit genannten Transfers will die sportliche Leitung um Jochen Schneider gegensteuern, es wirkt wie ein letzter verzweifelter Versuch, das Unmögliche doch noch möglich zu machen. Immerhin wurden mit den Transfers von Kolasinac und William die notorischen Problemzonen auf den defensiven Außenbahnen angegangen und Huntelaar bringt wie Kolasinac auch ein wenig Herzblut mit ein.
Und der Hunter ist auch ein toller Strafraumstürmer, aber halt schon 37 Jahre alt, und überhaupt: Wie soll er vor dem gegnerischen Tor an den Ball kommen, wenn die Mannschaft kaum einen Angriff vernünftig in die Zielzone spielen kann? Für den bisherigen Konterfußball ist Huntelaar jedenfalls eher eine Fehlbesetzung.
Es droht der totale Kollaps
Und so türmen sich die Probleme vor Schneider und Gross auf wie ein Achttausender. Die finanzielle und die sportliche Lage sind verheerend, strukturell gibt es Probleme en masse. Eigentlich wäre der Klub auf (Tönnies-)Geld dringend angewiesen, andererseits will und muss sich Schalke nun auch in der Praxis emanzipieren von seinem ehemaligen Sonnenkönig. Die Lage ist so komplett verfahren, dass sich die Stimmen nach einem Abstieg als reinigendes Gewitter mehren.
Ein Neubeginn mit frischem Personal, mit frischen Ideen und einem noch größeren Fokus auf der eigenen Jugendarbeit mag auf den ersten Blick verlockend klingen, ist aber höchst riskant. So wie sich die Gemengelage darstellt, könnte ein Abstieg nicht nur mit dem Sturz in die zweite Liga enden. Auch der komplette Niedergang des Klubs ist längst mehr als eine vage Theorie.
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