Einzigartig, dieser Thomas Müller: Höhepunkte einer beispiellosen Laufbahn

Sein Körper ist nicht der eines Athleten, seine Spielweise entstammt keinem Lehrbuch. Trotzdem, oder gerade deswegen, hat es Thomas Müller zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten Spieler der Welt gebracht. Der FC Bayern München ist ohne den Jungen vom Ammersee nicht denkbar. Seit 2008 läuft Müller als Profi auf. Der Weltmeister von 2014 hat zahlreiche Vereinsrekorde eingeheimst. Wir zeichnen seine Karriere-Höhepunkte nach.

Am 15. August 2008 betritt Müller (r.) die Bundesligabühne. Beim 2:2 daheim gegen den Hamburger SV, das die 36. Saison der Bundesliga eröffnet, schickt der damalige Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann (l.) das Talent aus den eigenen Reihen für die verbleibenden elf Minuten aufs Feld.

Die Nummer 18 verlässt den Platz, Miroslav Klose. Es steht bereits 2:2. Es fällt kein weiteres Tor an diesem Abend mehr. Müller und Klose werden sechs Jahre später in Brasilien gemeinsam Weltmeister.

Müller (l.) schnuppert erste Bundesligaluft, hier im Zweikampf mit dem HSV-Verteidiger Thimothee Atouba.

Erst am 29. August 2009, dem vierten Spieltag der zweiten Bundesligasaison Müllers, steht der Nachwuchsmann erstmals über die vollen 90 Minuten in der Bundesliga auf dem Platz. Müller trägt zum 3:0 über den damaligen deutschen Meister aus Wolfsburg seinen Teil bei. Vom "kicker" gibt es für Müller die Note 3,0. Arjen Robben trifft bei seinem Bundesligadebüt an diesem Tag gleich doppelt für den FC Bayern.

Bereits in der Woche zuvor, noch ohne Robben, hat Müller (l.) erstmals in der Bundesliga ein Tor aufgelegt.

Obwohl der Mainzer Nikolce Noveski Müllers Assist ins eigene Netz köpft und die Gäste damit auf 1:2 verkürzen, gelingt den 05ern die Überraschung. Die Bayern bleiben auch im dritten Bundesligaspiel der Saison sieglos und rutschen mit zwei Punkten vorübergehend auf Rang 14 der Tabelle ab.

Thomas Tuchel (l.) hingegen, der im März 2023 als Trainer den FC Bayern übernimmt und unter anderen auf Müller trifft, feiert mit "seinem" Müller, Heinz Müller, dem Mainzer Keeper. Tuchel steht nach seinem dritten Bundesligaspiel als Trainer ungeschlagen da. Mainz grüßt damals mit fünf Punkten von Tabellenplatz fünf. Am Ende der Saison 2009/10 sind die Mainzer Neunter - und der deutsche Meister heißt wieder Bayern München.

Für seinen ersten Treffer in der Bundesliga sucht sich Müller nicht irgendeinen Gegner aus. Bayern Münchens Dauerrivale Borussia Dortmund kassiert am 12. September 2009, dem fünften Spieltag der Bundesliga, trotz einer 1:0-Führung durch Mats Hummels ein 1:5 daheim und rutscht auf Tabellenplatz 14 ab.

Müller wird beim Stand von 1:1 zur zweiten Hälfte eingewechselt und schnürt binnen zehn Minuten einen Doppelpack.

Der Zeitpunkt ist perfekt: Am Tag darauf feiert Müller (M.), der in der 78. und in der 88. Minute die Tore zum 4:1 und 5:1 erzielt, seinen 20. Geburtstag. Das Vorabgeschenk hat er sich und dem Klub beschert. Der zweite Sieg nacheinander lässt die Bayern drei Wochen nach der Pleite in Mainz auf Rang fünf der Tabelle klettern.

Noch ehe Müllers zweite Bundesligasaison endet, ist sein erster Dreierpack fällig. Beim 3:1 über den VfL Bochum am 1. Mai 2010, dem 33. Spieltag, wird Müller aufgrund seiner Tore in der 18., 20. und 69. Minute zum Matchwinner.

Müller ist inzwischen Stammspieler und weist nach 37 Bundesligaspielen bereits 13 Tore auf.

Drei Tore in einem Bundesligaspiel gelingen Müller erst wieder am 8. November 2014 bei einem 4:0 bei Eintracht Frankfurt.

Eine Woche nach dem Tore-Coup gegen Bochum hält Müller im Alter von 20 Jahren erstmals die Meisterschale in Händen. Zum 3:1 bei der Hertha liefert Müller eine Torvorlage. Es ist bereits seine elfte der Saison.

Erstmals steht Müller (r.), hier im Zweikampf gegen seinen späteren Weltmeister-Kollegen Mesut Özil, auch im Endspiel des DFB-Pokals und genießt am 15. Mai 2010 die einzigartige Atmosphäre im Berliner Olympiastadion.

Nach dem souveränen 4:0 über Titelverteidiger Werder Bremen strahlen Thomas (r.) und dessen Ehefrau Lisa Müller mit dem errungenen DFB-Pokal um die Wette.

Eine Woche nach dem Gewinn des Doubles träumen Müller (l., im Zweikampf mit dem ehemaligen Münchner Lucio) und dessen Bayern-Kollegen vom erstmaligen Triple in der Geschichte des Vereins. Diesen Traum zerstört in Madrid am 22. Mai 2010 Inter Mailand. Für die Italiener trifft Diego Milito doppelt. Dieses 2:0 entspricht nicht dem Spielverlauf, wonach aber anschließend niemand mehr fragt.

Die nächste Chance, den Henkelpott zu holen, bietet sich Müller und dessen Mitspielern in einem mit Historie überladenen Moment. Am 19. Mai 2012 steht die Silberware im eigenen Wohnzimmer Allianz Arena zur Abholung bereit. Die Bayern haben Chelsea im Griff, treffen aber erst in der 83. Spielminute. Müller (M.) bezwingt per Kopfballaufsetzer aus spitzem Winkel Londons Torwart Petr Cech (l.) zum 1:0.

Der Jubel kennt keine Grenzen. Müller explodiert vor Freude und Erleichterung, und mit ihm das ganze Rund, abgesehen von den Fans der Blues. Das Anrennen hat endlich Früchte getragen. Jetzt muss der knappe Vorsprung nur noch über die Zeit gebracht werden.

Das Drama aber nimmt noch in der regulären Spielzeit seinen Lauf: Chelseas Didier Drogba nutzt die gefährlichste Szene der Gäste. In der 88. Minute steht es plötzlich 1:1. Müllers Nebenmann Arjen Robben verschießt überdies in der Verlängerung in der 95. Minute einen Foulelfmeter. Es kommt zum Elfmeterschießen. In dem vergeben die Bayern abermals einen Vorsprung und verlieren es mit 3:4. Müller und alle, die es mit dem FC Bayern halten, sind fassungslos.

Doch wie schon 2001 gegen den FC Valencia, zwei Jahre nach der Final-Tragödie von 1999 gegen Manchester United, gelingt den Spielern des FC Bayern die passende Reaktion. Am 25. Mai 2013 kommt es in London, wo der FC Chelsea daheim ist, zum nächsten Treffen für die Geschichtsbücher. Ein rein deutsches Ringen um die Champions-League-Krone. Bayern gegen Dortmund.

Müller (M.) steht direkt daneben, als Robben (l.), einer der Versager aus dem "Finale dahoam" von 2012, beim Stand von 1:1 in der 89. Minute die Kugel an Borussen-Torwart Roman Weidenfeller (r.) vorbei ins Tor schiebt.

Robbens (l.) feine Einzelleistung entscheidet nicht nur dieses spannende Endspiel. Sie schreibt insofern Geschichte, als der FC Bayern München erstmals das Triple aus Meisterschaft, Pokalsieg und Triumph in der Champions League erreicht - und somit auch Müller (r.) sich damit schmücken darf.

Am 22. April 2017 erklimmt Müller eine nächste Stufe der Anerkennung. Beim 2:2 daheim gegen den 1. FSV Mainz 05, gegen den er acht Jahre zuvor seine erste Bundelsiga-Torvorlage gegeben hat, ziert erstmals die Kapitänsbinde seinen Arm.

Im gleichen Jahr, am 21. Oktober 2017, erleidet Müller im Bundesligaspiel beim Hamburger SV am neunten Spieltag einen Muskelfaserriss. Drei Minuten vor seiner Auswechslung in der 55. Minute hat er für Corentin Tolisso noch das Siegtor zum 1:0 vorgelegt. Müller verlässt für Thiago Alcantara den Platz und verpasst danach vier Bundesligabegegnungen am Stück. Es ist seine bis dahin längste Ausfallzeit. Die Bayern gewinnen aber auch ohne ihn drei der vier Partien.

Und die Bayern gewinnen mit Müller (l., im Zweikampf mit seinem Nationalmannschaftskollegen Julian Draxler) auch ein zweites Mal nach 2013 die Champions League. Coronabedingt beschließt ein Finalturnier in Lissabon die Champions-League-Saison 2019/20. Am 23. August 2020 treffen sich im Endspiel die Bayern und Paris Saint-Germain.

Dank Kingsley Comans Tor, der einst bei den Parisern ausgebildet worden ist, feiern Müller und die Bayern den ersten Champions-League-Titel nach sieben Jahren. Auf der Verliererseite steht mit Tuchel ein späterer Bayern-Trainer.

Zuvor aber arbeitet Müller (r.) mit vielen anderen Legenden zusammen. Auf Jürgen Klinsmann, der Müller ins Haifischbecken Bundesliga wirft, folgt - nach einem Kurz-Intermezzo von Jupp Heynckes, im Sommer 2009 Louis van Gaal (l.). Der Niederländer prägt den Satz: "Müller spielt immer", weil er ihn für einen "idealen Spieler für jeden Trainer" hält. Müller sagt 2022 in einem Interview mit der "Sport Bild": "Wir haben eine besondere gemeinsame Geschichte, ein großes gegenseitiges Vertrauen." Trotzdem scheitert 2015 van Gaals Versuch, Müller zu Manchester United zu locken.

Jupp Heynckes (l.) arbeitet am Saisonende 2008/09 und in der Saison 2017/18 mit Müller zusammen und schätzt dessen Vielseitigkeit. "Ich habe Thomas Müller immer in den höchsten Tönen gelobt, weil er ein Ausnahmespieler ist, nicht nur aufgrund seiner fußballerischen Qualitäten, sondern auch wegen seiner Persönlichkeit", lobt Heynckes ihn in einem "kicker"-Interview im Oktober 2023. "Thomas fällt nicht als fußballerischer Gigant auf, aber sein Gesamtbild könnte von einem großen Maler wie dem Italiener Raffael sein."

Unter Pep Guardiola, der zwischen 2013 und 2016 sportlich das Zepter beim FC Bayern schwingt, wird Müller zum Teilzeitarbeiter. Das nervt den Publikumsliebling und treibt ihn beinahe weg aus München, trotz damals gültigen Vertrags bis 2019. Obwohl Guardiola um Müllers Wert weiß, wechselt er ihn in rekordverdächtiger Anzahl aus.

"Ich bin kein Prototyp eines Pep-Spielers, wie er sie bei Barcelona hatte", gibt Müller (r.) 2022 in einem "Sport Bild"-Interview preis. Aber er sagt auch: "Was uns beide verband: Wir waren und sind extrem wissbegierig und erfolgshungrig! Pep lernte im Laufe der Zeit, meine Stärken gut einzusetzen und zu nutzen. Er half mir mit seiner Taktik und Trainingslehre nicht nur individuell besser zu werden, sondern auf dem Spielfeld in noch mehr gute Abschlusssituationen zu kommen. 2016 habe ich unter ihm sogar die meisten Treffer meiner Karriere erzielt."

Auch unter Guardiolas Nachfolger Carlo Ancelotti (r.) gilt die einstige Einsatzgarantie van Gaals für Müller nicht mehr. Im Herbst 2017 spricht Ancelotti Klartext: "Ich brauche keine Ratschläge." Der damalige Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff hat zuvor gefordert, Müller müsse "aufgrund seiner herausragenden Bedeutung für den FC Bayern immer spielen". Ancelotti kontert: "Müller ist ein wichtiger Spieler für uns. Ich kenne seine Geschichte hier im Klub. Aber wir haben viele wichtige Spieler." Müller sei Teil der Rotation: "Keiner ist gesetzt."

Im Oktober 2019 sagt Niko Kovac, der im Sommer 2018 als Cheftrainer auf Ancelotti, Sagnol und Heynckes gefolgt ist, Müller werde "mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen, wenn Not am Mann sein sollte." Diese Aussage bezeichnet Kovac kurz darauf als Fehler. Sie sei "nicht so gemeint" gewesen. Müllers Ehefrau Lisa kritisiert Kovac bereits im Jahr davor via Instagram. "Es war aus der Emotion heraus. Ich finde es im Nachhinein nicht unbedingt super. Sie liebt mich halt", relativiert Müller die Kritik seiner Gemahlin am Trainer. Der hat Müllers Wert kurz davor noch lobend daran bemessen, dass er auf dem Spielfeld "nicht greifbar" sei.

Soll Müller wegen Kovac bereits um seine Freigabe für einen Wechsel gebeten haben, so tritt Müller zwischen Herbst 2019 und Saisonende 2020/21 unter Kovac' Ex-Assistent und Nachfolger Hansi Flick wieder als verlängerter Arm des Trainers auf und genießt dessen Vertrauen. Trotzdem wird Müller nicht jünger und jeder Einsatz, den er nicht bekommt, sorgt sofort für ein mediales Echo.

Zu Julian Nagelsmann (r.) findet Müller - wie zuvor schon nicht zu Ancelotti und Kovac - keinen rechten Draht. Dies hat auch mit entzogenem Vertrauen seitens Nagelsmanns nach passablen Leistungen und angekündigten Einsatzgarantien zu tun. Es soll vor allem auch an dem Umgang mit Urgestein Müller gelegen haben, dass Nagelsmann beim FC Bayern keine zwei Saisons übersteht und am 23. März 2023 gehen muss.

Auch Thomas Tuchel (r.) setzt nicht bedingungslos auf Müller (l.), bezweifelt dessen Qualitäten aber keineswegs. Am 6. Oktober 2023 betont Tuchel im Rahmen einer Pressekonferenz, er wolle "nicht den Abgesang" auf Thomas Müller starten, "aber er hat ein gewisses Alter. Er spielt vorne drin. Er hat sich immer definiert über das Anlaufen, über das Pressing, immer über Aufwand, immer über Laufwege definiert. Er hat immer auf die Socken bekommen und, ich weiß nicht, wie viele Millionen Zweikämpfe absolviert. Das Spiel wird immer schneller."

Nachdem Tuchel (r.) Müller im Spitzenspiel gegen den VfB Stuttgart am 17. Dezember 2023 für die Startelf nominiert und Müller überzeugt, entfährt es diesem nach dem 3:0-Sieg der Bayern bei Sat.1: "Ich glaube, man hat gesehen, dass ich zumindest selber überzeugt bin, dass ich nicht nur so ein bisschen mitspiele, sondern der ganzen Truppe auch etwas geben kann." Müller, der an der Entstehung des 1:0 beteiligt ist, wird beim Stand von 1:0 ein Tor wegen vorheriger Abseitsstellung aberkannt. Der "kicker" würdigt Müllers Vorstellung gegen die Schwaben mit der Note 2,0.

Beim FC Bayern "gezogen" und auf Profitauglichkeit getrimmt aber hat Müller (r.) kein anderer Trainer nachhaltiger als Hermann Gerland (l.). Gerland verhindert, dass Müller 2009 zur TSG 1899 Hoffenheim verkauft wird. "Uli, der muss hier bleiben", erzählt Gerland am 3. April 2023 im "Doppelpass" bei Sport1, wie er den damaligen Bayern-Manager Uli Hoeneß überzeugt, Müller zu behalten. "Ich habe für meine Jungs, die ich gut fand, gekämpft", betont Gerland.

Und gut genug ist Müller auch als 34-Jähriger noch. Alleine national sprechen zwölf Meisterschaften, sechs DFB-Pokalsiege und acht Triumphe im Supercup des DFB für sich und für ihn.

Unvergessen bleibt auch Müller die Dramatik des 27. Mai 2023, als der FC Bayern München in Köln durch das Siegtor Jamal Musialas zum 2:1 in der 89. Spielminute Borussia Dortmund auf der Zielgeraden die sicher geglaubte Meisterschale entreißt. Müller führt die Mannschaft an diesem Tag als Kapitän an.

Historisch wird es für Müller wieder mal in Mainz, fünf Monate nach dem Triumph in Köln, genau am 21. Oktober 2023: Beim 3:1-Sieg der Bayern an diesem achten Spieltag ersetzt Müller zwar erst in der 88. Minute Kingsley Coman. Doch dieser Einsatz, Müllers 449. in der Bundesliga, lässt ihn seinen Teil beisteuern zum Sieg, seinem 323. in einem Bundesligaspiel. Mehr hat niemand in der 1963 begonnenen Historie der Liga aufzuweisen. Müller verweist seinen Teamkameraden Manuel Neuer mit 322 Siegen zu diesem Zeitpunkt auf Rang zwei.