- Drei gemeinsame Jahre beim FC Bayern München, zwei gemeinsame WM-Turniere, ein WM-Titel: Olaf Thon hat mit Klaus Augenthaler eine Menge erlebt.
- Zu dessen 65. Geburtstag erinnert Thon sich im exklusiven Interview mit unserer Redaktion an Highlights aus seiner gemeinsamen Zeit mit Augenthaler.
Herr
Richtig. Im größten Spiel meiner Karriere (Halbfinale im DFB-Pokal mit Schalke 04 gegen den FC Bayern 1984, Endstand 6:6 nach Verlängerung nach drei Thon-Toren, Anmerk. d. Red.) habe ich den Klaus Augenthaler schön verladen. Ich habe so getan, als würde ich mit links schießen und habe den Ball rübergezogen und Jean-Marie Pfaff aus 16 Metern keine Chance gelassen. In diesem Spiel waren wir keine Freunde. Ich war viel zu schnell für ihn.
Trotzdem: Mit wie viel Respekt vor Augenthaler wechselten Sie im Sommer 1988 aus Schalke zu den Bayern?
Ich kam nach der EM immerhin als 20-maliger Nationalspieler zum FC Bayern. Dort herrschte ein raues Regiment. Ich war schon ein paar Wochen da, als ich mich bei unserem Physiotherapeuten Fredi Binder auf die Massagebank legen wollte. Da war keiner. Also habe ich mich hingelegt und gefragt: "Fredi, kannst Du mich jetzt massieren?" "Nein", sagte Fredi, "das geht jetzt nicht. Der 'Auge' kommt gleich." Ich sagte daraufhin zu ihm: "Das ist ja schön. Aber mach' doch so lange, bis er kommt." "Nein, nein", antwortete Binder, "Du musst jetzt hier runtergehen. Die Bank muss frei sein. Und wenn 'Auge' kommt, dann geht der drauf." Augenthaler hatte diese Anweisung gegeben. Das hat er bei allen so gemacht. Da durfte keiner auf die Massagebank. Das war die beim FC Bayern geltende Hackordnung. Das habe ich sehr schnell gelernt. Obwohl ich schon Nationalspieler war, musste ich mich in der Hierarchie entsprechend hocharbeiten.
Als ihre zweite Saison in München begann, standen sie mit auf dem Platz, als Augenthaler im DFB-Pokal in Frankfurt aus etwa 50 Metern Entfernung das "Tor des Jahrzehnts" erzielt hat.
In dem Moment, als sich Klaus Augenthaler den Ball so langsam zurecht gelegt hat, habe ich ihm zugerufen: "Spiel' ab!" Ich wollte den Ball haben, denn ich habe nie damit gerechnet, dass Klaus aufs Tor schießt. Uli Stein hatte keine Chance. Ein Traumtor. Wir haben dadurch 1:0 gewonnen. Ich konnte ihm nur gratulieren und sagen: "Klaus, gut, dass Du nicht abgespielt hast." Diese präzise Technik, den Ball schön mit dem Spann zu treffen, hat ihn ausgezeichnet. Deshalb hat er viele Tore aus der Entfernung gemacht. Aber auch
1986 in Mexiko gehörten Sie gemeinsam mit Klaus Augenthaler zum Kader. Sie kamen verletzungsbedingt nicht zum Einsatz. Und auch Augenthaler spielte nur zwei Mal. Dafür büxte er gemeinsam mit Stein, Ditmar Jakobs und Dieter Hoeneß aus dem Quartier Richtung Nachtleben in Queretaro aus. Wollte Sie keiner mitnehmen?
1986 bei der WM in Mexiko war ich bei den nächtlichen Ausflügen von Klaus Augenthaler nicht dabei. Ich war mit 20 Jahren ja der Jüngste im Kader und noch Schalke-Spieler und habe mich da noch zurückgehalten. Mit mir auf dem Zimmer war Hans-Peter Briegel. Der hat auf mich aufgepasst. Aber auch er und ich waren mal noch weit nach Mitternacht unterwegs.
Auch die WM in Italien 1990 spielten Sie und Augenthaler gemeinsam. Sie endete, anders als 1986, mit dem Weltmeistertitel.
1990 war das Wichtigste, dass
Augenthaler durfte im Endspiel gegen Argentinien spielen. Sie nicht.
Bei der WM 1990 war Klaus Augenthaler gesetzt, hatte zu Recht einen Stammplatz. Ich hingegen war ein Sonderfall, war soeben noch auf den WM-Zug aufgesprungen. Ich hatte mich im November 1989 schwer verletzt, das Syndesmoseband gerissen. Ich habe erst Mitte April 1990 wieder ein erstes Spiel beim FC Bayern gemacht. Zwei Wochen später wurde der WM-Kader bekanntgegeben. Es war ein kleines Wunder, dass Franz Beckenbauer mich damals überhaupt mit nach Italien genommen hat. Deshalb war ich ihm auch nie böse, im Finale nicht gespielt zu haben - bis auf die ersten zwei Stunden nach dem Endspiel. Die brauchte ich, um klar zu werden. Aber durch das Halbfinale gegen England, den letzten Elfmeter gegen Shilton zu schießen, fühle ich mich auch als Weltmeister.
Das Finale gegen den damaligen Titelverteidiger Argentinien entschied ein Elfmeter von Andreas Brehme. Der Schiedsrichter erkannte auf Foul gegen Rudi Völler. Ein viel klareres Foul an Klaus Augenthaler zuvor im Strafraum hatte er nicht geahndet.
Das Foul an Klaus Augenthaler im WM-Finale 1990 habe ich bildlich vor mir, kürzlich noch gesehen. Diesen Elfmeter hätte man eher geben können als den an Rudi Völler. Man spricht dann immer von Konzessionsentscheidung. Wir hatten damals noch keinen Videobeweis. Gefühlt aber haben wir 90 Minuten auf ein Tor gespielt. Ich kann mich an keine nennenswerte Chance der Argentinier erinnern. Maradona wurde von unserem "Diego" abgemeldet, von Guido Buchwald, und der tolle Pass von Lothar Matthäus auf Rudi Völler war super gespielt. Und Völler brachte seinen Körper rein und wurde leicht touchiert. Man kann ihn geben, muss man nicht. Aber den an Klaus Augenthaler hätte man geben müssen.
Ein Jahr später hätten Sie mit Augenthaler den Europapokal der Landesmeister gewinnen können. Doch das hat ein Eigentor von Augenthaler verhindert.
Klaus Augenthaler hat den Ball in Belgrad (zum 2:2-Endstand im Halbfinalrückspiel bei Roter Stern Belgrad, Anmerk. d. Red.) abgefälscht. Er konnte gar nichts machen. Raimond Aumann, aber - ein guter Freund von mir - hätte den Ball halten müssen. Das weiß er auch. Wir haben in einem Hexenkessel gespielt. Trotzdem hätten wir das Spiel locker gewinnen müssen. Das Finale hätten wir höchstwahrscheinlich auch gewonnen. Dieser Titel - damals noch im Cup der Landesmeister - hätte mir gut gestanden. Aber es sollte nicht sein.
Dann hörte Augenthaler auf - und es folgte für den FC Bayern die Katastrophensaison 1991/92. Sie endete auf Rang zehn.
Als Klaus Augenthaler seine Karriere beendete, fehlte der Platzhirsch. Auch deshalb sind wir in ein Loch gefallen. Die Hierarchie musste sich neu gestalten. Stefan Effenberg war 1990 neu dazugekommen, wir spielten aber nicht gut. Heraus kam ein desaströses Jahr. Diese Zeit war nicht schön, aber sehr lehrreich. Die Presse hat uns angegriffen, und die eigenen Fans haben uns ausgebuht.
Sie hatten ein paar Jahre mit Klaus Augenthaler zusammengespielt. Plötzlich gehörte er zum Trainerstab. Wie hat sich das auf ihr Verhältnis zueinander ausgewirkt?
Man kennt sich sehr gut, wenn man drei Jahre zusammengespielt hat. Ich kann mich aber im Umgang mit Klaus Augenthaler an keine negativen Dinge erinnern. Solche Wechsel aus der Rolle des Spielers in eine neue Rolle kommen ja öfter vor. Ich hatte einen anderen Fall bei Schalke. Matthias Schipper (mit Thon in der legendären Schalker Mannschaft des DFB-Pokal-Halbfinals 1983/84, Anmerk. d. Red.) hat nach seiner aktiven Zeit umgesattelt auf Physiotherapeut. Wir hatten ein paar Jahre zusammengespielt. Und plötzlich massierte er mich. Und dann habe ich zu ihm gesagt: "Matthias, das ist aber ganz schön ungewohnt." Nicht, dass Klaus Augenthaler mich hätte massieren sollen. Mit ihm als Trainer hatte ich kein Problem. Das war eine gute Zusammenarbeit. Aber Matthias Schipper als Masseur, das war schon komisch.
Warum hat es Augenthaler beim FC Bayern München nie zum Cheftrainer gebracht?
Bei den Verantwortlichen des FC Bayern hat Klaus Augenthaler den Nerv nicht getroffen, als es um diesen Posten ging. Ich hätte es ihm gegönnt. Gerade in München aber muss fast immer jemand von außen kommen, weil der angeblich besser ist. Klaus Augenthaler aber hat seine Karriere als Trainer trotzdem gemacht.
Wie viel Kontakt haben Sie noch?
Ich sehe den Klaus ab und an, meist bei Länderspielen. Ich telefoniere aber mit Raimond Aumann oder Hansi Pflügler öfter. Ich schicke Klaus zum Geburtstag aber auf jeden Fall eine WhatsApp. Vielleicht erreiche ich ihn auch persönlich.
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