Der FC Schalke 04 pirscht sich unter Domenico Tedesco wieder nahe heran an die nationale Spitze und hat noch erhebliches Steigerungspotenzial. Vielleicht reicht es in dieser Saison noch nicht für den ganz großen Wurf, in Zukunft sollte Schalke aber wieder mit den Großen mithalten können.
Man muss schon eine Weile zurückdenken, um sich an einen FC Schalke 04 zu erinnern, der ähnlich gut in einer Bundesliga-Saison unterwegs war. Mit Trainer Jens Keller erreichten die Königsblauen zuletzt die Champions League, aber natürlich ist Keller längst Geschichte auf Schalke.
Ebenso wie seine Nachfolger Roberto di Matteo, Andre Breitenreiter und Markus Weinzierl. Allesamt angetreten, um dem Selbstverständnis des Klubs als einer der drei Topadressen Deutschlands gerecht zu werden - und alle drei krachend gescheitert.
Nun darf
Das sagenhafte 4:4 im Derby bei Borussia Dortmund gereicht jetzt schon zur Legendenbildung. Es war der emotionale, spektakuläre Ausreißer in einer ansonsten sehr nüchternen, aber kontinuierlichen Entwicklung der Mannschaft und des gesamten Vereins.
Schalke 04 im Herbst ohne Depression und ohne Trainerdiskussion, dafür mit Elan und Aufbruchsstimmung auf dem Weg in eine neue Zeit: Das hätten wohl die wenigsten in der Art erwartet.
Es gibt auch noch Probleme
Dennoch muss man bei aller Begeisterung oder zumindest Anerkennung über die bisherigen Leistungen vorsichtig sein. Schalke ist eine Mannschaft, die noch nicht besonders gut angreifen kann.
In einigen Partien war auch eine Menge Glück dabei, wie zuletzt beim Auswärtssieg in Freiburg. Und dass die Defensive doch verwundbar ist, zeigten die vier Gegentore innerhalb von nicht einmal einer halben Stunde in Dortmund.
Das sind Kinderkrankheiten oder aber wie im Fall des Offensivspiels zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung einkalkulierte Defizite. Tedesco hat einiges gewagt im Sommer, um den erforderlichen Umbruch voranzutreiben. Aber er lässt sich dabei selbst nicht treiben.
Er bleibt flexibel und trotz aller Besonnenheit auch ungeheuer kritisch im Umgang mit seinen Spielern. Diese beiden Punkte unterscheiden ihn teilweise elementar von
Bosz drückt seinen Plan nahezu stringent durch und er stellt sich permanent vor seine Spieler, auch wenn diese ihn einmal mehr auf und neben dem Platz enttäuschten. Tedesco mag nach außen auch so erscheinen.
Der 32-Jährige war nicht einmal nach dem Wahnsinn von Dortmund wirklich in Rage, sondern geradezu aufreizend aufgeräumt. Intern ist die Sprachregelung aber eine andere.
Schalke hat alle Zutaten zusammen
Diese geradlinige Art kann gerade bei einem sensiblen Konstrukt wie dem einer Fußballmannschaft auch ganz böse nach hinten losgehen, auf Schalke funktioniert die Verbindung zwischen Chef und Angestellten aber derzeit ganz wunderbar. So schaffte es Tedesco, längst vergrault geglaubte Spieler wie Franco di Santo oder Yevhen Konoplyanka wieder einzubauen. Max Meyer schulte er vom Zehner zum Sechser um und gab ihm eine neue Perspektive in der Mannschaft.
Von den Ansagen zum Saisonstart, die Gegner mit frühem Pressing dauerhaft attackieren zu wollen, hat er sich längst losgelöst. Tedesco orientiert sich total am Gegner und dessen Stärken und bastelt so die jeweiligen Schlachtpläne. Dabei fußt alles auf einer soliden Defensive, die erforderlichen Schritte im Spiel mit dem Ball wären dann die nächsten Aufgaben.
Dass er damit umgehen und schnell und unprätentiös reagieren kann, hat er im Derby bewiesen: Tedesco korrigierte seine eigene Aufstellung und hat sich selbst damit auch ein Stück weit angreifbar gemacht. Aber er hat die richtigen Schlüsse gezogen aus einer beinahe ausweglosen Situation und mit den geeigneten Maßnahmen für eins der größten Comebacks der Bundesliga-Geschichte gesorgt.
Was das nun alles zu bedeuten hat und ob der aktuelle Hype auch nachhaltig genug ist, wird sich erst zeigen müssen. Aber Schalke hat so viele Zutaten wie seit Jahren nicht mehr zusammen, um dauerhaft wieder zurückkehren zu können in den Kreis der drei, vier besten Klubs des Landes. Wachstumspotenzial gibt es schließlich auch noch genug.
Es schlummert noch Potenzial
Der Kader genügt im Vergleich zu den Bayern, Dortmund oder Leipzig noch nicht den höchsten Qualitätsstandards. Da kann Schalke deutlich zulegen. Umso positiver ist daher schon jetzt die Entwicklung einzuordnen.
Mit einer Mannschaft auf Europa-League-Niveau spielt Schalke derzeit so gut wie allenfalls die Bayern. Tedescos Ideen sind auch noch lange nicht umgesetzt und es macht den Anschein, dass der Neue auch genug Zeit bekommen wird, alle seine Ansätze zu verwirklichen.
Das ist vielleicht die größte Leistung überhaupt: Dass er sich als Novize in der Bundesliga und bei einem traditionell eher unruhigen Klub wie Schalke in wenigen Wochen so viel Kredit und Zeit erarbeitet hat. „Wir versuchen, uns hier über Aufgaben zu motivieren. Und da finden wir immer wieder etwas Neues“, erzählte er vor dem Derby.
So ruhig es momentan auf Schalke auch ist: Die Sehnsucht nach dem großen Fußball wird sich angesichts der Entwicklung nicht mehr lange verbergen lassen. Die Fans gehen den unaufgeregten Stil bisher toll mit, aber irgendwann kann im besten Fall auch ein Punkt erreicht werden, an dem die großen Schlagworte wieder ins Spiel kommen: Champions League, FC Bayern.
Derzeit sind die Münchener noch ein ganzes Stück entfernt, trotz aller Euphorie wird Schalke über 34 Spieltage in dieser Saison wohl kein ernsthafter Titelanwärter mehr sein.
Aber die Bayern verschlafen gerade schon wieder einmal den Umbruch, sind personell so aufgestellt wie zu seligen Triple-Zeiten vor vier Jahren. Innerhalb der Mannschaft wird sich einiges tun müssen.
Schon in dieser Saison sind erste Risse zu erkennen, die totale Dominanz der letzten Jahre bröckelt. Eigentlich hatte man vermutet, dass der BVB so etwas wie einen Meisterschaftskampf anzetteln könnte. Daraus wird aber wohl nichts.
Vielleicht kann Schalke ja zumindest ein bisschen in die Bresche springen. Die Chancen auf die Qualifikation zur Champions League sind in jedem Fall gegeben. Und das wäre nach vier Jahren Abstinenz doch schon ein guter Anfang.
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