Dem Hamburger SV droht im "Endspiel" gegen den VfL Wolfsburg die Relegation. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt ein Insider, wie sehr ein Absturz in die 2. Liga den Klub treffen würde.
Von der Verpackerin in der Merchandising-Abteilung bis zum Vorstand sei die Anspannung spürbar.
Heribert Bruchhagen versucht, vor dem Showdown gegen den VfL Wolfsburg an diesem Samstag letzte Emotionen zu beleben.
Der Klubchef weiß: Ein Abstieg aus der Bundesliga würde den HSV um Jahre zurückwerfen. Entschuldung? Nur noch ein Hirngespinst. Versöhnung mit den Fans? Im Gegenteil. Kontinuität? Undenkbar.
Die Relegation droht. Und die Folgen eines Absturzes wären drastisch, dabei hat der Klub in der Stadt schon jetzt viel Kredit verspielt.
Hamburg hängt am HSV
"Der Zusammenhalt ist noch da, aber nicht mehr so ausgeprägt wie früher", schildert Sportjournalist Frank Heike im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das 1:1 beim FC Schalke hat neue Hoffnung geweckt. Dennoch gehen die meisten von der Relegation aus."
Der Freie Journalist wohnt im Hamburger Westen, begleitet den HSV seit Jahren für verschiedene Publikationen. Er hat Zwischenhochs miterlebt, zwei Relegationen, enttäuschte Erwartungen gesehen und doch immer wieder erfahren dürfen, wie sehr die Hamburger an ihrem HSV hängen.
Tiefer Einschnitt in Selbstwahrnehmung
Doch in dieser Saison sei etwas anders. Der Hamburger Sportverein sei nicht mehr erstes Gesprächsthema in Cafés und Kneipen, zu sehr sei ein Gewöhnungseffekt eingetreten, schildert er.
Gewöhnungsbedürftig wären indes Auswärtsfahrten nach Sandhausen, Heidenheim oder Duisburg.
Nicht zuletzt wäre ein Abstieg gleichbedeutend mit einem tiefen Schnitt in der eigenen Selbstwahrnehmung. Deutscher Meister, Europapokalsieger, Zweitligist?
HSV fährt eigene Ansprüche zurück
Der HSV hat seine eigenen Ansprüche schon längst zurückgefahren. Coach Markus Gisdol wertete ein Unentschieden gegen Mainz 05 als Erfolg.
Sportchef Jens Todt vermied scharfe Kritik, selbst nach dem desaströsen 0:4 beim FC Augsburg.
"Du kannst sie ja nicht mehr nur attackieren. Es gab Suspendierungen, die Kühne-Millionen wurden angezapft, die Mannschaft fuhr in ein Trainingslager, Gisdol hat wirklich alles versucht", erzählt Heike. "Er war kritisch, er war sanft, hat taktisch umgestellt."
Nichts hat wirklich geholfen. Immerhin gab es jüngst den Punkt gegen Königsblau.
Umbruch beim HSV wäre unvermeidlich
Dass ausgerechnet jenes Personal, das den Abstieg verschulden könnte, vereinzelt offenbar bereits neue Optionen neben dem HSV auslotet, sagt viel.Über die Spieler, aber auch die Zukunft des HSV.
"Was ich von Spielerberatern höre, sind viele schon in der neuen Saison und beschäftigen sich gedanklich damit, wo es für ihre Klienten weitergehen könnte", schildert der 47-Jährige.
Ersatztorwart Christian Mathenia zum Beispiel könne bleiben, analysiert Heike, oder etwa Kapitän Gotoku Sakai, Spieler eben, mit einer hohen Verbundenheit.
"Wenn man nun aber in die Offensive schaut, braucht man viel Fantasie. Ob ein Bobby Wood bleibt? Ein Filip Kostic? Hier kommt alles auf Kühne an", sagt er.
Fakt ist: Ein großangelegter Umbruch im Kader wäre unvermeidlich.
Halbierter Etat beim HSV?
Bei einem Abstieg würde sich der Lizenzspieler-Etat verkleinert fast auf die Hälfte reduzieren, erklärte Bruchhagen jüngst bei "Sport1".
Bei 50 Millionen liegt der Etat aktuell, "du müsstest aber auch mit 25, 30 Millionen Euro eine gute Zweitligamannschaft zusammenbekommen. Ich halte es durchaus für möglich, dass der HSV mit einer runderneuerten Mannschaft und einem neuen Trainer durch die 2. Liga surfen würde", meint Heike.
"Ich glaube nicht an Untergangsszenarien. Sie würden nicht pleite gehen."
Spieler wie Regisseur Lewis Holtby, der 3,5 Millionen Euro im Jahr kassieren soll, müssten jedoch deutliche Abstriche machen – oder gehen.
Klaus-Michael Kühne als große Unbekannte
Die große Unbekannte sei in dieser Gemengelage eben Investor Klaus-Michael Kühne.
Der Milliardär sicherte dem Verein jüngst die Lizenz, als er seine Anteile an der Fußball AG von elf auf 17 Prozent erhöhte. Laut Satzung darf die Fußball AG insgesamt 24,9 Prozent veräußern.
Ein finanzielles Desaster, gar eine gescheiterte Lizenzierung mangels liquiden Mitteln ist damit abgewendet. Aber wird Kühne auch weiter Geld für neue Spieler zur Verfügung stellen?
Hoher Verlust bei TV-Geldern
Und - woher anderes Geld nehmen? Da die Deutsche Fußball Liga in diesem Sommer die Gelder aus dem neuen TV-Rahmenvertrag ausschüttet, wäre ein Abstieg umso schwerwiegender.
Dem HSV stünden laut "Kicker" in der Bundesliga 39,81 Millionen Euro zu, in der 2. Liga wären es 18 Millionen Euro weniger.
"Der Klub würde das Mehr an Fernsehgeld nehmen, um Schulden abzubauen. Das könntest du in der 2. Liga nicht machen", erzählt Heike.
Dennoch könne mancher in der Hansestadt einem möglichen Abstieg auch was Positives abgewinnen.
"Es wäre eine Befreiung, dass man das Gerede von der Raute und vom Bundesliga-Dino nicht mehr hätte. Dieses Alleinstellungsmerkmal hat nur Druck verursacht", gibt Heike Einblick in die Hamburger Seele.
Doch er warnt: Sollte der HSV runtergehen und den Wiederaufstieg verpassen, wäre es das wohl.
Allein schon deswegen hat der Showdown gegen Wolfsburg historische Ausmaße.
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