Nicht mal der bestens vernetzte Lothar Matthäus hat Jürgen Klinsmanns Rücktritt als Cheftrainer von Hertha BSC kommen sehen. Die Meldung habe ihn "heute morgen umgehauen", gibt der Sky-Experte zu. Wie geht es jetzt weiter in Berlin?

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Jürgen Klinsmann ist nach nur neun Bundesligaspielen und einem Pokalspiel auf offenbar eigenen Wunsch nicht mehr Cheftrainer von Hertha BSC Berlin.

Der Rückzug des früheren Bundestrainers beim abstiegsbedrohten Hauptstadtklub schlägt 13 Spieltage vor Saisonende hohe Wellen und stürzt die Hertha in einen Zustand, der chaotisch anmutet.

Jürgen Klinsmann, sagte dessen langjähriger Mitspieler Lothar Matthäus in seiner Funktion als Experte des Pay-TV-Senders Sky, sei "ein Machtmensch. Er spielt alles oder nichts." Doch schon in den USA sei er als Nationaltrainer an seinem hohen Anspruch gescheitert und habe sich mit dem Verband überworfen, so Matthäus.

Hertha BSC: Klinsmann fehlte das Vertrauen

Klinsmann beklagte in dem Facebook-Post, in dem er seinen Rücktritt als Cheftrainer bekannt gab, das fehlende "Vertrauen der handelnden Personen. Gerade im Abstiegskampf" aber seien "Einheit, Zusammenhalt und Konzentration auf das Wesentliche die wichtigsten Elemente. Sind die nicht garantiert, kann ich mein Potenzial als Trainer nicht ausschöpfen und kann meiner Verantwortung somit auch nicht gerecht werden." Nun wolle er sich auf seine Aufgabe als Aufsichtsratsmitglied zurückziehen.

Eine Zukunft als Trainer sieht zumindest Matthäus kaum. Aus Sicht des Rekordnationalspielers ist "der Name Klinsmann" bei deutschen Klubs "wahrscheinlich eine Schublade tiefer gerutscht." Aber: "Jürgen ist konsequent, das war er schon immer, und das hat er jetzt wieder mal gezeigt."

Pikanterweise sagte Investor Lars Windhorst, als dessen Abgesandter Klinsmann im Aufsichtsgremium sitzt, der "Bild"-Zeitung, dass er am Montag von dem Entschluss erfahren habe - und damit deutlich vor den Klub-Verantwortlichen.

Wie die Spieler wurde auch Manager Michael Preetz vor dem Training am Dienstagvormittag informiert. "Insbesondere nach der vertrauensvollen Zusammenarbeit hinsichtlich der Personalentscheidungen in der für Hertha BSC intensiven Wintertransferperiode gab es dafür keinerlei Anzeichen", sagte der Geschäftsführer.

Jürgen Klinsmann durfte im Winter groß einkaufen

Klinsmann bekam nach seinem Amtsantritt am 27. November viele Wünsche erfüllt: Der Trainingsstart im Winter wurde vorverlegt, das Vorbereitungscamp in den USA verkürzt. Mit dem Geld von Windhorst ging es auf große Einkaufstour, für 80 Millionen Euro wurden vier neue Spieler unter Vertrag genommen.

Immer wieder wurde allerdings offenbar, dass es zwei Denkrichtungen im Klub gab. Zwar schloss sich Preetz den visionären Hoffnungen einer baldigen Zukunft in Europapokal und später Champions League an, betonte aber, dass es auch seine Aufgabe sei, mal "auf der Bremse" zu stehen.

Noch am Montagabend hatte Klinsmann zuerst den Fans in einem Videochat die schwierige sportliche Lage beim Tabellen-14. erklärt und später bei der Chefredaktionskonferenz der Deutschen Presse-Agentur eine knappe Stunde lang Fragen beantwortet.

Im Restaurant "The Reed" versprach Klinsmann mindestens Platz 15 am Saisonende und warb für ein neues Stadion von Hertha.

Wie Klinsmann nach seinem Rückzug vom Spielfeldrand nun seine Funktion als Aufpasser von Preetz & Co. im Dienste von Geldgeber Windhorst ausüben wird, bleibt ebenso spannend wie die Frage, wer sein Nachfolger wird.

Niko Kovac hat schon abgesagt

Zumindest in der Partie beim Schlusslicht SC Paderborn am Samstag wird nach Vereinsangaben voraussichtlich sein Assistent Alexander Nouri verantwortlich sein. Niko Kovac steht nach dpa-Informationen nicht zur Verfügung.

Ende November hatte Klinsmann vom gescheiterten Covic übernommen. Die Berliner zeigten daraufhin defensiv orientierten Fußball und stabilisierten sich ein wenig.

"Ich dachte, er ist von den USA rübergekommen nach Berlin, weil er weiß, dass da was bei der Hertha dahintersteckt", äußerte sich Herthas langjähriger Coach Jürgen Röber. "Finanziell, meine ich. Sonst hätte er das doch nicht gemacht. Ich finde das total schade. Hertha und Klinsmann, das passte irgendwie. Das, was er sagte, löste in Berlin einen kleinen Hype aus. Da geht jetzt die Post ab, dachte ich."

Stattdessen: Wie zu Klinsmanns Amtsantritt steckt Hertha weiter im Abstiegskampf, auch wenn es sechs Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz sind. Im DFB-Pokal-Achtelfinale scheiterten die Berliner vergangene Woche allerdings beim FC Schalke 04 und verloren auch in der Liga nach schwacher Leistung mit 1:3 gegen den FSV Mainz 05.

"Ich bin fest davon überzeugt, dass die Hertha das Ziel – den Klassenverbleib - schaffen wird", schrieb Klinsmann auf Facebook. Mehr als zwei Trainer in einer Saison hatte Hertha zuletzt in der Spielzeit 2011/12 - am Ende stand der bittere Abstieg mit Chefcoach Otto Rehhagel.

Marko Grujic: "Wir sind alle durcheinander"

Klinsmanns Spieler zeigten sich ebenso wie die Fans beim Training geschockt. "Es ist alles zu frisch", sagte Nationalspieler Niklas Stark beim Gang in die Kabine. "Es sind seltsame Nachrichten, wir sind alle durcheinander", sagte Mittelfeldspieler Marko Grujic.

Vor der Trainingseinheit, die der bisherige Co-Trainer Nouri leitete, habe Klinsmann sein Team über die Entscheidung informiert. "Wir dachten, es geht um die Analyse des letzten Spiels. Und dann hat er es uns gesagt, dass er nicht länger Trainer ist", sagte Grujic. Die Bundesliga erlebt damit in der laufenden Saison den sechsten Trainerwechsel:

  • am 3. November 2019 beim FC Bayern München: von Niko Kovac zu Hansi Flick
  • am 9. November 2019 beim 1. FC Köln: von Achim Beierlorzer zu Markus Gisdol
  • am 10. November 2019 beim 1. FSV Mainz 05: von Sandro Schwarz zu Achim Beierlorzer
  • am 27. November 2019 bei Hertha BSC: von Ante Covic zu Jürgen Klinsmann
  • am 29. Januar 2020 bei Fortuna Düsseldorf: von Friedhelm Funkel zu Uwe Rösler
  • am 11. Februar 2020 bei Hertha BSC: von Jürgen Klinsmann zu Alexander Nouri

(hau/dpa)

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