Die Bundesliga steht in der Coronavirus-Pandemie vor dem Restart - nach wochenlangem Shutdown. Was die Trainer bei der Belastung ihrer Spieler jetzt beachten müssen. Und warum die Corona-Pause für Profis wie Super-Stürmer Robert Lewandowski und BVB-Star Marco Reus auch von Vorteil war. Ein Interview mit Ex-Bayern-Physiotherapeut Oliver Schmidtlein.
Die Bundesliga wagt am Samstag, den 16. Mai, den Restart, nachdem die Fußballer wochenlang kein Spiel bestritten haben. Was sagt der Physiotherapeut dazu?
Oliver Schmidtlein: Dass nicht mehr Fußball gespielt wurde, ist nicht das vorrangige Problem, sondern dass nicht mehr Fußball trainiert wurde. Der Körper passt sich an Bedingungen an, denen er ausgesetzt wird. Eine kurze Pause von zwei, drei Wochen wäre kein Problem gewesen. Aber die Situation ist eine andere. Unser Körper weiß nicht, wie lange eine Saison dauert und wie viele Spiele er machen muss. Er erfährt Reize, reagiert darauf und passt sich an. In den letzten acht Wochen haben sich die Körper der Profifußballer neuen Bedingungen angepasst. Fit und gut vorbereitet sein sind keine deckungsgleichen Eigenschaften.
Bundesliga-Profis nach der Corona-Pause: Wie bei einem Lockdown
Auch die Körper hatten einen Lockdown?
Wir haben von Online-Trainingseinheiten gehört, von Home-Training. Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer konnten sie in dieser Zeit sicher gut erhalten. Was nicht stattgefunden hat: spezifische Anpassung des Bewegungsapparates und des Nervensystems an Fußball. Wir stellen uns vor: Sie haben in einem Zimmer ein Laufband, ein paar Kraftgeräte, ein paar Gummibänder und eine Gymnastik-Matte. So können Bundesliga-Fußballer ihre Körper fit halten.
Aber?
Fußball verlangt die Fähigkeit, reagieren zu können - auf den Ball, auf den Gegner, auf Spielsituationen. Auf unvorhersehbare Dinge, die auf dem Fußballplatz passieren. Was in einem Fitnessraum auf einem Trainingsfahrrad stattfindet, hat mit der Belastung im Fußball nur sehr wenig zu tun.
Ex-Bayern-Physio warnt vor "Verletzungsmisere"
Weil die Belastung der Spieler nicht gemessen werden konnte?
Es gibt das Tracking, über das die Stoffwechselbelastung und die mechanische Belastung der Spieler in Trainingseinheiten ermittelt wird. Das sind diese kleinen, elektronischen Geräte am Körper, die einem BH ähneln. Dabei werden Beschleunigungswerte und Herzfrequenzen gespeichert. Datenspezialisten werten das nach jeder Trainingseinheit aus und helfen deren Intensität zu beurteilen. Daraus ergibt sich die Trainingssteuerung. Leistungsdiagnostik bringt jetzt nicht viel. Jetzt zählt es, möglichst jede Trainingseinheit mit Ball und Mitspielern zu erleben. Um nicht in eine Verletzungsmisere hineinzulaufen, wird jetzt viel Fußball trainiert. Die Spieler brauchen spielähnliche Situationen.
Weil das Verletzungsrisiko ansonsten hoch ist?
Der komplette Shutdown des Trainings war etwa sechs Wochen lang. Ein Beispiel: Wenn ich wochenlang auf dem Laufband trainiere und dann ein Mal Squash spielen gehe, habe ich hinterher trotzdem einen höllischen Muskelkater. Das Gewebe ist die mechanische Belastung nicht gewohnt. Das ist, was jetzt im Training nachgeholt wird: hohe Geschwindigkeit, Sprints mit Richtungswechseln. Das passiert im Fußball ständig: Eine Aktion wird gestartet, wieder abgebrochen, wieder gestartet, wieder abgebrochen. Um das zu simulieren, kann man im Training zwar Hütchen aufstellen und den Spieler in unterschiedlichen Winkeln laufen lassen - im Spiel kommt aber die Reaktion auf Mitspieler, Gegner und Ball dazu. Wie hoch das Verletzungsrisiko ist, lässt sich schwer abschätzen. So eine Situation gab es noch nie.
Ein Fußballer wird "auch mal reingeworfen"
Welche Rolle spielt die Psyche? Die Bundesliga-Fußballer müssen in Quarantäne.
Ein ganz wichtiger Punkt. Fußballer sind auch Menschen. Sie brauchen genauso Ablenkung, Zuwendung und Ruhe. Sie sind vielleicht genauso genervt von der Situation wie Sie und ich. Die Trainer müssen sich Maßnahmen einfallen lassen, um die Spieler bei Laune zu halten. Im Gegensatz zum Trainingslager werden Freizeitaktivitäten aber diesmal nicht möglich sein. Das ist eine Herausforderung.
Lesen Sie auch: Alle Entwicklungen rund um das Coronavirus in unserem Live-Blog
Haben Spieler, die verletzt waren, einen Vorteil, weil sie durch die Corona-Pause mehr Zeit hatten? Prominente Beispiele sind
Physiotherapie und Massagen haben vermutlich in geringerem Umfang stattgefunden. Ein Vorteil für Verletzte könnte gewesen sein, dass weniger Druck im Kessel war, was die schnelle Rückkehr angeht. Beim Comeback eines Profi-Fußballers nach einer Verletzung werden oft Kompromisse gemacht. Als Reha-Mann wünscht man sich, dass Spieler im besten Fall noch fitter zurückkommen. In der Praxis ist das aber oft nicht so. Da wird ein Spieler auch mal reingeworfen, weil die Situation des Klubs, der Nationalmannschaft oder des Spielers das erfordert. Wenn er, wie zum Beispiel Lewandowski, ein Spielentscheider ist. Oder wenn ein Vertrag ausläuft, und der Spieler sich präsentieren will. Sie alle waren in der Reha während des Shutdowns nicht diesem Zeitdruck ausgesetzt. Auch, weil die Fußball-EM früh vom Tisch war.
Weniger Druck für verletzte Spieler
Sie sprechen aus Erfahrung?
Ich habe eine Reha-Praxis, in die der eine oder andere Profi aus der Bundesliga oder dem Ausland kommt. Ich habe bei ihnen gemerkt, dass viel weniger Zeitdruck und Stress da waren. Wir hatten mehr Zeit für Maßnahmen. In der Vergangenheit konnte man beobachten, dass Spieler die Reha kurz vor einem großen Turnier bei der Nationalmannschaft beendet haben, und sich hinterher monatelang mit Blessuren gequält haben. Ich denke da an Sami Khedira bei der WM 2014, der nach seinem Kreuzbandriss zwar zum Einsatz kam, aber nicht in der Form, wie man ihn kannte.
Oder an Ex-Bayern-Star Bastian Schweinsteiger bei der EM 2016?
Genau. Und danach hatte er ein halbes Jahr lang nur noch Probleme.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.