Das Spiel zwischen Zwickau und Essen in der Dritten Liga wird zu Recht abgebrochen, weil ein Sponsor der Hausherren dem Schiedsrichter Bier ins Gesicht schüttet. Das Hamburger Stadtduell in der Zweiten Liga bringt der Referee gut über die Runden. Im Oberhaus haben die Unparteiischen unterdessen erneut einen recht ruhigen Spieltag.
Zum Rückrundenbeginn in den Amateurligen Ende März hat der Deutsche Fußball-Bund das "Jahr der Schiris" ausgerufen. Diese Initiative, ein sogenanntes Leuchtturmprojekt des DFB, hat sich zum Ziel gesetzt, den bedenklichen Schwund bei den Schiedsrichterzahlen aufzuhalten und den Trend umzukehren.
Geplant sind dazu diverse Maßnahmen und Aktionen, gleich zu Beginn des Projekts leiteten die Bundesligaprofis
Es geht beim "Jahr der Schiris" nicht zuletzt darum, den Respekt und die Wertschätzung für die Unparteiischen deutlich zu verbessern. Denn genau das vermissen sehr viele Referees am meisten, wie Umfragen und Studien deutlich zeigen.
Hinzu kommt, dass die Zahl der Angriffe auf sie im Amateurbereich zuletzt gestiegen ist, knapp 2.400 wurden alleine in der Saison 2021/22 von ihnen in den Spielberichten vermerkt. Die Dunkelziffer dürfte sogar noch weitaus höher sein, denn längst nicht jeder Vorfall wird auch gemeldet. Auch rund die Hälfte der 911 Spielabbrüche in der vergangenen Spielzeit erfolgte, weil der Unparteiische attackiert wurde.
Bier ins Gesicht des Referees: Spielabbruch in Zwickau
Dass die Kampagne des DFB – leider – sehr notwendig ist, zeigte sich am Sonntag auch im Profifußball: Als Schiedsrichter Nicolas Winter in der Halbzeitpause der Drittligapartie zwischen dem FSV Zwickau und Rot-Weiss Essen mit seinen Assistenten auf dem Weg in die Kabine war, schüttete ihm ein Zuschauer den Inhalt seines Bierbechers mitten ins Gesicht – mit voller Absicht, wie Fernsehbilder zeigen.
Nach Angaben von Frank Fischer, Sprecher des FSV-Vorstandes, handelt es sich beim Angreifer um einen Sponsor des Vereins. Ein so befremdlicher wie erschreckender Vorfall, aus dem Referee Winter die einzig richtige Konsequenz zog: Er brach das Spiel beim Stand von 1:1 ab.
Auch Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich bezeichnete diese Maßnahme auf Twitter als "alternativlos". Denn eine rote Linie ist nicht erst überschritten, wenn der Unparteiische oder einer seiner Assistenten von einem Bierbecher getroffen wird, sondern bereits, wenn jemand dessen Inhalt vorsätzlich und gezielt ins Gesicht des Unparteiischen kippt.
Ein solcher Angriff, der auch eine Demütigung darstellt, kann nur das vorzeitige Spielende zur Folge haben. Am grünen Tisch dürfte nun Essen die Punkte zugesprochen bekommen – während Zwickau noch größere Mühe haben wird, dem Abstieg zu entgehen. Weil ein eigener Sponsor meinte, unbedingt den Schiedsrichter attackieren zu müssen.
Komplizierte Strafstoßentscheidung in Berlin
In der Bundesliga hingegen verlief der Spieltag für die Unparteiischen wie so oft in den vergangenen Wochen ohne größere Aufreger und Diskussionen. Sogar der kurzfristige Ausfall von Schiedsrichter Benjamin Brand vor der Begegnung zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und dem 1. FC Köln (1:3) wegen einer allergischen Reaktion ließ sich geräuschlos kompensieren.
Zweitliga-Referee Robin Braun aus Wuppertal, ursprünglich als Vierter Offizieller vorgesehen, sprang als Spielleiter ein und brachte die Partie bei seiner Premiere im Oberhaus gut und unaufgeregt über die Bühne. Dominik Schaal übernahm die Position des Vierten Offiziellen.
Die regeltechnisch spannendste Szene wiederum ereignete sich im Spiel Hertha BSC – Werder Bremen (2:4), auch wenn sie nicht spielentscheidend war. In der 76. Minute spielte der Berliner Suat Serdar den Ball bei einem Angriff der Hausherren wenige Meter vor dem Strafraum nach außen auf Jessic Ngankam.
Bei der Ballabgabe befand sich Serdars Mitspieler Florian Niederlechner an der Strafraumgrenze im Abseits. Er kreuzte den Weg des Bremers Miloš Veljković, dabei kam es zu einem leichten Körperkontakt. Der Ball lief aber an diesen beiden vorbei und gelangte zu Ngankam. Dieser zog in den Strafraum, dort brachte ihn Veljković regelwidrig zu Fall.
Schiedsrichter Robert Schröder entschied auf Strafstoß, VAR Guido Winkmann empfahl ihm daraufhin ein On-Field-Review. Nicht wegen des Zweikampfs zwischen Ngankam und Veljković, denn das Foul war eindeutig.
Auch nicht, um zu beurteilen, ob Niederlechner sich vorher unfair gegen Veljković eingesetzt hatte – selbst wenn das auf der Anzeigetafel im Berliner Olympiastadion fälschlich als Grund für die Überprüfung eingeblendet wurde. Doch ein Foulspiel lag eindeutig nicht vor.
Es ging vielmehr um die Frage, ob Niederlechners Abseitsstellung strafbar war, obwohl er den Ball nicht gespielt und auch keinen Zweikampf um ihn geführt hatte.
Strafbares Abseits von Niederlechner?
Im Regelwerk heißt es: "Wenn sich ein Spieler, der sich aus einer Abseitsstellung bewegt oder in einer Abseitsstellung befindet, im Laufweg eines Gegners befindet und die Bewegung des Gegners zum Ball beeinträchtigt, ist dies ein Abseitsvergehen, wenn es die Möglichkeit des Gegners, den Ball zu spielen oder einen Zweikampf um den Ball zu führen, beeinflusst."
Ohne Zweifel befand sich Niederlechner im Abseits und zudem im Laufweg von Veljković. Doch beeinflusste er auch die Möglichkeit des Bremers, den Ball zu spielen oder einen Zweikampf zu führen? Nur dann wäre die Abseitsposition strafbar gewesen.
Der Regeltext lässt einen Interpretationsspielraum, ob mit "Möglichkeit" nur die grundsätzliche Chance in dieser Situation gemeint ist oder auch die Qualität der Möglichkeit. Veljković führte ja letztlich einen Zweikampf um den Ball mit Ngankam, diese Chance wurde ihm von Niederlechner also nicht genommen.
Wäre er ohne den Kontakt beim Kreuzen aber besser in dieses Duell gekommen? Darüber kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Veljković orientierte sich jedenfalls erst nach dem Kreuzen zu Ngankam – als er mit Verzögerung bemerkte, dass der Berliner von keinem Bremer angegriffen wird. Es sah nicht so aus, dass Niederlechner diese Entscheidungsfindung beeinflusst hatte.
Referee Schröder, der sich die Szene gemeinsam mit seinem Assistenten Norbert Grudzinski eingehend am Monitor betrachtet hatte, blieb dann auch bei seiner Strafstoßentscheidung – und das war allemal vertretbar.
Ein regeltechnisch komplexer Fall, der angesichts des deutlichen Spielstandes – Werder führte zu diesem Zeitpunkt mit 4:1 – und des Spielausgangs nur wenig Beachtung fand. Bei einem knapperen Ergebnis hätte es mit Sicherheit mehr Fragen zu dieser kniffligen Szene gegeben, die der Unparteiische jedoch gut gelöst hat.
Hamburger Stadtduell: Viel Arbeit für den Unparteiischen
Sein Kollege Sven Jablonski hatte unterdessen in der Zweiten Liga das rasante und torreiche Hamburger Stadtduell zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli (4:3) zu leiten – und er traf dabei in den spielrelevanten Situationen korrekte, oder zumindest vertretbare Entscheidungen.
So wie in der 17. Minute – da stand es noch 0:0 –, als der ballführende Paulianer Oladapo Afolayan seinen Gegenspieler Miro Muheim auf dem Weg zum Tor mit dem ausgestreckten Arm auf Distanz halten wollte und ihn dabei kurz am Hals traf.
Auch wenn Muheim mit mehr Theatralik zu Boden ging als nötig, war es doch nachvollziehbar, dass Referee Jablonski diesen Einsatz als Foulspiel bewertete und das Spiel schon unterbrach, bevor Afolayan den Ball ins Tor schoss.
Dass der Unparteiische nach 43 Minuten dem HSV-Verteidiger Sebastian Schonlau nach dessen Foulspiel an Lukas Daschner nur die Gelbe Karte zeigte, war ebenfalls in Ordnung: Der enteilende Daschner hatte sich den Ball weit vorgelegt, ohne das Foul hätte er ihn nur an der äußeren Strafraumgrenze erlaufen und nicht selbst in aussichtsreicher Position abschließen können, sondern erst in die Strafraummitte spielen müssen.
Dort war Manolis Saliakas mitgelaufen, dazwischen befand sich noch Muheim. In der Regelauslegung war das eine Unwägbarkeit zu viel, um von einer offensichtlichen Torchance auszugehen. Hätte Daschner jedoch selbst in aussichtsreicher Position abschließen können, dann wäre eine Rote Karte fällig gewesen.
Auf der anderen Seite hatte der FC St. Pauli durchaus Glück, dass Leart Paqarada für seinen Tritt mit den Stollen auf die Achillessehne von Bakery Jatta bei dessen Torschuss zum 2:1 in der 48. Minute nur die Gelbe Karte bekam und nicht die Rote. Sowohl vom Trefferbild als auch von der Intensität wäre ein Feldverweis angemessen gewesen, doch Jablonski bewertete den Tritt nur als rücksichtslos und nicht als brutal.
Das war zumindest diskutabel, und Jatta musste wenige Minuten später auch angeschlagen ausgewechselt werden. Insgesamt aber hatte Sven Jablonski diese aufregende und für ihn anspruchsvolle Partie stets unter Kontrolle. Auch in dieser Begegnung stand der Schiedsrichter also nicht im Mittelpunkt. Das ist fast immer ein gutes Zeichen.
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