Bei den Spielen in Dortmund und Stuttgart erkennt man sehr gut, dass auch die Schiedsrichter eine Taktik verfolgen – genau wie die Mannschaften. Mit unterschiedlichem Erfolg.
Ruhig wie selten in dieser Saison war es am Wochenende um die Schiedsrichter und ihre Assistenten. Vor dem abschließenden Montagsspiel zwischen Werder Bremen und dem 1. FC Köln gab es an diesem 26. Spieltag keinen Platzverweis und keine Änderung einer Entscheidung mithilfe des Videobeweises.
Zudem wurden nur zwei Elfmeter verhängt – beide für den FC Bayern München kurz vor dem Ende der längst entschiedenen Partie gegen einen hoffnungslos unterlegenen Hamburger SV (6:0). Die Unparteiischen waren selbst in den engen und umkämpften Begegnungen nur selten ein Thema.
Der im August 2014 verstorbene frühere Bundesliga-Referee Wolf-Dieter Ahlenfelder sagte einmal, der Schiedsrichter müsse gewissermaßen ein Designer des Spiels sein. Gemeint war damit: Er soll nicht stur nach den Buchstaben des Gesetzes pfeifen, nicht immer nur reagieren und nicht bloß humorlos Maßnahmen vollstrecken.
Sondern vielmehr seine Persönlichkeit einsetzen, Spielräume bei der Regelauslegung nutzen, Konflikte möglichst geschickt eindämmen – und dabei immer konsequent sein.
Polizist, Staatsanwalt und Richter in einer Person
Der Unparteiische ist gewissermaßen Polizist, Staatsanwalt und Richter in Personalunion. Auf dem Fußballplatz gibt es also keine Gewaltenteilung. Umso wichtiger für den Schiedsrichter ist angesichts seiner immensen Machtfülle die Vermittlung.
Ahlenfelder, der zwischen 1975 und 1988 in der höchsten deutschen Spielklasse pfiff, war seinerzeit auch deshalb so anerkannt und beliebt, weil ihm diese Vermittlung besser gelang als so manchen seiner Kollegen.
Von diesen wurden nicht wenige aufgrund ihres damals zuweilen recht herrischen und unnahbaren Auftretens gerne als „Halbgötter in Schwarz“ bezeichnet. Gewiss, der Fußball hat sich seitdem extrem verändert und professionalisiert . Mit kumpelhaftem Auftreten scheitert man als Unparteiischer heute genauso wie mit autoritärem Gebaren.
Richtig bleibt jedoch, dass die Schiedsrichter gestalterische Qualitäten haben und genau erkennen müssen, welche Art der Leitung ein Spiel braucht, welche Schiedsrichter-Taktik vonnöten ist.
Erste Verwarnung schon nach zwei Minuten
So wie Deniz Aytekin in der Partie zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt (3:2).
Als Unparteiischer ist man normalerweise bestrebt, vor der ersten Gelben Karte der Begegnung – der immer eine besondere Bedeutung zukommt, weil sie richtungweisend ist – nach Möglichkeit erst einmal das disziplinarische Mittel der Ermahnung einzusetzen.
Denn bei einem zu frühzeitigen Einsatz der Verwarnung besteht die Gefahr, dass der Schiedsrichter unter Zugzwang gerät und eine Kartenflut produziert, bei der die Sanktionen ihre Wirkung verfehlen.
Doch manchmal gibt es keine Gelegenheit zur Ermahnung. Und dann darf der Referee die Konsequenz nicht scheuen. So wie beim heftigen Foul von Marco Russ gegen Marco Reus nach nur zwei Minuten.
Aytekin dachte folglich auch keine Sekunde lang nach und hielt dem Frankfurter den gelben Karton vor die Nase, nicht ohne ihm diese Maßnahme ausdrücklich zu erklären. Das zeigte Wirkung für die nächsten 25 Minuten.
Fünf Gelbe Karten bis zur Pause, danach nur noch eine
Dann bildete die offene Sohle des Dortmunders Mahmoud Dahoud gegen Russ den Auftakt zu einer Phase von zehn Minuten, in der es auf beiden Seiten zu mehreren schmerzhaften Tritten auf die Füße oder Fußgelenke von Gegenspielern kam.
Der Unparteiische zückte in diesem Zeitraum nicht weniger als viermal die Gelbe Karte, zweimal auf jeder Seite. Fünf Verwarnungen zur Halbzeitpause sind ungewöhnlich viel, doch Aytekins Kartenvergabe war völlig korrekt, konsequent und berechenbar.
In der zweiten Hälfte gab es trotz der Dramatik am Spielende nur noch eine einzige Verwarnung. Die erhielt der Dortmunder Torwart Roman Bürki nach 88 Minuten – wegen Zeitspiels, nicht wegen eines Fouls.
Mit seiner Art der Spielleitung lag der Unparteiische also genau richtig, und für die angemessene Mischung aus Empathie und Konsequenz erhielt er eine Menge Akzeptanz.
Stuttgart: Liberalität der Referees führt zu Nickeligkeiten
Ein empathischer Umgang mit den Spielern ist auch Tobias Stieler zu eigen, dem Schiedsrichter der Partie zwischen dem VfB Stuttgart und RB Leipzig (0:0). In seinen ersten Jahren in der Bundesliga pfiff Stieler bisweilen übermäßig streng und mit eingeschränktem Gespür für Spielräume, doch das hat sich längst geändert.
Inzwischen ist er einer der besten Referees der Liga, der immer wieder mit schwierigen Spielleitungen betraut wird. Gerade sein kommunikativer Stil und eine starke körperliche Präsenz helfen ihm auch in komplizierten Spielsituationen.
In Stuttgart beruhte Stielers Spieldesign, um Wolf-Dieter Ahlenfelders Begriff aufzugreifen, auf einer recht großzügigen Regelauslegung. Das heißt: Der Unparteiische ließ eine robuste Spielweise zu und entschied sich bei grenzwertigen Zweikämpfen oft dafür, weiterspielen zu lassen.
Eine solche Herangehensweise kann, wenn es gut läuft und die Teams sie akzeptieren, den Spielfluss befördern und die Zahl der Unterbrechungen minimieren. Doch in diesem Fall nahmen die Mannschaften die Liberalität des Referees eher zum Anlass, das Gegenteil herbeizuführen.
Immer wieder lagen Spieler am Boden, oft aus geringem Anlass. Es kam zu Wortgefechten, zu Schubsereien, gar zu Rudelbildungen. Mehrfach musste der Schiedsrichter dazwischengehen.
Besonders viel Arbeit hatte er in der 26. Minute, als Holger Badstuber den Leipziger Yussuf Poulsen foulte und sich anschließend vehement bei ihm beschwerte, dass die Gäste den Ball nicht ins Aus befördert hatten, als sich der Stuttgarter Emiliano Insua nach einem Zweikampf auf dem Rasen wälzte.
Gelbe Karte zu spät eingesetzt
Dabei hatten die Hausherren nach ihrer zwischenzeitlichen Balleroberung selbst die Gelegenheit, für eine Unterbrechung zu sorgen. Doch sie spielten genauso weiter wie die Leipziger.
Tobias Stieler trennte die Streithähne, indem er den schimpfenden Badstuber sanft aus der sich bildenden Spielertraube schob. Anschließend ermahnte er ihn und Poulsen eindringlich.
Dennoch blieb die Begegnung weiterhin lange Zeit nickelig, und das hatte etwas damit zu tun, dass der Unparteiische zu spät die Gelbe Karte einsetzte, nämlich erst nach 52 Minuten, als Lukas Klostermann den Stuttgarter Andreas Beck rustikal über die Klinge springen ließ.
Zuvor hatte er sich gegen eine Verwarnung entschieden, gewiss auch deshalb, weil sie sich nicht derart eindeutig aufdrängte wie beim Spiel in Dortmund.
Genau das ist für Schiedsrichter ein Dilemma: Bietet sich niemand so recht für den Einstieg in die persönlichen Strafen an, dann kann eine Gelbe Karte in einer Grenzsituation genauso für Unmut sorgen. Der Verzicht auf diese kann jedoch eine Härte ins Spiel bringen, die sich später nur noch schwer wieder herausnehmen lässt.
Das Design des Spiels durch den Schiedsrichter ist eben manchmal eine komplizierte Angelegenheit. Am Ende hatte Tobias Stieler nur zwei Verwarnungen ausgesprochen, obwohl das Spiel schon von seinem Charakter her mehr verdient gehabt hätte.
Andererseits war das Remis ein gerechtes Resultat, das sahen auch die Beteiligten so. Deshalb wollte sich niemand mehr mit dem Referee aufhalten. Vielleicht war das die beste Nachricht.
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